"Auswärtsspiel" - die neue SPOX-Kolumne: Wieso Jose Mourinho einen neuen Goran Pandev braucht

Von Fatih Demireli
Jose Mourinho fordert einen neuen Stürmer.
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Jose Mourinho ist einer der besten Fußball-Trainer der letzten 20 Jahre. Doch inzwischen muss sich der 58 Jahre alte Portugiese Sorgen um sein mühevoll aufgebautes Image als Erfolgsgarant machen und die Frage beantworten: Ist er noch "The Special One"?

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Als Goran Pandev kürzlich in der Duisburger Fußball-Arena das großzügige Angebot der deutschen Abwehr, ihn bei der Fabrizierung seines 37. Länderspiel-Tors nicht stören zu wollen, dankend annahm, löste das in Nordmazedonien spontan einen neuen Nationalfeiertag aus. Der 37 Jahre alte Pandev sorgte mit seinem Tor zum 1:0 gegen die DFB-Elf für den Auftakt einer glorreichen Fußball-Nacht für das kleine Land vom Balkan.

Doch auch in London dürfte an diesem Abend ein Mann auf seinem Sofa gesessen haben, vielleicht an seinem Rotwein genippt haben und zumindest anerkennend genickt haben. Vielleicht hat das Tor bei dem Mann auf dem Sofa sogar für eine kleine gedankliche Zeitreise gesorgt.

Zurück ins Jahr 2010, als Pandev zwar auch schon wie 37 aussah, aber seine Beine noch etwas flinker waren. So flink, dass sich der Mann auf dem Londoner Sofa damals überlegte, diesem Pandev eine andere Rolle zuzuteilen. Jose Mourinho hatte damals als Trainer von Inter Mailand die blendende Idee, aus dem Mittelstürmer einen Linksaußen zu machen. Einen, der manchmal mehr Defensivarbeit verrichten musste als offensiv glänzen zu dürfen.

"Ich tat alles, was er mir sagte", erinnert sich Pandev an damals. "Auch, dass ich auf dem Flügel spielte, obwohl ich ein zentraler Stürmer war." Die Akzeptanz war im Erfolg begründet. Denn die Mailänder waren nicht nur national die Benchmark, sondern gewannen international auch die Champions League.

Jose Mourinho: Ist er noch "The Special One"?

Mit Pandev in den wichtigsten Spielen in der Startelf, mit einem Samuel Eto'o, der auf der rechten Seite manchmal ähnliche Aufgaben übernahm, obwohl sein Ego deutlich ausgeprägter war als das von Mourinho. Doch Eto'o hatte die Chance, die Champions League zu gewinnen und sah die wichtigste Trophäe des Fußballs kommen, wenn er seinem Trainer folgte. "Wir haben mit ihm Großes erreicht", sagt Pandev Jahre später.

Es sind diese Episoden der Laufbahn, die Jose Mourinho zu einem der prägendsten Trainer der letzten - bald schon - 20 Jahre machen. Eine Erfolgsgeschichte, die in Porto begann, bei Chelsea, Mailand und Madrid eine Fortsetzung fand. Er holte bei all seinen Stationen mindestens einen Titel. Nur bei Manchester United blieb ihm die nationale Meisterschaft verwehrt und genau diese Station hat Kratzer am Erscheinungsbild des Portugiesen hinterlassen. Als United am 11. November 2018 beim Lokalrivalen Manchester City gastierte und mit 1:3 zurücklag, hatten es die Heimfans auf Mourinho abgesehen. Sie skandierten das, was sich viele dachten, aber nicht offen aussprachen: "You're not special anymore."

Mourinho hasst Niederlagen, er hasst Rückschläge, doch dieser Fangruß dürfte ihn besonders getroffen haben. Vielleicht sogar mehr als seine Entlassung, die wenige Wochen später erfolgte. Klar, wer austeilt und sich als spezielle Prägung versteht, muss auch einstecken könnten, aber hey ... musste ihm gleich das "Special One" absprechen? Und genau diese Frage stellt man sich seit der United-Zeit? Ist er noch "The Special One?" Wie oft Mourinho nach seiner United-Zeit über die United-Zeit sprach, ist ein Hinweis darauf, dass es ihn verletzte, dass er nicht den erhofften Erfolg hatte, aber auch, dass er nicht mehr so unantastbar war wie einst. Die Öffentlichkeit hatte es auf ihn abgesehen, die Fans hatten es auf ihn abgesehen und auch die Spieler, die er sonst immer auf seiner Seite hatte, waren offenbar gegen ihn. Wie es heißt es schön: Er verlor die Kabine.

Goran Pandev im Champions-League-Finale 2010 gegen den FC Bayern München.
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Goran Pandev im Champions-League-Finale 2010 gegen den FC Bayern München.

Zum ersten Mal in seiner Karriere gelang es Mourinho nicht, die Spieler davon zu überzeugen, dass es das richtige ist, was er auf die Taktiktafel kritzelte, um Erfolg zu haben. Selbst bei Real Madrid, wo Egos und Gehälter noch größer waren, schaffte er es, mit viel Mühe seine Mannschaft auf seine Seite zu bringen. Den atmosphärischen Störungen zum Trotz, die es damals auch schon gab.

Mourinhos Gabe besteht darin, zu erkennen, was nötig ist, um Erfolg zu haben und die Umsetzung möglichst schnell voranzubringen. Ob es dann mal der berühmt-berüchtigte Bus ist, der vor dem Tor steht oder eine Gegenpressing-Maschinerie in Fahrt zu bringen, wie einst in Porto. Im Repertoire hat er alles - nur seine Spieler müssen bedingungslos mitmachen. Deswegen machte auch der Wechsel zu Tottenham Hotspur im Jahr 2019 durchaus Sinn. Kein einziger Tottenham-Spieler hat nur ansatzweise so viele Titel wie Mourinho. Die Mannschaft hat eine gute Mischung aus jungen Spielern, die lernen wollen und alten Spielern, die Titel gewinnen wollen. Hören sie ihrem Trainer zu, könnten auch sie Silberware in der Hand halten.

Jose Mourinho: Seine Stationen als Cheftrainer

ZeitraumKlub
2000Benfica Lissabon
2001-2002Uniao Leiria
2002-2004FC Porto
2004-2007FC Chelsea
2008-2010Inter Mailand
2010-2013Real Madrid
2013-2015FC Chelsea
2016-2018Manchester United
2019-Tottenham Hotspur

Jose Mourinho: Spurs offenbaren unerwartete Schwäche

Doch auch im Norden Londons spürt Mourinho, dass es kein Selbstläufer ist. Tottenham bleibt hinter den eigenen Erwartungen zurück und in den Medien wird schon darüber spekuliert, wie hoch die Abfindung ist, die Klub-Besitzer Daniel Levy bezahlen müsste, um Mourinho loszuwerden. Levy, der ein neues, schillerndes Stadion bauen ließ, um auf der internationalen Fußballkarte noch deutlicher zu glänzen, holte Mourinho, für den er schon immer eine große Begeisterung verspürte, um dies auch sportlich zu untermauern.

Mourinho würde den Wunsch seines Chefs gerne erfüllen, aber vor allem auch, um die eigene Reputation wiederherzustellen. "Natürlich habe ich Träume mit den Spurs", sagt der Portugiese bei Canal Football Club und sagt dann ganz offen: "Zuallererst habe ich eine Herausforderung an mich, dass ich mit jedem meiner Klubs einen Titel gewinne. Manche denken, dass dies ein Ego-Ding ist, aber es ist mehr als das. So bin ich aufgewachsen, so bin ich groß geworden, das ist mein Naturell." Nur einen Gegner hat er dabei ausgemacht: den Faktor Zeit. "Man braucht Zeit. Es sieht so aus, als ob die Fußballwelt aus irgendeinem Grund glaubt, dass jeder Zeit verdient. Nur ich nicht. Ich muss es so machen", sagt er und schnippt dabei mit den Fingern.

Völlig untypisch für Mourinho-Mannschaften, hat Tottenham in der laufenden Saison schon 15 Punkte nach Führungen liegen lassen. Das Defensiv-Genie Mourinho, das keine Führungen mehr halten kann? Früher kam eine Führung einem Sieg gleich - und jetzt? Was ist da los, wollte BBC-Reporterin Juliette Ferrington nach dem 2:2 gegen Newcastle United wissen. Mourinhos Antwort: "Der gleiche Trainer, andere Spieler." Ob sich Harry Kane und Co. darüber freuen, wenn sich ihr Trainer so von ihnen distanziert, darf bezweifelt werden.

Dass Mourinho nun erneut auf dem Sofa sitzt, wenn am Dienstagabend die Champions-League-Hymnen ertönt und sein Ex-Klub Real Madrid gegen Liverpool (Liveticker) und sein Dauerkontrahent Pep Guardiola mit Manchester City gegen Dortmund (DAZN und Liveticker) um den Einzug ins Halbfinale kämpfen, dürfte Mourinho extrem nerven. Pep könnte seine CL-Sammlung in diesem Jahr auf drei Titel erhöhen, Zinedine Zidane gar auf vier. Für den zweimaligen Sieger Mourinho wäre gerade der Franzose dann wohl kaum noch einzuholen. Verblüffend: Holt Real Ende Mai in Istanbul den Titel, würde Zidane für vier Champions-League-Titel nur 54 Spiele benötigt haben. Mourinho steht gerade bei 151 Spielen in der Königsklasse. Ob es noch mal je zu einem Titel auf diesem Niveau kommt oder auch nur zu Spiel 152, bleibt abzuwarten. Dafür muss er einfach eine neue Idee finden. Oder einen neuen Pandev.

Fatih Demireli ist Herausgeber und Chefredakteur des Sportmagazins SOCRATES. Ab sofort schreibt Demireli, der von 2010 bis 2016 als Redakteur für SPOX arbeitete, regelmäßig die internationale Fußball-Kolumne "Auswärtsspiel."