FC Barcelona - Jordi Vinyals im Interview: "Guardiolas Modell wurde nicht fortgeführt"

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Haben Sie den Eindruck, dass junge Spieler heutzutage schneller satt sind als früher?

Vinyals: Wenn sie auf dem Platz stehen? Nein. Sie können davon ausgehen, dass bis auf vereinzelte Ausnahmen alle Jugendspieler bei einem Klub wie Barca die richtige Einstellung mitbringen; dass sie immer ehrgeizig und wissbegierig sind; dass sie den Traum verfolgen, es bis ganz nach oben zu schaffen. Am Ende kommt es darauf an, was sie außerhalb des Platzes machen. Geben sie das verhältnismäßig viele Geld, das sie in jungen Jahren schon verdienen, für Dummheiten aus oder bleiben sie mit den Füßen auf dem Boden? Geben Sie sich mit Leuten ab, die ihnen guttun oder schaden? Die Rolle der Medien ist natürlich auch entscheidend.

Inwiefern?

Vinyals: Ich sehe immer wieder, dass irgendwelchen 17-, 18- oder 19-Jährigen Titelblätter oder Reportagen gewidmet werden. Nicht alle, aber viele junge Spieler können damit nicht umgehen, weil sie schlichtweg nicht reif genug sind. Ihnen wird so der Eindruck vermittelt, es im Leben schon geschafft zu haben. Dabei werden dadurch noch höhere Erwartungen geschürt. Wer glaubt, er sei schon jemand, weil er in den Medien präsent ist, kommt schnell vom richtigen Weg ab.

Einer Ihrer Spieler bei Barca B war Alen Halilovic. Warum schaffte er es nicht?

Vinyals: Der Junge ist ein treffendes Beispiel für das, was ich gerade gesagt habe. Auf ihm lastete ein unheimlicher Druck, was aber nicht nur damit zu tun hatte, dass sein Name ständig in der Presse zu lesen war.

Sondern?

Vinyals: Der Druck entstand auch durch sein Umfeld und durch den Klub. Man war mit ihm viel zu voreilig. Es wurden Klauseln ausgehandelt, die ihm zusicherten, er werde so schnell wie möglich vom Jugend- zum Profispieler aufsteigen und eine gewisse Anzahl an Einsätzen bekommen. Glauben Sie, dass so etwas einem jungen Spieler hilft? Im Fußball ist nichts planbar.

Vinyals: "Guardiolas Modell wurde leider nicht fortgeführt"

War Halilovic nicht gut genug?

Vinyals: Er hatte großartige Anlagen, das will ich gar nicht bestreiten. Man darf aber nicht vergessen, dass wir mit Barca B damals in der Segunda Division spielten, einer sehr umkämpften Liga. Er hätte schon um Längen besser als seine Mitspieler oder seine gegnerischen Spieler sein müssen, um sich einen Platz im Profikader zu verdienen. Das konnte er gar nicht sein, weil er als Teenager aus Kroatien kam und man ihm überhaupt nicht die nötige Zeit gab, sich einzugewöhnen und mit Geduld an sich zu arbeiten, um zu beweisen, eines Tages für die Profis spielen zu können. Unter diesen Umständen war es natürlich schwierig für ihn.

Adama Traore gehörte ebenfalls zu ihren Schützlingen. Heute spielt er in der Premier League bei den Wolverhampton Wanderers, wo jeder über seinen austrainierten Körper spricht.

Vinyals: Auch wenn er damals noch nicht so muskulös war, hatte Adama von allen Spielern in der zweiten Liga die beste Physis. Er war der schnellste und stärkste Spieler. Sein Problem war: Er befand sich taktisch nicht auf seinem jetzigen Level. Viele seiner Gegenspieler wussten genau, wie sie ihn trotz seiner physischen Überlegenheit mit taktischen Mitteln stoppen konnten. Ich freue mich, dass der Junge so eine tolle Entwicklung in England genommen hat.

Sind Sie traurig darüber, dass es keiner ihrer Spieler in Barcelona geschafft hat?

Vinyals: Ich bin ein selbstkritischer Mensch und stelle mir natürlich die Frage, was ich vielleicht hätte besser machen können. Viele sind aber andernorts Profi geworden. Man muss sich vielleicht auch einfach eingestehen, dass Guardiolas Modell in den vergangenen Jahren bei Barca leider nicht fortgeführt wurde.

Vinyals: "Thiago vereint alles"

Selbst Spieler wie Thiago schafften bei Barca nicht den Durchbruch. Guardiola nahm ihn 2013 mit nach München, wo er heute zu den absoluten Leistungsträgern gehört.

Vinyals: Thiago hat mir schon immer gefallen. Er ist in Deutschland zu einem noch wunderbareren Fußballer gereift, weil er sich auch dem physisch anspruchsvolleren Level angepasst hat und nicht nur derjenige ist, der den Ball verteilt, sondern auch erobert. Er vereint alles, was ein moderner Mittelfeldspieler vereinen muss. Ich schaue ihm gerne zu und würde mich darüber freuen, wenn er wieder in Barcelona spielen würde.

Könnte die auch aus wirtschaftlicher Sicht heikle Corona-Krise dem Klub die Chance eröffnen, wieder mehr auf die eigene Jugend zu setzen?

Vinyals: Das hängt nicht von einer Pandemie ab. Das hängt davon ab, ob Verantwortliche und Trainer bereit dazu sind.

Sie arbeiten heute noch für diverse Jugendprogramme des Klubs im Ausland. Können Sie sich eine Rückkehr als Jugendtrainer vorstellen?

Vinyals: Ich kann mir vieles vorstellen, das ist aktuell aber keine Option. Wir werden sehen, was nach der Corona-Krise passiert. Es gibt vermehrt aus dem Ausland ein paar Anfragen, aber die Gespräche ruhen derzeit.

Vinyals: China "ein Stück weit frustrierend"

Nach ihrem Abschied von Barca waren Sie vier Jahre in China bei Qingdao Huanghai tätig. Welche Erfahrungen machten Sie dort?

Vinyals: Überwiegend positive. Den Fußball dort kann man zwar nicht ansatzweise mit dem in Europa oder Südamerika vergleichen, aber das wirtschaftliche Potenzial ist riesig. Xi Jinping, der Präsident des Landes, gilt als großer Fan der Sportart und befeuert den Fußball-Boom. Viele Schulen werden dort aufgemacht, in denen etliche spanische Trainer, aber auch deutsche oder englische Trainer anfangen, um den Fußball so schnell wie möglich auf ein europäisches Level zu hieven. Das wird aber sicherlich noch ein paar Jahre dauern - auch aus Kommunikationsgründen.

Wie meinen Sie das?

Vinyals: Die chinesische Sprache ist schwierig zu erlernen. Wir hatten zwar Dolmetscher, aber es gibt Begriffe im europäischen Fußball-Jargon, die sie dort einfach nicht kennen. Es war schon auch ein Stück weit frustrierend für mich, nicht von Angesicht zu Angesicht mit meinen Spielern kommunizieren und ihnen vor allem komplexe taktische Dinge vermitteln zu können. Videoanalysen waren zwar immer mit sehr hohem Aufwand verbunden, zahlten sich mit der Zeit aber aus. Wir etablierten uns über die Jahre in der zweiten Liga und stiegen 2019 in die erste Liga auf. Das war ein schöner Erfolg.

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