Real Madrids Generaldirektor Jose Angel Sanchez: Der Architekt des neuen Real Madrid

Jose Angel Sanchez (l.) ist Generaldirektor bei Real Madrid
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Real Madrid ist der erfolgreichste, bekannteste und für die meisten Spieler auch attraktivste Fußballklub der Welt. Die Königlichen sind die herausragende Marke im Business Fußball. Das hat vor allem mit einem Mann zu tun, den eigentlich keiner kennt: Jose Angel Sanchez.

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Im Juli 2015 bekommt Jose Angel Sanchez eine SMS. Absender: Michael Reschke, zu dieser Zeit Technischer Direktor beim FC Bayern München und in dieser Position auch für die Kaderplanung beim deutschen Rekordmeister zuständig. Nach der U19-Europameisterschaft in Griechenland gratuliert Reschke seinem Kollegen Sanchez zum Transfer von Marco Asensio, der schon vor Beginn des Turniers festgestanden hat.

Im Fußballbusiness läppische 3,5 Millionen Euro zahlte Real Madrid an den RCD Mallorca, das Wort Schnäppchen ist eine grandiose Untertreibung.

Der 21-jährige Asensio gehört mittlerweile zu den ersten 15 im Luxuskader von Real Madrid, im Champions-League-Finale dieses Jahres gegen Juventus schoss er ebenso wie im Viertelfinale gegen den FC Bayern ein Tor, sein Marktwert liegt weit über 50 Millionen Euro.

Michael Reschkes Eloge auf Jose Angel Sanchez

Reschke ist seit etwas mehr als vier Monaten Sportvorstand beim VfB Stuttgart, die Transferperiode rückt näher, das Team ist den Abstiegsrängen bedenklich nahe gekommen und Reschke hat viele Baustellen zu bearbeiten, aber um über seinen Freund Jose zu sprechen, nimmt er sich gerne Zeit.

"Jose besitzt eine interessante Mischung aus natürlicher Freundlichkeit, professioneller Kompetenz und natürlicher Autorität", schwärmt Reschke ins Telefon. "Seine Kombination aus starker Persönlichkeit, einnehmender, sympathischer Ausstrahlung und großem Intellekt haben mich immer beeindruckt."

Reschke erzählt vom ersten Kontakt rund um die Personalie Dani Carvajal, vom regelmäßigen Austausch und von netten Anekdoten rund um die Abwicklung von Transfers und Aufeinandertreffen vor großen Spielen. "Er schafft es mit seiner Art, eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, die von Vertrauen und Respekt geprägt ist", sagt er über Sanchez.

Das Gespräch mit Reschke ist eine viertelstündige Eloge auf den Generaldirektor Real Madrids, auf einen Mann, der beim berühmtesten Fußballklub der Welt die Fäden in der Hand hält, aber den in der Öffentlichkeit fast keiner kennt.

Sanchez kommt 2000 von Sega zu Real Madrid

Mit dem neuen Präsidenten Florentino Perez kommt Sanchez im Jahr 2000 zu Real Madrid. Die Königlichen haben zwar in diesem Jahr die Champions League gewonnen, aber dem vorherigen Präsidenten Lorenzo Sanz wird die jahrelange Misswirtschaft zum Verhängnis. Real hat über seine Verhältnisse gelebt und sitzt auf einem Schuldenberg von knapp 300 Millionen Euro, die Mitglieder entscheiden sich für einen Wechsel an der Spitze.

Perez hat den Wahlkampf gegen den sportlichen Erfolg - Real hatte auch 1998 unter Jupp Heynckes die Champions League gewonnen - mit wirtschaftlichen Themen gewonnen. Er verspricht, den Klub zu sanieren. Der Mann dafür: Jose Angel Sanchez.

Der damals 34-Jährige ist im Fußball ein unbeschriebenes Blatt. Nach seinem Philosophiestudium hat er sich beim japanischen Computerspiele-Herstellers Sega nach oben gearbeitet. Innerhalb kürzester Zeit schaffte er es zum Südeuropa-Chef des Unternehmens und machte die Einheit zur profitabelsten des Konzerns.

Perez' Ziel und Sanchez' Aufgabe: Real Madrid zum "reichsten Klub der Welt" machen.

Sanchez: Intelligent, gebildet, kompetent, höflich, charmant

"Nur off the record", also nur für Hintergrundwissen und ohne ihn zitieren zu dürfen, könne man mit Jose Angel Sanchez sprechen, sagt Diego Torres, der seit 20 Jahren für die größte spanische Tageszeitung El Pais über Real Madrid berichtet.

In über 17 Jahren in verantwortlichen Positionen im Klub hat Sanchez kein Interview gegeben. Ab und zu ein paar knappe öffentliche Statements, aber längere Gespräche gibt es nur mit der Vorgabe, dass keine Veröffentlichung folgt.

Wie Reschke beschreibt auch Torres Sanchez als einnehmende Persönlichkeit, die es verstehe, mit Menschen umzugehen und das "Herz und die Seele der Journalisten anzusprechen". Intelligent, gebildet, kompetent, höflich, charmant, all diese Adjektive benutzt Torres zur Beschreibung Sanchez'.

"Alle Entscheidungen, die getroffen werden, laufen über ihn", sagt Bodo Illgner, der noch immer einen guten Kontakt nach Madrid pflegt. "Er hält sich schon sehr lange im Klub, das alleine spricht schon für ihn." Real Madrid ist ein Haifischbecken und Sanchez weiß, wie er darin schwimmen muss. Und wenn es sein muss, beißt er zu.

Sanchez macht Real Madrid vom Mythos zur Marke

Anfang des Jahrtausends ist der Fußball zwar auch schon ein Geschäft, aber noch nicht so von Businessgedanken durchsetzt wie heute. Manchester United ist der führende Klub, der mehr als alle anderen wie eine Firma funktioniert und auch auf eine internationale Strategie setzt.

Sanchez bringt diesen globalen Blick in den Verein, er sieht neue Märkte und die damit verbundenen Potenziale. Die zu bedienenden Fans sitzen nicht mehr in Madrid, Segovia oder Toledo, sondern in Tokio, Shanghai und New York. Eine der ersten Amtshandlungen Sanchez' ist es, die Vereinshomepage auch auf Japanisch anzubieten.

Perez startet seine erste Amtszeit als Präsident mit der Idee, die besten Spieler der Welt bei Real Madrid zu vereinen, Sanchez liefert das wirtschaftliche Gerüst dazu. Vereinfacht gesprochen lebte Real bis zu Beginn des neuen Jahrtausends von den Erfolgen der 50er und 60er Jahre rund um Alfredo Di Stefano, auch das Konzept ging noch auf den legendären Präsidenten Santiago Bernabeu zurück: Das größte Stadion bedeutet mehr Einnahmen und bessere Spieler und diese bringen Erfolg, der wiederum zu einem vollen Stadion führt.

Doch mit dieser Strategie begrenzter Einnahmen können die gestiegenen Transfer- und Gehaltskosten nicht ausgeglichen werden, Real Madrid lebt auf Pump. Sanchez stellt den Verein vom Kopf auf die Füße. Er macht aus dem Mythos eine Marke. Eine Marke, die immer scheint und Profit abwirft, egal wie die Spiele auf dem Platz ausgehen. Anders als gewöhnliche Vereine.

Real Madrid wie Walt Disney

In einer seiner raren öffentlichen Äußerungen zu Beginn seiner Amtszeit vergleicht Sanchez die Werthaltigkeit der Marke Real Madrid mit der von Walt Disney. Dafür wird er belächelt, aber heute weiß man, er hatte Recht. Real Madrid liegt in der jährlich veröffentlichten Forbes-Liste der wertvollsten Sportteams der Welt immer auf den vorderen Plätzen. Das königliche Wappen findet sich in allen Winkeln der Welt.

Der Name Walt Disney taucht immer wieder auf, wenn man sich mit Sanchez beschäftigt. Überhaupt verwendet er gerne Begriffe aus der Filmbranche. Fußball als Unterhaltungsindustrie. Was heute von der Mehrheit als Standard akzeptiert wird, ist damals eine Revolution.

Die Anschubfinanzierung liefert der Verkauf des Trainingsgeländes an die Stadt für 480 Millionen Euro, wichtiger aber ist die Strategie dahinter, denn selbst Real Madrid sitzt nicht auf einer Unmenge an Immobilien, die es nach Bedarf einfach verkaufen kann.

Aber Sanchez weiß, was es braucht, um das Potenzial der Marke auszuschöpfen. Er holt dem Klub verloren gegangene Bildrechte der Spieler zurück, entwickelt eine tragende Marketingstrategie und ein neues Internetkonzept.

Sanchez und Perez folgen der Idee, dass Superstar-Transfers gepaart mit kluger, weltweiter Vermarktung zu einer Gelddruckmaschine führen, die wiederum sportliche Überlegenheit garantiert.

Florentino Perez muss gehen, Sanchez bleibt

Was folgt, sind die Jahre der Galacticos. 2001 kommt Zinedine Zidane für 78 Millionen Euro Ablöse, 2002 Ronaldo für 45 Millionen Euro und 2003 David Beckham für 35 Millionen Euro. Der Champions-League-Triumph 2002 gibt Sanchez und Perez recht und auch wirtschaftlich geht es bergauf.

"David Beckham brachte uns im Marketing- und Merchandising-Bereich 600 Millionen Euro ein", sagt Sanchez. Aber bei der Fokussierung auf das Geschäft verwässert der Blick fürs Sportliche und die Mannschaft verliert ihre Struktur. 2006 muss Perez nach drei titellosen Jahren seinen Hut nehmen. Sanchez bleibt.

Gescheitert sind sie nicht, die Marke Real Madrid ist stärker denn je und die Finanzkraft wächst von Jahr zu Jahr, aber ganz so unabhängig von den Ergebnissen lässt sich ein Fußballklub dann doch nicht führen.

Nach dem Wechsel von Perez zu Ramon Calderon wird Madrid zweimal in Folge Meister, hat aber international den Anschluss an die englischen Spitzenklubs verloren. Viel schlimmer ist aber das, was in den folgenden Jahren passiert. Der FC Barcelona wird unter Pep Guardiola und mit Superstar Lionel Messi zum Role Model im Weltfußball.

Sanchez erfindet sich neu: Real Madrid orientiert sich am FC Barcelona

Mit der Rückkehr Perez' ins Präsidentenamt kehrt auch die Galcticos-Idee zurück. Im ersten Jahr kommen Cristiano Ronaldo, Kaka, Karim Benzema und Xabi Alonso. Um Barcelona zu knacken, reicht das nicht, also kommt 2010 mit Jose Mourinho der zu dieser Zeit vielleicht beste Trainer der Welt.

Filmfan Sanchez sieht im Portugiesen einen fußballerischen George Lucas, den Regisseur der Star-Wars-Filme. Sanchez mag Mourinhos Script rund um die Spiele, sein dramatisches Talent. Real schafft es in der Champions League erstmals nach sechs Jahren wieder übers Achtelfinale hinaus, im zweiten Jahr wird Madrid nach drei Barca-Titeln in Folge Meister.

Aber Schauspieler Mourinho vergiftet die Atmosphäre in Madrid, es braucht einen Neuanfang. Der gelingt mit Carlo Ancelotti als Trainer und auch im Hintergrund ändert sich etwas. "Sanchez hat sich in dieser Phase neu erfunden", sagt Matthias Faidt, LaLiga-Experte bei DAZN. "Das würde zwar niemals jemand öffentlich sagen, aber Real Madrid hat sich am FC Barcelona orientiert."

Dem Sport wird im Klub wieder mehr Bedeutung eingeräumt, Real Madrid akzeptiert, dass es auch nach den Regeln der Branche spielen muss, um sportlich erfolgreich zu sein. Es gibt zwar weiterhin Mega-Transfers wie bei Gareth Bale, aber es wird mehr in das Funktionieren der Mannschaft investiert. Luka Modric und Toni Kroos sind die neuen Instanzen im Mittelfeld, dazu kommen junge, aufstrebende Spieler wie Carvajal, Isco, Raphael Varane, Casemiro oder eben Asensio.

Ein Denkmal für Jose Angel Sanchez?

Für diesen Transfer sollte Real Madrid Sanchez ein Denkmal bauen, meint Reschke. Ein Denkmal haben in Madrid bisher nur Ex-Präsident Bernabeu mit dem Estadio Santiago Bernabeu und Di Stefano vor dem nach ihm benannten Stadion der zweiten Mannschaft bekommen.

Für einen Schattenmann wird es in Madrid sicher keine Statue geben, auch wenn er im Hintergrund das neue Real Madrid entworfen hat. Sanchez wird gut damit leben können, so kann er weiter als rechte Hand von Perez seine Arbeit machen. Als einer der besten CEOs im Fußballbusiness.

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