1860-Trainer Daniel Bierofka im Interview: "Ein Stadion mit Löwenkäfigen brauche ich nicht"

Daniel Bierofka beim DFB-Pokal-Viertelfinale im Februar 2008 im Zweikampf mit Willy Sagnol.
© getty

Am 27. Februar 2008 stieg das bis heute letzte Münchner Derby auf Profiebene. Im DFB-Pokal-Viertelfinale gewann der FC Bayern nach Verlängerung mit 1:0 gegen den TSV 1860. Der damalige 1860-Spieler und heutige -Trainer Daniel Bierofka musste im Laufe der zweiten Halbzeit verletzt ausgewechselt werden und das späte Siegtor von Franck Ribery von der Bank aus verfolgen. Zehn Jahre später erinnert er sich an das Spiel.

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Außerdem spricht Bierofka über die jüngere Vergangenheit und aktuelle Situation des Klubs, der seit dem Zwangsabstieg in der viertklassigen Regionalliga Bayern spielt. Bierofka erzählt von der romantischen Rückkehr ins Grünwalder Stadion und der Zusammenarbeit mit Investor Hasan Ismaik.

SPOX: Herr Bierofka, welche Erinnerungen haben Sie an das Derby von 2008?

Daniel Bierofka: Ich hatte zuvor schon vier Derbys in der Bundesliga gespielt, aber das war mit Abstand das emotionalste - und bitterste. Chhunly Pagenburgs Foul an Miroslav Klose, das in der Nachspielzeit der Verlängerung zum entscheidenden Elfmeter führte, war eigentlich außerhalb des Strafraums. Schiedsrichter Peter Gagelmann legte es aber kurzerhand hinein. Der Elfmeter musste dann sogar wiederholt werden und den zweiten chippte Franck Ribery in die Mitte. Das war schon richtig frech.

SPOX: Wie war die Stimmung in der Stadt und im Stadion?

Bierofka: Schon an den Tagen davor spürte ich eine gewaltige Vorfreude in der ganzen Stadt. Bei unserem letzten Training vor dem Spiel waren viele Fans da und haben um den Platz motivierende Banner aufgehängt. Sie wollten, dass wir uns den Hintern aufreißen, und das haben wir gemacht. Im Stadion waren leider viel mehr Bayern-Fans, da sie Heimrecht hatten. Am Anfang waren sie auch lauter, aber je länger das Spiel dauerte, desto mehr glaubten unsere Fans an das Wunder und gewannen die akustische Überhand. Keiner hätte gedacht, dass wir das Spiel so lange offenhalten. Deshalb sind die 1860-Fans auch trotz der Niederlage zufrieden nach Hause gegangen.

SPOX: Mittlerweile spielt 1860 auf einem Leistungslevel mit der Reserve des FC Bayern. Rufen diese Derbys bei Ihnen als Trainer ähnliche Emotionen hervor?

Bierofka: Überhaupt nicht, denn es sind ja nicht die richtigen Bayern.

SPOX: Erachten Sie diese Derbys gar als demütigend?

Bierofka: Nein, weil ich und die aktuelle Mannschaft nichts dafür können. Dass es so weit gekommen ist, haben andere zu verantworten.

SPOX: Mit einer Mannschaft voller Legionäre und dem portugiesischen Trainer Vitor Pereira stieg 1860 in der vergangenen Saison aus der 2. Liga ab. Sie fungierten ab der Winterpause als Co-Trainer. Was waren die Gründe für den Abstieg?

Bierofka: Wir hatten Spieler, aber keine Mannschaft. Keiner war für den anderen da und es herrschte gar kein Miteinander. In viel zu kurzer Zeit wurden viel zu viele neue Spieler verpflichtet. Eine Mannschaft braucht Zeit, um zu wachsen, aber die bekam sie nicht. Wegen der prekären Tabellensituation waren wir von Beginn an unter Druck und konnten nichts Neues ausprobieren. Pereira ist zwar ein richtig guter Trainer, aber das hilft in so einer Situation nichts.

SPOX: Stefan Aigner erklärte nach den Relegationsspielen gegen Jahn Regensburg, dass er "nie das Gefühl hatte, dass wir Regensburg schlagen können". Bis wann glaubten Sie noch an den Klassenerhalt?

Bierofka: Als wir im letzten Ligaspiel gegen den 1. FC Heidenheim 1:0 führten, habe ich noch daran geglaubt. Der Ausgleich hat die Mannschaft aber geknickt. In der Relegation hätten wir eigentlich schon das Hinspiel verlieren müssen und hatten großes Glück, überhaupt remis gespielt zu haben. Über beide Duelle gesehen war Regensburg viel besser.

SPOX: In der Schlussphase des Rückspiels kam es zu Ausschreitungen von 1860-Fans.

Bierofka: Die Stimmung war das ganze Spiel über aufgeheizt und ich spürte, dass gleich etwas passieren würde. Es entlud sich aller über Monate aufgestauter Frust der Fans. Für das Image des Vereins war das nicht gut.

SPOX: Noch während des Spiels verließ Präsident Peter Cassalette das Stadion, Investor Hasan Ismaik war gar nicht erst gekommen, Geschäftsführer Ian Ayre hatte schon davor seinen Rücktritt angekündigt.

Bierofka: Zu diesem Zeitpunkt war mir das völlig wurscht. Ich war einfach nur niedergeschlagen und fühlte mich tot. Das war einer der schlimmsten Tage meiner Sportlerkarriere.

SPOX: Einige Tage später verweigerte Hasan Ismaik die nötigen finanziellen Mittel für einen Start in der 3. Liga, 1860 wurde in die Regionalliga durchgereicht.

Bierofka: Es gab keine Verantwortungsträger mehr und wir standen kurz vor dem gänzlichen Aus. Ich setzte mich dann mit dem damaligen NLZ-Leiter Wolfgang Schellenberg zusammen und prüfte, welche Spieler überhaupt gültige Verträge für die Regionalliga hatten.

SPOX: Wie ging es weiter?

Bierofka: Ohne zu wissen, ob ich überhaupt Trainer werde, begann ich Stück für Stück, eine Mannschaft zusammenzuflicken. Zum Glück hatten wir noch einen ganz guten U21-Kader und überzeugten mit Jan Mauersberger, Sascha Mölders, Nico Karger und Felix Weber vier Profis von einem Verbleib. Dann verpflichteten wir noch den einen oder anderen zusätzlichen Spieler. Die Neuzugänge mussten aber eine gewisse Begeisterung für unser Projekt mitbringen, denn finanziell konnten wir wenig bieten. Ich wollte eine Grundlage schaffen, mit der ein neuer Trainer arbeiten konnte.

SPOX: Am Ende wurden Sie es.

Bierofka: Irgendwann fragte mich der Klub, ob ich es machen will. Ich sagte halt zu, aber es gab eh keine Alternative. Mein erstes Ziel war es, mit dieser jungen Mannschaft die Tugenden unseres Arbeitervereins auf den Platz zu bekommen. So wollten wir das verlorengegangene Vertrauen der Fans zurückgewinnen.

SPOX: Hat das sofort geklappt?

Bierofka: Es war von Beginn an eine Jetzt-erst-recht-Mentalität zu spüren und das ist das Außergewöhnliche an unserem Verein: Wenn ein gewöhnlicher Klub von der 2. Liga in die Regionalliga absteigt, ist er tot und es kommt keiner mehr. Bei uns war es umgekehrt. In der Vorbereitung hatten wir Freundschaftsspiele gegen Freising und Landshut, bei denen jeweils über 3.000 Zuschauer da waren, viel mehr als bei ähnlichen Spielen zu Zweitligazeiten. Bei unserem ersten Ligaheimspiel im Grünwalder Stadion gegen Wacker Burghausen herrschte eine wahnsinnige Stimmung und bei jedem weiteren auch.