Wie Mourinho De Bruyne zu einer Bilderbuch-Karriere provozierte

Kevin De Bruyne zieht seit Jahren bei Manchester City im Mittelfeld die Fäden.
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Kevin De Bruyne ist der beste Spieler der vielleicht besten Mannschaft der Welt, die vom besten Trainer der Welt trainiert wird. Mitspieler eifern ihm nach, die Trainer lieben ihn. Aber zur Karriere des Belgiers gehört auch etwas Provokation.

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Für den einen oder anderen mag es eine große Überraschung sein, aber zum Leben gehört auch dazu, dass man sich mal täuschen kann. Dass man das Offensichtliche nicht sieht, das Bevorstehende nicht erahnt. Und es mag noch überraschender sein, dass es selbst den Besten passieren kann. Selbst einem Jose Mourinho.

2013 kehrte Kevin De Bruyne von einer Leihe bei Werder Bremen zurück zum FC Chelsea, wo Mourinho längst wieder übernommen hatte. De Bruyne wollte eigentlich schon wieder gehen - am liebsten zu Borussia Dortmund. Das Vorhaben scheiterte an Mourinho, der De Bruyne im Kader halten wollte. Allerdings gönnte er dem Spielmacher dann nur 133 Minuten bis zum 5. Spieltag - danach war es bezahlter Urlaub.

Als Mourinho zum Jahresende zum Feedback-Gespräch bat, hatte der Portugiese auf seinem Schreibtisch ein paar Blatt Papier vor sich liegen und hielt De Bruyne seine Saisonstatistik vor die Nase: "Null Tore, null Assists."

"Er begann die Statistiken der anderen Offensivspieler wie Willian, Oscar, Mata und Schürrle aufzuzählen. Fünf, zehn Tore, und so weiter", erzählt De Bruyne, doch der Belgier wusste sich zu verteidigen: "Die Jungs, die sie aufgezählt haben, hatten 15 bis 20 Spiele. Ich nur drei. Da ist doch ein Unterschied, oder?"

Mourinho war wie immer wenig beeindruckt, zeigte sich aber doch noch mal gönnerhaft: "Wenn Mata gehen sollte, bist du meine fünfte Wahl, nicht mehr meine sechste."

Fanden nicht richtig zusammen: Jose Mourinho und Kevin De Bruyne
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Fanden nicht richtig zusammen: Jose Mourinho und Kevin De Bruyne

Jose Mourinho: "De Bruyne hat mich beeindruckt"

Gesprochen haben sie danach nie wieder, De Bruyne wechselte zum VfL Wolfsburg, danach zu Manchester City und wie heute die Zahlen auf dem Papier aussehen, lässt sich auf jeder handelsüblichen Statistikseite lesen und bewundern.

Kevin De Bruyne hält zwar für keine kinoreife Selfmade-Superstar-Geschichte her, weil sein außergewöhnliches Talent schon früh entdeckt wurde und auch Mourinho sich darüber im Klaren war, dass De Bruyne ein sehr geeigneter Spieler ist, aber in dem Moment andere besser fand.

Mourinho hat ohnehin eine eigene Version der Geschichte: "Er hat mich so sehr beeindruckt, dass ich nicht wollte, dass er verliehen wird. Ich wollte, dass er bleibt und in unserem ersten Liga-Spiel gegen Hull City stand er in der Startelf."

Doch ein Startelf-Einsatz reichte De Bruyne offenbar nicht: "Im zweiten Spiel fuhren wir ins Old Trafford und danach kam er zu mir und sagte: 'Ich möchte jedes Spiel spielen, ich möchte jede Minute spielen.' Er hat viel Druck ausgeübt." Ob das der Grund ist, warum De Bruyne dann gar nicht mehr spielte oder Mou doch vielleicht das Potenzial des jungen Belgiers nicht richtig einschätzen konnte, lässt er offen.

Scholes: "De Bruyne ist der beste Mittelfeldspieler der Welt"

Fest stehen dürfte, dass De Bruyne heute der beste Spieler der vielleicht besten Mannschaft der Welt ist, die vom vielleicht besten Trainer der Welt geführt wird. Sein Einfluss auf das Spiel von Manchester City ist enorm.

Man kann es wie Mourinho machen, Tore und Vorlagen zählen, aber De Bruyne ist so viel mehr ein Statistik-Produzent. Er ist ein Grund, warum man ins Stadion geht. Er vereint Eleganz und Killerinstinkt. Man sieht ihm gerne zu, hat aber gerade als Gegner auch sehr viel Respekt, weil De Bruyne jederzeit ohne Vorwarnung ein Spiel völlig verändern kann.

Als City zuletzt den Lokalrivalen Manchester United mit 4:1 vom Platz fegte, war De Bruyne mit zwei Toren und einem Assist der Matchwinner und die wütende United-Legende Paul Scholes musste des Gegners Spielmacher loben: "Er ist der beste Mittelfeldspieler der Welt, da kann ihm keiner das Wasser reichen."

Die Meinung teilen tatsächlich viele. Besonders bei Trainern genießt er ein hohes Ansehen. Ob Jürgen Klopp: "Ich liebe ihn. Ich wollte ihn bereits bei Dortmund, als er noch bei Chelsea war, aber Jose wollte ihn mir nicht geben." Ob Belgiens Nationaltrainer Roberto Martinez: "Ein Spieler mit einer großen Vision." Ob - da schau her - Jose Mourinho: "Seine Qualität spricht für sich. Er gehört zu den Top 5 der Welt." Ob sein eigener Trainer Pep Guardiola, der öfter länger ausholt, wenn er über De Bruyne spricht. Dazu aber gleich mehr.

Jack Grealish übte die Pässe von Kevin De Bruyne

Selbst bei den Mitspielern ist die Bewunderung groß. Jack Grealish, für den ManCity vor der Saison über 100 Millionen Euro zahlte, erzählte, wie er als Spieler von Aston Villa seinem späteren Teamkollegen nacheiferte und sogar dessen Pässe studierte.

Grealish erzählt: "Ich schaute mir Clips von De Bruyne an. Ich sagte, dass es das ist, was ich auch machen möchte. Ich will, dass mein finaler Pass genauso ist. Daran habe ich dann gearbeitet. Vergangene Spielzeit gelangen mir in 25 oder 26 Einsätzen dann schon zehn Assists, was ein guter Wert ist. Die Grundlage dafür war Kevins Spielweise und die Art, wie er immer wieder diesen perfekten letzten Pass findet."

Es gibt wahrscheinlich weniger Anerkennung für einen Fußballer, als wenn man von den fähigen Kollegen als Musterbeispiel gesehen und geschätzt wird. Dass Grealish mit seiner Meinung nicht allein dasteht, beweist die Wahl zum Spieler des Jahres, die in England mit den Stimmen der Fußballer abgehalten wird und eine hohe Bedeutung hat.

Für Legende Teddy Sheringham ist es der "wichtigste persönliche Titel, den man bekommen kann". John Terry nennt es die "ultimative Auszeichnung" für einen Fußballprofi, weil die Stimmen von den Kollegen kommen. Die letzten beiden Male wurde De Bruyne sehr eindeutig zum Sieger bestimmt. Zwei Auszeichnungen in Folge gelangen in der langen Historie des Awards bisher nur Thierry Henry, Cristiano Ronaldo und Kevin De Bruyne.

Guardiola: "Ohne De Bruyne wären die Erfolge nicht möglich"

Schon jetzt gilt er als Favorit für den diesjährigen Preis. Auch wenn die Saison schwierig begann, mit einer Verletzung aus dem Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea, die ihn auch bei der EURO 2020 und zum Saisonstart begleitete. Und einer Corona-Erkrankung nach der Rückkehr. Er spielt vielleicht daher auch nicht die beste Saison seiner Karriere, aber wieder so gut, dass es reicht, ihn in höchsten Tönen zu loben.

Für Trainer Pep Guardiola steht fest: "Ich arbeite seit sechs Jahren mit Kevin zusammen. All die Erfolge, die wir gefeiert haben, wären ohne ihn nicht möglich gewesen." Er bezeichnet ihn als "weltweit einzigartigen Spieler", der "außergewöhnliche" Fähigkeiten habe. Und doch will Pep manchmal mehr sehen von seinem besten Pferd.

"Meine Aufgabe als Trainer ist es, immer mehr zu verlangen. Ich möchte ihn aus seiner Komfortzone herausholen und ihn dazu bringen, dass er glaubt, dass er es besser machen kann", sagt Guardiola und fügt an: "Ich glaube, Kevin kann es schaffen. Ich will mehr, weil ich weiß, dass er es schaffen kann."

Sechs gemeinsame Jahre genügen, um zu erkennen, wie ein Spieler tickt. Guardiola wird kaum diese Art von leichter Provokation wählen, wenn er nicht wüsste, dass es seinem Spieler hilft, noch besser zu werden. Er fordert einen Spieler heraus, der die Konfrontation nicht scheut. Ganz im Gegenteil: Er sieht sie als Herausforderung.

Vielleicht ist das auch die späte Erkenntnis aus der Zeit mit Mourinho. Wäre er damals geblieben, anstatt nach Deutschland zu flüchten, hätte seine Premier-League-Karriere viel früher zünden können. Aber zum Leben gehört es auch, dass man sich mal täuschen kann. Dass man das Offensichtliche nicht sieht, das Bevorstehende nicht erahnt. Und es mag noch überraschender sein, dass es selbst den Besten passieren kann. Selbst einem Kevin De Bruyne.

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