Kolumne - Cristiano Ronaldo und Lionel Messi: Es ist vorbei, aber es ist okay

Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Manchester United, Paris Saint-Germain
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Cristiano Ronaldo (37) und Lionel Messi (35) haben den Fußball nicht nur geprägt, sie haben ihn auch verändert. Umso schwerer fällt es den Megastars zu verstehen, dass ihre Dominanz vorbei ist und frühere Selbstverständlichkeiten nicht mehr da sind. Und dennoch ist es fehl am Platz, sie dafür zu belächeln. Ganz im Gegenteil.

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Chris Gardner wandert von Krankenhaus zu Krankenhaus, um ein sogenanntes Knochendichtenmessgerät zu verkaufen. In den Spitälern zeigt man wenig Interesse daran, weil es entweder schon fortschrittlichere Technik gibt oder weil das Vorführgerät versagt. Gardner verzweifelt an seinem Schicksal, bis dann doch jemand zuschlägt und er sein Glück findet.

The Pursuit of Happyness, gespielt vom großartigen Will Smith, ist eine dramatische Verfilmung einer wahren Begebenheit. Der Film zeigt, wie tief man stürzen kann und was es bedeutet am Boden zu sein, aber auch, dass es sich lohnt, für sein Glück zu kämpfen.

Ganz so dramatisch ist die Lage von Cristiano Ronaldo nicht. Während Gardners Ehe in die Brüche geht, er seine Wohnung verliert und mit seinem Sohn Christopher in einer Bahnhofstoilette schlafen muss, hat Ronaldo genug Mittel, dass er die Suche nach seinem Glück gemütlich von seiner Veranda oder von wo aus auch immer verfolgen kann.

Er wartet darauf, dass sein Agent Jorge Mendes anruft und sagt: "Cristiano, ich habe einen Klub für dich." Einer, der in der Champions League spielt, viel Geld hat, um Ronaldo bezahlen zu können und so groß ist, dass es in die brillante Vita des Portugiesen passt. Vor ein paar Jahren hätte Mendes sich noch aussuchen können, wohin er seinen Klienten hinschickt.

Cristiano Ronaldo: Auch der FC Bayern sagte ab

Man hätte ihn damals womöglich für verrückt erklärt, dass er anruft und fragt, ob jemand Ronaldo haben will. Die Antwort lautete damals: "Will er denn uns haben?" Nun sagen alle ab. Natürlich sagen sie alle nette Sachen, bevor sie das tun. Wie Oliver Kahn vom FC Bayern neulich, der seiner öffentlichen Absage noch ein "So sehr ich Cristiano Ronaldo als einen der Größten schätze" vorausschickte.

Keine Frage, Cristiano Ronaldo ist eine der größten Figuren der Sportgeschichte. Er hat gemeinsam mit Lionel Messi nicht nur eine neue Zeitrechnung, sondern auch ein neues Weltbild im Sport geschaffen. Spricht man heute noch über Muhammad Ali, Michael Jordan oder Diego Maradona und ist so begeistert, als wäre man Zeitzeugen gewesen, wird man auch in Jahrzehnten über Ronaldo und Messi sprechen und schwärmen.

Aber auch wenn sie es vielleicht gar nicht wahrhaben wollen, ist ihre Zeit vorbei. Sie bekommen es sicherlich noch hin, für magische Nächte zu sorgen. Spiele zu darzubieten, in denen man ins Delirium verfällt und diese Zeilen mit Lügen straft. Aber Ronaldo oder Messi haben sich niemals darauf reduziert, nur in einzelnen Spielen zu glänzen, um hier und da in die Schlagzeilen zu geraten.

Sie hatten so eine große Strahl- und Leistungskraft, dass sie nicht nur die Gegner, sondern auch ihre eigenen Mannschaften dominierten. Sie produzierten Magie in Dauerschleife und waren daher unumstritten. Sie machten 15 Jahre lang alles unter sich aus. Wer den Ballon d'Or gewinnt, wer die Champions League gewinnt. Wer nun der beste Fußballer der Welt ist.

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Manchester United schoss ohne Cristiano Ronaldo mehr Tore

Man kann nun natürlich sagen, dass Cristiano Ronaldo torgefährlichster Spieler von Manchester United in der vergangenen Saison war. Aber zum einen blieb er erstmals seit 2009 unter 20 Liga-Toren und zum anderen stellt sich die Frage, ob es wirklich etwas gebracht hat, Ronaldo zu holen. Mit CR7 hat ManUnited 57 Ligatore erzielt. In den vier vorangegangenen Spielzeiten ohne ihn waren es 73, 66, 65 und 68.

United blieb zwar auch vorher im Schatten von Lokalrivale Manchester City und Erzrivale FC Liverpool, aber hatte die Chance, eine Mannschaft aufzubauen. Manchester United glaubte, dass das gewisse Etwas fehlt, um aufzuschließen, aber dieses gewisse Etwas ist kein Spieler, dem es primär darum geht, die eigene Quote hochzuhalten und dann andere zu beschuldigen, wenn der Erfolg nicht eintritt.

Manchester United ist ein kolossaler Verein, der den Erfolg aufgrund seiner DNA braucht und dafür alle erdenklichen Optionen zieht. Am Ende war es die Rückhol-Aktion von Ronaldo, von dessen Strahlkraft man profitieren wollte. Aber Ronaldo wurde am Ende zur Lösung für das Problem, das er verursacht hat. Er verhinderte die Entwicklung der Mannschaft und rettete sie mit seinen Toren.

Auch wenn Erik ten Hag heute sagt, dass er Ronaldo unbedingt halten will, wird der Niederländer insgeheim glücklich sein, wenn er bei seinem ohnehin schwierigen Projekt, ManUnited wiederzubeleben, mit einer gesunden Struktur arbeiten kann und nicht primär einen 37-Jährigen zufriedenstellen muss. Zumal es sich Ronaldo verdient hat, zufriedengestellt zu werden. Wer so viel erreicht hat, wer so raussticht, verdient eine Sonderbehandlung. Die Lösung ist, ihn erst gar nicht zu holen.

Tore und Vorlagen von Cristiano Ronaldo und Lionel Messi (Stand 14.7.2022)

SpielerSpieleToreVorlagen
Cristiano Ronaldo932698230
Lionel Messi810681317

PSG: Cristiano Ronaldo und Lionel Messi gleichzeitig?

Und genau deswegen wird die Suche nach einem ambitionierten Champions-League-Klub auch so schwierig. Es ist nicht überraschend, dass ausgerechnet US-Investor Todd Boehly Ronaldo gerne zum FC Chelsea holen würde, während Thomas Tuchel wahrscheinlich allein die Vorstellung schon Albträume verursacht.

Für Ronaldo kommt es indes zur Unzeit, dass Paris Saint-Germain gerade jetzt wohl zur Vernunft kommt und zukünftig nicht mehr als Bling-Bling-Klub gesehen werden will. Der sportliche Erfolg soll im Vordergrund stehen und nicht das Entertainment-Programm. Es gab sicherlich einige im katarischen Palast, die bei der Vorstellung, Messi und Ronaldo in einer Mannschaft zu vereinen, auseinandergefallen sind.

Aber selbst in einem Konstrukt, indem der Wahnsinn völlig normal ist, wird man merken, dass Ronaldo nicht funktionieren kann, wenn man selbst schon ein Messi-Problem hat. 34 Pflichtspiele, elf Tore - das ist die Bilanz eines Giganten, der einst 670 in 776 Spielen für den FC Barcelona schoss. Sechs Liga-Tore - so viele schoss er als 17-Jähriger in seiner ersten vollen Saison bei Barca zuletzt.

Messi ist längst ein Schatten des PSG-Kolosses Kylian Mbappe. Auch ohne vertragliche Zusicherung, die sich Mbappe im Sommer geben ließ, drehte sich alles um den Franzosen. Daran ändert auch Messi nichts und der Einfluss wurde auch im Fortlauf der Saison immer weniger. Es ist fast schon unglaublich, dass der Argentinier im November noch Robert Lewandowski ausstach und den Ballon d'Or gewann. Denn davon ist er nun weit entfernt.

Sieben Mal Ballon d'Or gegen sechs Mal Ballon d'Or: Lionel Messi gegen Cristiano Ronaldo
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Sieben Mal Ballon d'Or gegen sechs Mal Ballon d'Or: Lionel Messi gegen Cristiano Ronaldo

Lionel Messi: Sein Abschied fällt sanfter aus

Er hatte das Glück, vor der Saison nach Paris gewechselt zu sein. Zu einem Klub, der automatisch Champions League spielt und in der Liga keine so große Konkurrenz hat, dass man mit 35 den unbedingten Willen entwickelt, schon wieder zu gehen bzw. seinen Berater engagieren muss, dass er mal durchfunkt, ob jemand Interesse hat. Messis Abschied von der großen Bühne fällt im Vergleich zu Ronaldo daher eher sanft aus.

Messi hat die Gewissheit, nächstes Jahr in der Champions League zu spielen, während Ronaldo noch den passenden Arbeitgeber sucht. Aber auch dann ist ein Erfolg dort keine Selbstverständlichkeit. Bei der Titelvergabe haben sie schon länger keine Rolle mehr gespielt. Das letzte Mal, dass Ronaldo und Messi mindestens das Viertelfinale der Champions League erreicht haben, war in der Saison 2018/19. Seit drei Spielzeiten sind sie in der Königsklasse fast bedeutungslos.

Bedeutungslos sind beide noch nicht. Dafür können sie noch zu viel, aber sie haben nicht mehr den Einfluss, ihre Mannschaften besser zu machen. Sie haben nicht mehr den Einfluss, zum Ende ihrer Karriere noch einmal ein großes Statement zu setzen.

Rafael Nadal und Novak Djokovic können es noch

In einem Einzelsport wie im Tennis, wo Rafael Nadal noch mit größten Schmerzen die French Open gewinnt und Novak Djokovic mit 35 dank seines Triumphs nochmal Tränen in Wimbledon vergießt, geht das. Im Fußball nicht, weil sie nicht mehr in Mannschaften spielen (werden), die ihr ganzes Schicksal den beiden anvertrauen. Das ist schmerzhaft, aber es ist auch okay.

Sollten beide die Champions League nicht mehr gewinnen und nie wieder mehr ein Tor erzielen, werden sie mit Abstand dennoch mit Stolz auf ihre Karriere zurückblicken dürfen. Sie haben den Fußballfans so viel Unterhaltung geboten, so viele tolle Momente.

Sie haben große Fußstapfen hinterlassen, in die niemand so leicht steigen kann. Sportlich vielleicht ja, Mbappe, Erling Haaland, sie alle können das. Aber die Aura, die Erhabenheit, die Hingabe zum Fußball - das wird auf ewig unerreicht bleiben.

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