Die Spur des Geparden

Von Arne Behr
Er verkörpert die perfekte Synthese von Geschwindigkeit und Technik: Tottenhams Gareth Bale
© getty

Harry Redknapp sieht ihn in einer Liga mit Messi und Ronaldo, Real Madrid würde die 100 Millionen Euro-Marke für ihn pulverisieren. Doch Gareth Bale scheint der Hype um seine Person wenig zu beeindrucken, auch wenn er der Idee, das Trikot der Königlichen zu tragen, offenbar nicht abgeneigt ist. Kein Wunder bei einem 23-Jährigen, dessen Karriere gerade erst beginnt und dessen Möglichkeiten endlos scheinen.

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Die großen britischen Spieler haben gegenüber den Superstars anderer Länder einen klaren Vorteil. Er besteht darin, dass ihre Namen auch nach ihrer aktiven Karriere in regelmäßigen Abständen durch die heimischen Gazetten geistern, nämlich immer dann, wenn dort irgendein junger Kerl den Eindruck macht, einigermaßen passabel gegen den Ball treten zu können.

Im Land der fußballerischen Superlative werden dann reflexartig die hochtrabendsten Vergleiche mit den Größten der Großen gezogen, und die stolzen Briten vergleichen natürlich bevorzugt mit ihresgleichen. Die Probleme des englischen Fußballs im Jugendbereich sind aber nach wie vor riesig, und die Sehnsucht nach neuen Stars wächst umgekehrt proportional mit ihrem Auftauchen.

Seit einiger Zeit gibt es wieder einen hoffnungsvollen Nachwuchskicker, so oft wie Gareth Bale ist in den letzten Jahren wohl kein Spieler Gegenstand dieser Gegenüberstellungen geworden. Und dieses Mal scheint die Euphorie durchaus angebracht.

Einzigartige Anlagen

Dass der junge Waliser Gareth Frank Bale einigermaßen passabel gegen den Ball treten kann, fällt schon sehr früh auf. Bereits mit acht Jahren entdecken die Talentspäher der Fußballakademie von Southampton den Jungen aus Whitchurch, Cardiff. Aber erst nach weiteren acht Jahren wird er die örtliche High School in Richtung der Jugendabteilung der "Saints" verlassen.

Bis dahin durchläuft er eine ganzheitliche Sportausbildung und tut sich auch in anderen Disziplinen besonders hervor. Nach Aussage seines Klassenkameraden Sam Warburton, heute walisischer Rugby-Nationalspieler, hätte Bale auch einen hervorragenden Union-Player abgegeben. "Er hatte alles für einen guten Full Back: Die Schnelligkeit, die Beinarbeit, einen super Schuss und die richtige Körpergröße."

Der junge Gareth aber wollte schon immer nur eins: Fußball spielen. Bale besticht schon früh durch seine einzigartige Athletik - die 100 Meter soll er mit 14 Jahren in 11,4 Sekunden gelaufen sein. Dazu kommt eine herausragende Ballkontrolle.

Sein Sportlehrer Gwyn Morris soll ihm des Öfteren, wohl auch im Interesse eines normalen Spielbetriebs, den Gebrauch seines linken Fußes verboten haben, um den schwächeren rechten zu trainieren. Jede Berührung mit links zog dann einen direkten Freistoß fürs gegnerische Team nach sich.

Talent und Disziplin

Meist sind es entweder die schlampigen Genies wie Paul Gascoigne, der an manche auch seiner großen Spiele keinerlei Erinnerungen hat, weil er so zugedröhnt war, oder die akribischen Arbeiter, die durch eine professionelle Berufsauffassung und großen Einsatz das Maximum aus ihren begrenzten Möglichkeiten herausholen. Die Kombination aus beidem aber ist so glücklich wie selten. Gareth Bale scheint einer dieser raren Spielertypen zu sein.

"Er war schon als Junge so fokussiert, so professionell. Ich habe ihn zum Beispiel nie saufen gesehen", erinnert sich Warburton an sein Vorbild auf dem Fußballplatz, der schon immer "in einer eigenen Liga" gespielt habe.

Als fokussiert, bodenständig und familiär beschreiben ihn auch seine Eltern heute noch. Bales größter Held ist immer sein Vater gewesen: "Jeden Tag, wenn er von der Arbeit kam, habe ich ihn angefleht, mit mir Ball zu spielen und er hat es jedes Mal gemacht". Sein Onkel Chris Pike, früher selbst Profi-Fußballer, ist sich sicher, dass sein Neffe sich nicht durch Geld oder Ruhm verbiegen lassen wird, sondern schlicht das Spiel liebt.

Kickstart bei den Profis

Nachdem er ein Jahr bei den U-18-Junioren aushilft, gibt Gareth Bale am 17. April 2006 sein Debüt in der Football League Championship, der zweiten englischen Liga. Damit ist er der zweitjüngste Spieler in der Geschichte, der das schafft, nur sein dortiger Zimmerkollege Theo Walcott ist bei seinem Debüt noch 132 Tage jünger.

Der "Welsh wing wizard" wird jedoch zunächst auf der linken Abwehrseite eingesetzt. Dass die lokale Presse nach seiner ersten Spielzeit vom "kreativsten Saints-Spieler trotz seiner Position" spricht, überrascht aus heutiger Sicht mehr als die Tatsache, dass seine ersten Tore direkt verwandelte Freistöße sind. Mit der zusätzlichen Empfehlung "Football League Young Player of the Year" im Gepäck kommt der damals noch 17-Jährige im Sommer 2007 bei Tottenham an, die Spurs hatten zuvor 5,9 Millionen Euro für ihn auf den Tisch gelegt.

Am 25. August debütiert Bale gegen Manchester United in der Premier League, doch das erste Jahr unter Trainer Juande Ramos wird zum Seuchenjahr. Im Dezember verletzt sich der Youngster am Knöchel und fällt bis zum nächsten Sommer aus.

Freistöße wie Ronaldo, schnell wie Robben

Gareth Bale schießt Freistöße wie Juninho und beackert die Außenbahn in einem Tempo wie Arjen Robben, sein großes Vorbild war immer Landsmann Ryan Giggs.Sein Spiel ist spektakulär, die pfeilschnellen und gleichzeitig eleganten Bewegungen evozieren Raubtiervergleiche. Er ist zweifellos einer der Spieler, die auf "YouTube" eine gute Figur abgeben.

Doch Vergleiche mit anderen Spielern erscheinen ab einem gewissen Grad seltsam unangebracht. Das liegt vor allem an den einzigartigen körperlichen Voraussetzungen des Walisers.

Vom Scheitel bis zur Sohle misst Bale 1,86 Meter, ebenso groß ist Cristiano Ronaldo. Anders als der Portugiese wirkt er in seinem Bewegungsablauf aber auch bei hohem Tempo wendig wie ein quirliger Spanier. Geschuldet ist dies seinem sehr niedrigen Körperschwerpunkt. Zudem bringt er nur 74 Kilo auf die Waage, im Verhältnis zu seiner Körpergröße ein echtes Leichtgewicht.

All das verleiht ihm eine für seine Größe unvergleichliche Dynamik und Wendigkeit. Wenn er zu einem seiner gefürchteten Außenläufe ansetzt und an seinen Gegenspielern vorbeifliegt, gleicht er mit dem langen Oberkörper und den verhältnismäßig kurzen Beinen ein wenig einem Skiläufer, der Slalomstangen passiert.

Der Ball, die Kanonenkugel

Die Nummer 11 der Spurs, während seines ersten Jahres an der White Hart Lane noch als Linksverteidiger mit der Nummer 3 auf dem Platz, wird vom neuen Trainer Harry Redknapp 2008 relativ schnell auf die linke offensive Außenbahn beordert, wo seine Stärken besser zur Geltung kommen sollen. Bis heute bilden er und Benoit Assou-Ekotto ein Duo auf der linken Spurs-Seite.

Neben einer irrsinnigen Grundschnelligkeit und feiner Technik legt der Waliser zudem eine Schusstechnik an den Tag, die ihresgleichen sucht. Als Geburtsstunde des Superstars Gareth Bale gilt gemeinhin das Champions League Gruppenspiel im Oktober 2010 gegen Inter Mailand. Ein Spiel, in dem die Spurs nach 35 Minuten bereits 0:4 in Rückstand lagen und einen Mann weniger auf dem Platz hatten. Zwar kam die Aufholjagd aus Tottenham-Sicht zu spät, doch Bale knallte den Ball noch dreimal fast identisch vom linken Strafraumeck in die Maschen.

Bale schießt meist ohne Effet aufs Tor, dadurch gerät der Ball in der Luft durch den Windwiderstand an den Nähten sowie an Gras- und Bodenresten eher ins Flattern. Durch den speziellen Treffpunkt knapp unterhalb der Mitte des Balles fällt dieser im Idealfall hinter der Mauer wie ein Stein hinunter. Bales Freistöße landen meist in der Mitte oder sogar unten im Netz.

Besonders beeindruckend demonstrierte er diese Kunst bei seinem Auftritt gegen Lyon in der Europa League im vergangenen Februar, als er so doppelt traf.

Komplimente von allen Seiten

Die Spurs haben trotz einer starken vergangenen Saison die Qualifikation für die Königsklasse verpasst. Doch allein der Umstand, dass die Mannschaft bis zum Schluss um Platz vier mitgespielt hat, liegt wesentlich an ihrem Linksaußen.

Am Ende der abgelaufenen Spielzeit steht für Bale die vielleicht wertvollste Auszeichnung seiner noch jungen Karriere ins Haus, als er zum wertvollsten Premier League-Spieler gewählt wird. Nicht nur in England wird er mit Lob überschüttet, die großen Klubs in Europa stehen längst Schlange. Aus Madrid fühlte sich in den letzten Wochen vom Präsidenten bis zum Busfahrer so ziemlich jeder berufen, eine Eloge auf Bale zu halten.

Einige spanische Medien berichten auch schon vom Wechselwillen Bales, der sich lange betont zurückhielt, nun aber zumindest einige dezente Hinweise gab: "Mir gefällt der spanische Fußball am besten", erzählte er dem renommierten Magazin "Esquire". "Meiner Meinung nach ist er der beste, den ich bisher gesehen habe. Natürlich möchte ich andere Ligen kennen lernen. Jeder Spieler will soweit nach oben kommen, wie es geht, und verschiedene Erfahrungen machen."

Tottenham steht auf dem Standpunkt: Man hat noch kein Angebot vorliegen und werde den Spieler auch nicht für 120 Millionen abgeben. Was auch immer passiert, für die Zukunft des jungen Walisers scheint es keine Grenzen zu geben.

Ruhm und Ehre

Nach der Jagd lässt der völlig ausgepumpte Gepard seine Zunge weit aus dem Maul heraushängen, um seinen schlagartig aufgehitzten Körper abzukühlen. Wenn Gareth Bale seinen Fans nach einem Treffer ein Herz mit den Händen formt, zeigt er dabei manchmal auch seine Zunge. Bei ihm ist das dann eher eine Geste des lässigen Triumphes.

In Kombination mit dem 11er-Zeichen, das für seine Rückennummer bei Tottenham steht, möchte er sich diesen Jubel nun sogar patentieren lassen, was ihm unter Umständen mehrere Millionen im Jahr an zusätzlichen Einnahmen bescheren könnte. Ein Vorhaben, das vielen Fans zur Vermutung Anlass gibt, jetzt sei der Bale doch endgültig abgehoben.

Bale selbst sagt dazu unumwunden, er wolle sich effektiver vermarkten und seine Popularität steigern. Sein Facebook-Auftritt kommt bis dato auf geradezu lächerliche 1,1 Millionen Fans. Insofern spielen Messi und Ronaldo mit 47 und 59 Millionen Anhängern wirklich noch in einer anderen Liga. Kategorien, die Bale laut seinem Onkel Chris ja eigentlich nichts bedeuten. Aber das ist wohl etwas, das in der heutigen Zeit einfach ganz normal ist.

Gareth Bale im Steckbrief