Meister der Raumdeutung

Dele Alli wechselte im Sommer 2015 zu den Spurs
© getty

Dele Alli von den Tottenham Hotspur ist im Moment der vielleicht beste Spieler der Premier League. Der 20-Jährige hat in der laufenden Saison bereits zehn Tore erzielt und mit seinen Treffern unter anderem die Mega-Serie vom FC Chelsea beendet. Diese Leistungen wecken Begehrlichkeiten, allen voran die spanischen Top-Klubs sollen an die Tür klopfen.

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Nach 86 Minuten hatte Mauricio Pochettino genug gesehen. Das Spiel war entschieden und der Spurs-Coach gönnte seinem Matchwinner mit der Auswechslung die volle Aufmerksamkeit der 31.491 Fans an der White Hart Lane. Die Zuschauer - insofern sie das Team mit dem Hahn im Logo im Herzen trugen - erhoben sich von den Plätzen und trällerten im Chor:

"We've got Alli, Dele Alli, I just don't think you understand. He only cost 5 mill, he's better than Ozil, we've got Dele Alliiiiiiii..."

Und die melodische Lobeshymne hatte sich Dele Alli redlich verdient. Mit seinem Doppelpack hatte er gerade nicht nur Chelseas Monster-Serie von 13 Siegen zerstört, sondern gleichzeitig dem englischen Titelkampf wieder eine gesunde Portion Spannung eingeimpft.

Einen kleinen Makel hat die von den Gunners-Fans abgekupferte Gesangseinlage trotzdem, denn der 20-Jährige möchte aufgrund seiner schwierigen Kindheit nicht mehr mit dem Nachnamen gerufen werden. "Ich fühle keine Verbundenheit zu Alli, dem Namen meines Vaters", sagte der Sohn eines Nigerianers, dessen Trikot deshalb seit Beginn der Saison 2016/17 den Schriftzug "Dele" ziert.

Kometenhafter Aufstieg bei den Spurs

In der laufenden Serie hat The Delstroyer, wie Dele von seinen Mannschaftskollegen genannt wird, bereits zehn Buden auf dem Konto und damit die eigene Marke aus dem Vorjahr egalisiert. Der Gala-Auftritt gegen Chelsea war dabei nur der Gipfel des beeindruckenden Höhenflugs: In den vergangenen drei Ligaspielen schnürte Dele jeweils einen Doppelpack, auch im Match zuvor netzte er. Nachdem er im Sommer noch fahrlässig mit Chancen umging, entwickelte er zuletzt eine wahre Vollstrecker-Qualität: In diesen Partien fand jeder seiner Schüsse auf das Tor auch sein Ziel.

Es ist die vorläufige Krönung seines kometenhaften Aufstiegs. Binnen eineinhalb Jahren schaffte er den Aufstieg von seinem Ausbildungsverein Milton Keynes Dons in der 3. Liga in die Beletage des europäischen Fußballs. "Er ist der wichtigste Spieler, den der englische Fußball in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat", schwärmt Pochettino über den 15-maligen englischen Nationalspieler, der den Spurs sechs Millionen Euro Ablöse wert war.

Mittlerweile hat Dele 52 Liga-Spiele auf dem Buckel, in denen er 20 Tore sammelte - in Europas Top-Ligen hat kein Spieler unter 23 Jahren in diesem Zeitfenster öfter getroffen. Kein Wunder, dass Dele in den englischen Medien teilweise zum Retter des englischen Fußballs hochstilisiert wird und Vergleiche zu den britischen Legenden nicht lange auf sich warten lassen. So rechnet der Mirror vor: Für die ersten 20 Ligatore musste sich Paul Scholes 74 Mal die Schuhe schnüren, Frank Lampard 140 und Steven Gerrard gar 169 Mal.

Experiment im defensiven Mittelfeld gescheitert

Doch diese Querverweise hinken, Deles Spielweise hat mit den genannten Lichtgestalten so viel gemein wie die Three Lions mit dem EM-Titel 2016. Wenig. Während Scholes und Co. den Spielaufbau ihres Teams aus dem zentralen Mittelfeld heraus ankurbelten, erinnert Deles Interpretation seiner Rolle eher an Thomas Müller.

Während Dele im Durchschnitt überschaubare 33 Pässe spielt, besteht sein Hauptauftrag darin, Harry Kane mit weiten Wegen zu unterstützen, Lücken in die gegnerische Defensive zu reißen und plötzlich komplett blank im Strafraum aufzutauchen - wie gegen Chelsea. "Unsere Angreifer bewegen sich viel und ich kann sie hinterlaufen oder bekomme selbst Platz am Strafraum", erklärt Dele.

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Pochettino testete den 1,88 Meter großen, technisch beschlagenen und zugleich flinken Mittelfeldspieler anfangs im defensiven Mittelfeld neben Kumpel Eric Dier, das Experiment wurde aber schnell beendet. Stattdessen wird Dele in dem von Pochettino zuletzt favorisierten 3-5-2 eine deutlich offensivere Rolle zuteil: Zwar muss er die gegnerischen Abwehrspieler im Sinne des modernen Fußballs anlaufen, von tief schürfenden Defensivverpflichtungen ist er aber weitgehend befreit. Seine Stärken liegen auf der anderen Seite des Spielfelds.

"Meister im Räume attackieren"

"Er ist ein Spieler mit viel Aggressivität im Angriff, skrupellos und entschlossen, wenn er nach vorne geht. Das macht ihn besonders gefährlich", analysiert sein Coach und fügt an: "Er versteht das Spiel und ist ein Meister darin, Räume zu attackieren. Er hat eine starke Mentalität und Vertrauen in sich selbst."

Mit seinen beeindruckenden Leistungen hat der Senkrechtstarter einen Löwenanteil am starken Lauf seines Teams. Die Spurs haben die letzten fünf Ligaspiele allesamt für sich entschieden und sich mit 42 Zählern auf Platz drei geschoben.

Verpuffen Deles starke Leistungen nicht wie ein Strohfeuer, steht dem Sprung in die Weltklasse nichts im Wege. Dementsprechend brodelt die Gerüchteküche seit Wochen, allen voran die spanischen Leuchttürme Real Madrid und der FC Barcelona sollen an der Tür klopfen, aber auch PSG hat dem Vernehmen nach seine Visitenkarte abgegeben.

Verpflichtung ein teures Unterfangen

Besonders die Königlichen sind ein altbekannter Verhandlungspartner für die Nordlondoner: 2012 blätterte Real für die Dienste von Luka Modric 30 Millionen Euro auf den Tisch, ehe sie 2013 Gareth Bale für über 90 Millionen Euro aus dem Vertrag herauskauften.

Auch eine Verpflichtung von Dele dürfte kein billiges Unterfangen werden, immerhin verlängerte der 20-Jährige seinen Vertrag erst im Herbst bis Sommer 2022. "Er ist ein 50-Millionen-Pfund-Spieler, warum auch nicht? Dele Alli zeigt Qualität und Talent, das in Europa in seinem Alter schwierig zu finden ist", hing Pochettino seinem Schützling bereits Ende Dezember ein teures Preisschild um den Hals. Spätestens im Sommer dürfte den Spurs das ein oder andere Angebot ins Haus flattern.

Dele Alli im Steckbrief