Wirtschaftsstudent und Geringverdiener: Matteo Pessinas krasser Aufstieg

Von Chris Lugert
Matteo Pessina erlebte in den vergangenen zwei Jahren einen kometenhaften Aufstieg. Die Lebensgeschichte des Europameisters ist eine besondere.
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Das Märchen rund um die italienische Nationalmannschaft, die Mitte Juli den EM-Titel im Wembley-Stadion gewann, ist reich an zahlreichen besonderen Geschichten. Eine davon, die bislang kaum erzählt wurde, liefert Matteo Pessina. Denn der Mittelfeldspieler ist so ziemlich das Gegenteil all dessen, womit Profifußballer heute in Verbindung gebracht werden.

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Denn Pessina ist nicht bekannt für schnelle Autos, teure Uhren oder anderen Luxus. Stattdessen bereitet sich Pessina bereits auf sein Leben nach der Karriere vor. An der Luiss-Universität in Rom studiert Pessina nebenbei Betriebswirtschaft und träumt davon, wie seine Mutter einmal Architekt zu werden. "Als ich jünger war, habe ich Mathematik und Geometrie studiert. Das hat mir dabei geholfen, meinen Horizont zu erweitern und schneller zu denken", sagte der 24-Jährige.

Obwohl er inzwischen Europameister ist und für Atalanta Bergamo bereits Champions-League-Spiele absolviert hat, verdient Pessina - verglichen mit den Unsummen, die inzwischen durch die Fußballwelt wabern -, ziemlich wenig. Sein Jahresgehalt liegt bei etwa 400.000 Euro. Es dürfte nicht wenige Zweitligaspieler geben, die mehr Geld bekommen.

Doch dass er überhaupt seinen Lebensunterhalt mit dem Fußball bestreiten kann, war lange nicht abzusehen. Wohl auch deshalb hat Pessina früh zweigleisig gedacht. Im Sommer 2015 war er als 18-Jähriger zur AC Mailand gewechselt, allerdings lief er nie in einem Pflichtspiel für die Rossoneri auf. In den zwei Jahren, in denen er offiziell bei Milan unter Vertrag stand, wurde er dreimal verliehen - zu US Lecce, Catania Calcio und Calcio Como. Pessinas Realität bestand aus der Serie B oder gar der drittklassigen Serie C.

2017 holte Bergamo Pessina für etwa 1,7 Millionen Euro Ablöse, doch seine Reise durch Fußball-Italien ging weiter. Nach einer Leihe zu Spezia Calcio verbrachte er die Saison 2018/19 tatsächlich bei seinem Stammklub, spielte aber nur eine Nebenrolle. Es folgte eine weitere Leihe, die schließlich zu seinem Durchbruch führen sollte. Bei Hellas Verona war Pessina in der Saison 2019/20 unumstrittener Stammspieler, schoss sieben Tore und kehrte als gereifter Spieler nach Bergamo zurück.

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Pessina: Kaderplatz für die EM erst mit Verspätung

In der vergangenen Saison kam der Teamkollege des deutschen Nationalspielers Robin Gosens auf 40 Einsätze für Atalanta und spielte sich in den Fokus von Nationaltrainer Roberto Mancini. Sein Länderspieldebüt gab er am 11. November des Vorjahres gegen Estland.

Doch vor der EM dann folgte die Enttäuschung. Mancini nominierte den Mittelfeldspieler zunächst nicht für den endgültigen Kader, erst eine Verletzung von Stefano Sensi ließ Pessina doch noch auf den EM-Zug aufspringen. Im dritten Gruppenspiel gegen Wales wurde Pessina dann mit seinem Siegtor beim 1:0-Erfolg zum umjubelten Matchwinner der Squadra Azzurra.

"Es war einfach märchenhaft. Es war ein perfektes Match. Beim ersten Startelfeinsatz bei einer EM zu treffen, ist etwas, von dem man träumt, wenn man mit dem Fußball beginnt. Ich werde eine Woche lang nicht schlafen", kündigte er nach dem Spiel an.

Im umkämpften Achtelfinale gegen Österreich erzielte Pessina das zwischenzeitliche 2:0 in der Verlängerung und legte damit den Grundstein für den Viertelfinaleinzug. Zwar kam Pessina im weiteren Turnierverlauf nur noch im Halbfinale gegen Spanien zum Einsatz, doch an seinem märchenhaften Aufstieg änderte dies nichts mehr. "Mein Beispiel zeigt, dass Spieler, die in der Serie C beginnen, es in die Nationalmannschaft schaffen können, wenn sie bereit sind, Opfer zu bringen", sagte er. An der Universität dürfte er nun öfter erkannt werden.