Fernando Torres und sein umstrittener Wechsel vom FC Liverpool zum FC Chelsea: Der traurige Judas

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Fernando Torres brach viele Liverpooler Fan-Herzen, als er sich kurz vor dem Ende der Winter-Transferperiode 2011 dem direkten Konkurrenten Chelsea anschloss. Der damalige Premier-League-Rekordtransfer entpuppte sich als gewaltiges Missverständnis - auch, weil "El Niño" mit dem Wechsel sein eigenes Herz brach.

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Wer in Madrid auf der A-42 Richtung Toledo unterwegs ist und die Ausfahrt Fuenlabrada nimmt, bekommt zwangsläufig ein Fußballstadion zu Gesicht. Weder ein besonders großes noch ein besonders schönes. Aber eines, das einem im Gedächtnis bleibt. Es ist nach Fernando Torres benannt, dem früheren spanischen Nationalstürmer.

Der FC Fuenlabrada, ein Zweitligist, trägt hierin für gewöhnlich seine Heimspiele aus. Eine spezielle Verbindung zwischen dem Klub und "El Niño", dem mit 36 Jahren nicht mehr ganz so kleinen Kind, gibt es allerdings nicht. Er wuchs zwar in der Nähe auf, spielte aber nicht einmal in der Jugend für "Fuenla". Aber er ist eben Fernando Torres. Der Junge, der es aus den tristen, von Tabakläden und Müllcontainern nur so wimmelnden Blockbauten des Madrider Vororts rausgeschafft hat. Zunächst bei Atletico, dem Arbeiterklub, berühmt in ganz Spanien. Und später, in der Premier League, berühmt auf der ganzen Welt.

Torres wird, egal in welcher spanischen Stadt er sich aufhält, als Held gefeiert. Er, der die "Furia Roja" 2008 im Wiener Ernst-Happel-Stadion über Jens Lehmann hinweg zum Europameister lupfte. Er, der den bis heute einzigen spanischen WM-Triumph 2010 in Südafrika mit einer wenn auch weniger guten Hereingabe in den Strafraum einleitete, der zum goldenen Treffer von Andres Iniesta führte. Er, der auch im EM-Finale 2012 in Kiew trotz seiner Rolle als Joker mit einem Tor und einer Vorlage zur Demütigung von Gegner Italien beitrug.

Torres: Für Titel riskierte er sogar seine Gesundheit

Torres, das könnte man nicht nur wegen seiner Verdienste im Nationaltrikot meinen, scheint in seiner Karriere alles richtig gemacht zu haben. In seinem Trophäenschrank hängt ja unter anderem noch eine goldene Champions-League-Medaille, die er 2012 dem FC Bayern abluchste. Zudem gewann er vor seinem Abschied aus Europa mit seinem Herzensklub Atletico die Europa League. Und dennoch ist "El Niño", wenn man ihn heute fragt, gar nicht so glücklich mit der Laufbahn, die er im vergangenen Jahr in Japan ausklingen ließ.

Vor allem nicht mit dem, was sich im Januar 2011 zutrug. Torres stand damals noch beim FC Liverpool unter Vertrag. War Stammspieler, Publikumsliebling, Identifikationsfigur. Aber trotzdem nachdenklich. Mit sich, denn mit dem Toreschießen klappte es damals nicht so gut, was auch den ständigen Knieproblemen geschuldet war, die er ein Jahr zuvor bewusst mit Schmerzmitteln und Bandagen kaschiert hatte, um nicht die WM-Teilnahme mit Spanien aufs Spiel zu setzen. Aber auch mit den Ansichten der Liverpooler Vereinsführung, die sich nicht mehr ganz so mit denen vereinbaren ließen, die ihn im Sommer 2007 bewogen hatten, seine Heimat gegen eine Ablösesumme von 38 Millionen Euro zu verlassen.

"Ich wäre vielleicht sogar für meine gesamte Karriere bei Atletico geblieben, aber der Verein hatte zu jener Zeit große finanzielle Probleme und konnte das Geld gut gebrauchen. Nach einem Anruf von Rafa Benitez stand für mich fest, dass Liverpool eine gute Adresse ist, um erfolgreich zu sein. Also ging ich. Ich wollte gewinnen. Mit Liverpool. Aber über die Jahre veränderten sich einige Dinge", erzählt Torres in dem 2017 erschienenen Buch Ring of Fire: Liverpool Into The 21st Century: The Players' Stories von dem englischen Sportjournalisten Simon Hughes.

Fernando Torres folgte 2007 dem Ruf von Rafa Benitez (l.) auf die Insel.
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Fernando Torres folgte 2007 dem Ruf von Rafa Benitez (l.) auf die Insel.

Liverpool 2010/11: Hinter den Erwartungen

Tatsächlich war in Torres' vierter Saison an der Mersey nur noch wenig übrig von den glorreichen "Spanish Reds", die in England und Europa für Furore gesorgt hatten. Ohne Macher Benitez, der im Sommer 2010 nach Diskussionen mit den damaligen Klubbesitzern George Gillett und Tom Hicks hingeschmissen hatte, und ohne jahrelange Stützen wie Xabi Alonso, der bereits 2009 für 35 Millionen Euro an Real Madrid verkauft worden war, drohte sich Liverpool immer weiter von den Top Four zu entfernen.

Torres suchte daher bereits kurz nach dem WM-Triumph das Gespräch mit Geschäftsführer Christian Purslow, heute CEO von Aston Villa, und Benitez' Nachfolger Roy Hodgson, um seine Bedenken zu schildern. "Ich habe ihnen gesagt, dass es mit diesem Team schwierig wird, auf dem Level zu spielen, auf dem wir einmal waren. Mir war es wichtig, zu klären, wie es um die Zukunft des Vereins bestellt ist, weil das für Spielerverkäufe eingenommene Geld nicht nur in neue Verstärkungen investiert wurde", sagt er.

Torres fühlte sich von Liverpool "betrogen"

Purslow habe ihm jedoch nur mitteilen können, dass der Klub zum Verkauf stehe, nicht aber Topspieler - anderenfalls könnte ja ein potenzieller Käufer ins Grübeln geraten, ob er den Klub übernimmt oder nicht. "Niemand sagte zu mir: 'Wir wollen, dass du lange hier bleibst.' Die Message lautete: 'Erst verkaufen wir den Verein und dann kannst du gehen.' Ich wollte mit Liverpool erfolgreich sein, nirgendwo war ich glücklicher als dort. Aber wir waren nicht mehr gut genug und ich hatte nicht das Gefühl, dass sich daran etwas ändert."

Im Gegenteil: Mit Javier Mascherano wurde kurze Zeit später ein weiterer wichtiger Spieler an den FC Barcelona verkauft. "Ich fühlte mich betrogen", so Torres, dem schon zu jenem Zeitpunkt konkrete Anfragen anderer Klubs vorlagen.

Im Herbst sicherte sich schließlich das US-amerikanische Unternehmen New England Sports Ventures, heute als Fenway Sports Group bekannt, die gesamten Anteile der Reds und löste das Gespann Gillett-Hicks an der Spitze des 18-maligen Premier-League-Siegers ab. Purslow aber durfte noch weiter schalten und walten, bekam mit Damien Comolli sogar einen Gehilfen zur Seite gestellt. Doch auch der Franzose, zuvor bei Tottenham Hotspur am Werk, konnte Torres zunächst keine Zukunftspläne darlegen, während sich die Befürchtungen des Angreifers Schritt für Schritt bestätigten: Liverpool spielte eine Hinrunde zum Vergessen.

Die Reds waren 2011/12 weit von einer Topmannschaft entfernt.
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Die Reds waren 2011/12 weit von einer Topmannschaft entfernt.

Fernando Torres: Seine Statistiken beim FC Liverpool

Pflichtspiel-Einsätze142
Tore81
Vorlagen20
Gelbe Karten22
Rote Karten0
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