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WM 2018 in Russland - Tagebuch, Teil 3: Kroos-Fans aus China und ein klappriger Lada

SPOX-Reporter Stefan Petri berichtet von seinen Erfahrungen von der WM in Russland.
© getty

SPOX-Redakteur Stefan Petri ist bei der WM 2018 in Russland vor Ort und begleitete die DFB-Elf. Deren frühe Heimreise hat auch für ihn Konsequenzen. Erst einmal brachte die Reise von Kasan nach Moskau jedoch mal wieder eine Menge Chaos mit sich. Mit dabei: WLAN-Probleme, Schürzenjäger im Bus, Deutschland-Anhänger aus dem fernen Osten, ein ächzender Lada - und der schönste Flug seines Lebens.

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Wer hätte gedacht, dass der dritte Tagebucheintrag aus Russland wahrscheinlich schon der letzte ist? Hotelzimmer in Moskau über das komplette Turnier gebucht, Rückflug am Tag nach dem Finale - und dann scheidet Deutschland so früh aus wie zuletzt 1938. So war das nicht geplant. Naja. Jetzt nehme ich noch die Achtelfinals in Moskau mit, danach geht es zurück nach München.

Was soll ich sagen? Von der Medientribüne der Kasan Arena aus sah das Spiel gegen Südkorea nicht besser aus als am heimischen Fernseher, auch bei den Reportern machte sich zunächst Unverständnis, dann Frust, dann Resignation und schließlich Galgenhumor breit. In der Mixed Zone wurden vor dem Eintreffen der Spieler die persönlichen Schicksale diskutiert: Wer bleibt? Wer geht?

"Uns fallen täglich zwei Stunden Liveprogramm weg", bilanzierte der Kollege eines Fernsehsenders, während wir alle hemmungslos vor uns her schwitzten. Die müssten jetzt irgendwie gefüllt werden - er würde sich jetzt wohl damit beschäftigen, irgendwo Borschtsch zu probieren und dergleichen. Das bleibt mir erspart - mit dem Borschtsch meiner im heutigen Kasachstan geborenen Mutter kann sich hier allerdings ohnehin niemand messen.

Was Kasan von Sotschi unterscheidet

Die nächsten Stunden gingen in jenem Trubel unter, den ein Ausscheiden der DFB-Elf in der Vorrunde so mit sich bringt. Stimmen in der Mixed Zone, ab ins Media Centre, abtippen, Transkripte und Audiofiles tauschen, News hacken, Interview auf die Seite bringen, Shuttle in die Innenstadt nehmen, ab ins Hotelzimmer, Nachbericht schreiben.

Das Hotel. Heidewitzka. Ausgerechnet in meiner besten Bleibe der letzten Wochen verbrachte ich nicht einmal 48 Stunden. Das Grand Kazan Hotel sah von außen aus wie der feuchte Traum eines Monopoly-Spielers, von innen nicht viel schlechter. Drei Saunen gebe es im Fitnessbereich, wurde mir beim Einchecken anvertraut, kostenloses Schwimmbad im Partnerhotel gegenüber.

Wer noch nicht dort war: Kasan hat Geld. Die Hauptstadt der teilautonomen Republik Tatarstan machte bei meinen Busfahrten durch die Stadt richtig etwas her, von prächtigen Hotels bis hin zum eigenen Kreml mitten im Zentrum.

Sotschi, oder besser gesagt die Stadt Adler etwas südlich, machte auch einiges her und wirkte in den Tagen dort wie eine wild vollgestopfte Strandpromenade: Auf wenigen Quadratkilometern tummeln sich das Olympiastadion, weitere Arenen, die Haupttribüne der hauseigenen Formel-1-Strecke und diverse Vergnügungsparks. Trotzdem schien zu jeder Zeit der Urlaubsort durch. Kasan präsentierte sich deutlich niveauvoller.

Kasan Arena: Rückkehr zum Tatort

Naja, so viel bekam ich davon natürlich auch nicht mit. Das vollgepackte Frühstücksbuffet verschlief ich am Donnerstag natürlich, auch die Saunen hatte ich nicht zu Gesicht bekommen, als ich am späten Vormittag auscheckte. Nächster Programmpunkt vor dem Abflug am Abend: WLAN suchen und schreiben.

Getreu dem Klischee machte ich mich also auf dem Weg zum nächsten Starbucks, wo ich folgende Entdeckung machte: Wifi gibt es in Kasan anscheinend prinzipiell kostenlos, aber dafür muss man sich einen Code aufs Smartphone schicken lassen. An sich kein Problem - sieht man von der Tatsache ab, dass die deutschen Nummern genau eine Ziffer zu viel haben und sich deshalb nicht eingeben lassen.

Also machte ich mich quer durch die Stadt auf zum "Tatort", wenn man so will: Das Media Centre des Stadions schien mir die sicherste Variante zu sein, um vor dem Weg zum Flughafen noch abzuliefern. Fun Fact: Kasans Linienbusse sind komplett von Frauen mittleren Alters besetzt, die mit Schürze, darin befindlichem Wechselgeld und einer Rolle Fahrscheinen, die aussehen wie Bonussticker bei REWE, bewaffnet sind und nach jedem Stopp Fahrscheine kontrollieren beziehungsweise abkassieren. Der Versuch, einer dieser Damen klarzumachen, dass ich dank FIFA-Akkreditierung kostenlos fahren darf, schlug natürlich jämmerlich fehl. Was soll's, 25 Rubel machen den Kohl auch nicht mehr fett.

Deutschland-Fans aus China und ein peinlicher Moment

Weiter im Text: Ich schickte meinen im Media Center geschriebenen Artikel kurz vor knapp über den Äther in Richtung München und wollte dann zum Bahnhof, den Zug zum Flughafen erwischen. Shuttle-Bus zurück in die Innenstadt, mittels Google Maps dann per Bus und pedes zum Zug. Die Tatsache, dass es sich nicht um den Hauptbahnhof handelte, sondern um einen Halt etwas außerhalb, hätte mir zu denken geben müssen ...

Wie dem auch sei. Während der angepeilte Aeroexpress auf sich warten ließ, kamen vom Straßenrand vier Südkoreaner mit gepackten Koffern dazu. Wir kamen ins Gespräch, es stellte sich heraus, dass sie es auf den gleichen Zug und die gleiche Maschine nach Moskau abgesehen hatten. Natürlich ging es dann auch um das Spiel am Vorabend. Ob in Deutschland viel geweint worden sei, wurde ich unter anderem gefragt.

Außerdem erfuhr ich, dass die deutsche Nationalmannschaft in China unheimlich beliebt sei. Absoluter Favorit: der schöne blonde Toni Kroos. "Ja, er sieht schon sehr deutsch aus", fiel meine Reaktion etwas unbeholfen aus.

Es folgte ein relativ peinlicher Moment, und das "relativ" steht in diesem Fall für "extrem". Fliegt ihr direkt zurück nach Südkorea? Kopfschütteln: "We're from China!" Autsch! Geschieht mir recht, bei einer Gruppe Asiaten auf Südkoreaner zu tippen. Stattdessen - erst jetzt hatte ich es wirklich geschnallt - handelte es sich um Fans der deutschen Nationalmannschaft! Schlachtenbummler aus dem Süden der Volksrepublik, zwei davon Bayern-Fans, für dieses Spiel angereist. Ich bekam Bilder einer großen Gruppe DFB-Fans zu sehen, 2020 wollen sie bei der EM in München aufschlagen.

Kein Zug - also im Lada zum Flughafen

Während es in meinem Schädel ratterte, ratterte es auf den Gleisen neben uns ganz eindeutig nicht. Zwischendurch wollte ich schnell in einen Zug Richtung Hauptbahnhof springen, nur zu Sicherheit, aber ein Russe, der mit dem Wort "Airport" unmissverständlich auf das ursprüngliche Gleis zeigte, hielt mich davon ab.

Ein bisschen dauerte es noch, bis uns folgende Erkenntnis ereilte: Von uns allen unbemerkt - Google wusste es ebenfalls nicht - hatte man den Aeroexpress-Fahrplan drastisch reduziert. Wer will am Tag nach dem Spiel auch zum Flughafen? Eine Stunde würden wir noch warten müssen, und so viel Zeit hatten wir nicht mehr.

Also musste eine Fahrt zum Flughafen her. Ich orderte einen Uber herbei, meine neuen Freunde bemühten die russische Taxi-App Yandex. Mein Chauffeur kam zuerst um die Ecke - und jetzt kann ich stolz verkünden, dass ich in Russland Lada gefahren bin. Ne richtige Klapperkiste übrigens, total verranzt, und bei jedem Gebrauch der Kupplung ächzte das Getriebe wie der Bugspriet der Gorch Fock bei unfreundlichem Seegang.

Happy End dank Beinfreiheit

Aber er schaffte es bis zum Terminal 1, was mir ein nettes Trinkgeld wert war, und Minuten nach mir reihten sich die Chinesen am Check-In-Schalter ein. Es passte ins Bild, dass dieser total überlaufen war, ein Fehler im System zu mehreren Schalterwechseln und schließlich zu einer zünftigen Verspätung führte. Trotzdem war es der vielleicht angenehmste Flug meines Lebens. Warum? Reihe 1, Sitz C. Die totale Beinfreiheit. Hach!

War es schon nach zwei Uhr nachts, als ich endlich in meinem Hotel in Moskau ankam? Und wenn schon. Irgendwie hatte am Ende doch wieder alles funktioniert. Jetzt steht mir nur noch eine einzige Fahrt zum Flughafen bevor. Was soll da schon schiefgehen?

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