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Argentinien scheidet im WM-Achtelfinale aus: "Alle auf die 10" reicht als Konzept nicht

Lionel Messi wird auch bei seiner vierten WM nicht Weltmeister.
© getty

Argentinien ist im Achtelfinale der WM 2018 an Frankreich gescheitert. Das Aus ist die logische Konsequenz aus seltsamen personellen und taktischen Entscheidungen. Nationaltrainer Jorge Sampaoli ließ ein Konzept völlig vermissen.

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Lionel Messis Traum ist ausgeträumt. Auch bei seiner vierten Weltmeisterschaft wird einer der größten Fußballer aller Zeiten den Pokal nicht gewinnen.

Es hatte sich angekündigt. Zuerst in der holprigen Qualifikation, dann in der schwachen Gruppenphase. Mit der 3:4-Niederlage gegen Frankreich im Achtelfinale ist Argentinien nun also tatsächlich so früh aus einer WM ausgeschieden wie seit 2002 nicht mehr.

Und das Ausscheiden ist folgerichtig. Jorge Sampaoli hat es in seiner einjährigen Amtszeit nicht geschafft, Argentinien eine Spielidee zu vermitteln.

Jorge Sampaoli hat keine Mannschaft um Messi gefunden

In 15 Spielen unter seiner Leitung hat die Albiceleste in 15 verschiedenen Startaufstellungen gespielt. Das müsste per se nichts bedeuten. Bei dieser Fülle an Topstars könnte das Sampaoli als kluge Moderation verschiedener Anspruchshaltungen ausgelegt werden.

Die Eindrücke der letzten Monate legen aber eher den Schluss nahe, dass Sampaoli bis zuletzt nicht gefunden hat, wonach er suchte. Einen Zugang zur Mannschaft und vor allem eine Idee, um Messi herum ein funktionierendes Gebilde aufzubauen. Stattdessen war bei Argentinien vieles Stückwerk, personell und taktisch.

Messi, Agüero, Higuain, Dybala, Di Maria - aber keine Einheit

Sampaoli hatte in der Offensive die vielleicht beeindruckendste Tiefe aller WM-Kader. Lionel Messi, Sergio Agüero, Gonzalo Higuain, Paulo Dybala und Angel Di Maria spielen allesamt bei europäischen Topklubs und trafen dort jeweils zweistellig, mit Ausnahme von Di Maria sogar deutlich zweistellig.

Im Achtelfinale setzte der Trainer aber Agüero, Higuain und Dybala auf die Bank. Letzterer bekam im ganzen Turnier gerade einmal 22 WM-Minuten. Medienberichten zufolge ist die Nichtberücksichtigung Dybalas ein Zugeständnis an Messi. Das Verhältnis zwischen den beiden Angreifern ist offenbar so schlecht, dass ein Zusammenspiel nicht möglich ist. Und Ober sticht Unter, bei Argentinien im Jahr 2018 offenbar sowieso.

Bei der Zusammenstellung einer Mannschaft geht es immer auch um Teamhygiene. Dass der Torschützenkönig der Serie A, Mauro Icardi, nicht im Kader ist, ist beispielsweise aufgrund unschöner Geschichten in der Vergangenheit absolut nachvollziehbar. Solche Entscheidungen sind gang und gäbe.

In der Personalie Dybala ist Sampaoli allerdings einen seltsamen Kompromiss eingegangen. Er hat ihn zwar nominiert, dann allerdings links liegen lassen. Dybala war nicht mehr als der Messi-Backup. Natürlich sind die beiden ähnliche Spielertypen. Einen Spieler mit den Qualitäten Dybalas jedoch überhaupt nicht einbauen zu können, kein passendes System zu finden, spricht nicht für Sampaoli. Oder es spricht eben doch für ein Messi-Zugeständnis.

Argentinien spielt in jedem Spiel ein anderes System

Statt Messi zu viele weitere Weltstars an die Seite zu stellen, gab Sampaoli Maximiliano Meza von Independiente und Cristian Pavon von den Boca Juniors viel Einsatzzeit. Alles andere als Hinterhof-Kicker, den Beweis der Weltklasse lieferten sie in Russland jedoch nicht ab.

Schwerer als die seltsamen Personalentscheidungen wiegen allerdings Sampaolis taktische Versäumnisse. Er schickte sein Team im Turnierverlauf von Spiel zu Spiel anders auf den Platz. Im 4-2-3-1, im 4-4-2, im 3-4-3 und zuletzt im 4-3-3. Eine wirkliche Spielidee war dabei allerdings nicht zu erkennen.

Dybala sagte Anfang des Jahres in einem Interview, es sei deswegen schwierig, mit Messi zu spielen, weil dieser einfach zu gut und deswegen der Impuls zu stark sei, ihm einfach immer den Ball zuzuspielen. Im Klub können sich die Mitspieler darauf einstellen und sich an die Spielweise anpassen. In der Nationalmannschaft ist dafür vergleichsweise deutlich weniger Zeit. Vor allem dann, wenn das Personal ständig wechselt.

Deswegen also die Marschroute: Ball zu Messi und den irgendwas machen lassen. Nach dem Motto "Alle auf die 10". Dieser Marschroute ordnete auch Sampaoli alles unter. Doch er scheiterte bei dem Versuch. Das Konzept war für eine Weltmeisterschaft einfach nicht genug. Sampaoli leistete sich zudem einige Coaching-Böcke.

Unter anderem mit dem 3-4-3 gegen Kroatien, mit dem er Messi dessen Stärken im Halbraum und damit die Luft zum Atmen nahm. Messi ging unter, hatte nur 49 Ballaktionen und Argentinien ging 0:3 baden. Weil ein Plan B nicht existierte.

Lionel Messi als falsche Neun - Strafraum unbesetzt

Am meisten vercoachte sich Sampaoli im Achtelfinale. Er bot Messi auf dem Papier als falsche Neun auf, dazu beorderte er Linksfuß Di Maria auf den linken und Rechtsfuß Pavon auf den rechten Flügel. Also keine inversen Außen, die selbst zur Mitte ziehen und abschließen, sondern eher flanken.

Da sich Messi jedoch von Beginn an wie gewohnt in den rechten Halbraum und irgendwann sogar weit ins Mittelfeld zurückfallen ließ, war der Strafraum ständig unbesetzt. Higuain und Agüero schauten sich das von der Bank aus an.

Die Tore, die Argentinien letztlich machte, waren das Ergebnis individueller Klasse (Di Maria), einer Standardsituation (Mercado) und eben eines eingewechselten Mittelstürmers (Agüero). Die Aufstellung und Einstellung seines Teams für diese Partie war aber nicht klug.

Dazu stimmten in der argentinischen Defensive die Abstände nicht. Frankreich nutzte im Achtelfinale die großen Räume zwischen Mittelfeld und Abwehrkette effizient aus und hätte ohne den Verwaltungsmodus nach dem 1:0 und dem 4:2 noch deutlicher gewinnen können.

Ob Sampaoli all diese Entscheidungen tatsächlich getroffen hat, ist anhand verschiedener Medienberichte, die Albiceleste coache sich mittlerweile selbst, nicht sicher. Doch das sind Spekulationen.

Argentiniens Ausscheiden als logische Folge

Fakt ist: Eine Linie und eine Idee Sampaolis war nicht zu erkennen. Er hat seine erfolgreiche Arbeit mit Chile oder dem FC Sevilla nicht auf die Albiceleste übertragen können. Argentiniens Aus in der ersten K.o.-Runde war deswegen die logische Folge.

Die Karriere von Lionel Messi bleibt damit ungekrönt. Mindestens bis 2022. Dann hätte der Angreifer mit 35 Jahren in Katar noch einmal die Chance. Sollte er sich nicht Lucas Biglia und Javier Mascherano anschließen und aus der Nationalmannschaft zurücktreten ...

Argentinien: Das Abschneiden bei den letzten WM-Endrunden

JahrRundeLetzter GegnerErgebnis
2018AchtelfinaleFrankreich3:4
2014FinaleDeutschland0:1 n.V.
2010ViertelfinaleDeutschland0:4
2006ViertelfinaleDeutschland3:5 n.E.
2002GruppenphaseSchweden1:1
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