Martin Demichelis bei River Plate: Traumstart bei den südamerikanischen Bayern

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Von der viertklassigen Reserve des FC Bayern München zu einem der größten Klubs Südamerikas: Martin Demichelis (42) kehrte im Winter als Trainer zu River Plate zurück - und legte einen beachtlichen Start hin.

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2003 wechselte Martin Demichelis von seinem Jugendklub River Plate zum FC Bayern. Ein talentierter Verteidiger mit langen Haaren, den seine neue Heimat direkt schockierte. "Als ich zum ersten Mal in München gelandet bin, war es sechs Uhr früh", erzählte Demichelis neulich im Interview mit SPOX und GOAL. "Ich habe am Flughafen eine ungefähr 70-jährige Dame gesehen, die eine Weißwurst gegessen und ein Bier getrunken hat. Ich konnte das nicht nachvollziehen."

Jahrelang verteidigte Demichelis anschließend in der ihm zunächst so fremden Bier- und Weißwurst-Stadt München, sie wurde seine zweite Heimat. Nach Stationen beim FC Malaga, Atlético Madrid, Manchester City und Espanyol Barcelona arbeitete Demichelis im Nachwuchsbereich des FC Bayern, zuletzt coachte er eineinhalb Jahre lang die Münchner Reserve in der viertklassigen Regionalliga.

Dann meldete sich plötzlich sein Jugendklub, der nach dem Rücktritt des langjährigen Erfolgstrainers Marcelo Gallardo einen neuen Coach suchte: Demichelis konnte nicht widerstehen, rund 20 Jahre nach seinem Abschied kehrte er heim zu River Plate. Die lange Mähne ist gewichen, seine schon leicht ergrauten Haare sind nun kurz und akkurat zurückgekämmt. Mit Bier und Weißwürsten kennt er sich mittlerweile aus, am Flughafen von Buenos Aires konnte ihn nichts überraschen.

"Ich verlasse diesen Klub mit viel Dankbarkeit im Herzen und freue mich nun auf die große Aufgabe bei meinem zweiten Herzensverein", sagte Demichelis. "River ist das Bayern München Südamerikas. Sie haben sehr ähnliche Prinzipien, Werte und Methoden."

Martin Demichelis: Tabellenführer mit River Plate

Demichelis' Wechsel löste durchaus Verwunderung aus - und zwar hier wie dort. Hier, weil er nach bescheidenem Erfolg bei einem deutschen Regionalligisten die Chance bei einem der größten Klubs Südamerikas bekam. Die Reserve des FC Bayern verpasste unter Demichelis bekanntlich den Aufstieg in die 3. Liga. River gewann mit Demichelis' Vorgänger Gallardo in der jüngeren Vergangenheit derweil zweimal die Copa Libertadores und 2021 den Meistertitel.

Für den argentinischen Journalisten Marcelo Patroncini vom Fußballmagazin Vermouth Deportivo war es dagegen "ein bisschen überraschend, dass Demichelis zurückkehren wollte", wie er im Gespräch mit SPOX und GOAL erklärt: "In Deutschland hatte er immerhin einen Job bei einem der besten Klubs der Welt." Das sagt einiges darüber aus, wie der heimische Fußball in Argentinien im Vergleich zum europäischen gewichtet wird.

Bisher scheint sich der Wechsel trotz aller Verwunderung aber ausgezahlt zu haben: Von seinen ersten zehn Pflichtspielen gewann Demichelis acht, der drittbeste Start eines River-Trainers der Geschichte. Aktuell führt seine Mannschaft die 28 Klubs umfassende Liga an.

Noch vor dem Saisonstart im Januar hatte das argentinische TyC Sports ein erstes Zwischenfazit gezogen: Demichelis sei äußerst engagiert bei der Sache, führe viele Einzelgespräche mit seinen Spielern und schlafe pro Nacht vor lauter Eifer nur "vier bis fünf Stunden". In der alltäglichen Arbeit seien im Vergleich zu Vorgänger Gallardo zwei große Unterschiede erkennbar: der Umgang mit der Defensive und mit den Medien.

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River Plate: Die Neuzugänge schlugen noch nicht ein

Gallardos Hauptaugenmerk lag auf der Offensive: Obwohl seine Mannschaft in der vergangenen Saison den nationalen Titel verpasste, schoss sie ligaweit die meisten Tore. Der ehemalige Verteidiger Demichelis kümmere sich im Training dagegen vorrangig um die Defensive, was sich durchaus lohnen sollte. In vier Vorbereitungsspielen kassierte River kein einziges Gegentor, in zehn Pflichtspielen erst sieben.

"Natürlich liebe ich Ballbesitz, aber nicht den langweiligen Ballbesitz. Wir werden versuchen, so vertikal wie möglich zu spielen", sagte Demichelis kurz nach seiner Ankunft. Aber auch: "Wir arbeiten daran, dass diese Mannschaft hoffentlich irgendwann La Maquina ähnelt." La Maquina ist der Spitzname der vermeintlich besten River-Auswahl der Geschichte. In den 1940er Jahren schoss sie maschinenartig Tor um Tor und gewann reihenweise Titel.

Für die Tore sollte jetzt eigentlich Star-Neuzugang Salomon Rondon sorgen. Der 33-jährige venezolanische Nationalstürmer kam im Winter ablösefrei vom FC Everton. "Er war für die Startelf eingeplant, sitzt aktuell aber meist nur auf der Bank, weil die anderen Angreifer überzeugen", sagt Journalist Patroncini. Vor allem das 21-jährige Eigengewächs Lucas Beltran, dem bereits fünf Treffer gelangen.

Auch der zweite prominente Neuzugang spielt bisher keine Rolle: Matias Kranevitter (29) kehrte nach einigen Jahren in Europa und Mexiko zu seinem Heimatklub zurück, brach sich im Laufe der Vorbereitung aber den Knöchel. Im zentralen Mittelfeld gibt weiterhin Routinier Enzo Perez den Takt vor. Er übernahm vor Saisonstart die Kapitänsbinde vom ehemaligen Nürnberger Javier Pinola, der seine Karriere beendet hat und nun als Demichelis' Co-Trainer fungiert.

River Plate: Martin Demichelis rügt Berichterstattung

Und was war da noch mit den Medien? "In den vergangenen zehn Tagen gab es zwei für Journalisten offene Trainingseinheiten - somit eine mehr als in den drei Jahren zuvor", schrieb TyC Sports im damaligen Artikel. Demichelis würde sich gegenüber der Presse "nicht so hermetisch abriegeln wie El Muneco". El Muneco bedeutet auf Deutsch "Puppe" und ist Gallardos Spitzname aus Spielerzeiten. Als Trainer bekam er einen weiteren: Napoleon.

Demichelis überdachte seine mediale Herangehensweise aber bald, mittlerweile handhabt er es wie sein Vorgänger. Im Zuge der für Journalisten öffentlichen Trainingseinheiten hätten diese laut Demichelis lediglich "Rivers Missgeschicke aufgedeckt" anstatt "über Fußball zu reden". Besonders verärgert war er von der Berichterstattung über Agustin Palavecinos Muskelverletzung.

"Ich habe vier Jahre bei Bayern gearbeitet, wo die meisten Trainingseinheiten mit offenen Türen stattfinden", sagte Demichelis - zumindest bei seiner Reserve. "In Deutschland kann man mit dieser Kultur leben." In Argentinien seiner Meinung nach demzufolge nicht, offenbar wird bei River gehässiger hingeschaut als am Campus des FC Bayern.

Seine Ex-Mannschaft legte nach Demichelis' Abschied übrigens einen Erfolgslauf hin: Nachfolger Holger Seitz holte aus den ersten fünf Spielen im Schnitt 2,6 Punkte, unter Demichelis lag dieser Wert noch bei 1,5.

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