Kolumne - Maradona oder Pele? Fritz Walter ist der beeindruckendste Fußballer der Geschichte

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Eine Woche nach Peles 80. Geburtstag lässt Diego Maradonas 60. Ehrentag die Diskussionen um die Frage des besten Fußballers aller Zeiten wieder hochkochen. Martin Volkmar nennt Gründe, warum die heutigen Fans einen anderen Spieler weit höher bewerten und erklärt, welcher noch ältere Fußballer ihn am meisten beeindruckt hat. Die Fußball-Kolumne.

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Vor einer Woche feierte Pele seinen 80. Geburtstag, der nach Ansicht vieler Experten wie etwa Franz Beckenbauer beste Fußballer aller Zeiten. Danach hatten die SPOX-User das Wort und gaben Pele gerade mal 15 Prozent der Stimmen.

Damit lag der dreimalige Weltmeister aus Brasilien, der in seiner Karriere mehr als 1000 Tore erzielte, knapp hinter Cristiano Ronaldo (17 %) und weit abgeschlagen hinter dem klaren Favoriten der User Lionel Messi (39 %). Chancenlos hingegen waren Johan Cruyff (1 %), Franz Beckenbauer (5 %) und auch Diego Armando Maradona (6 %), der am Freitag seinen 60. Geburtstag feiert.

Für die Mehrheit der Fachexperten steht Maradona bei der Frage nach dem Größten der Größten jedoch in etwa auf einer Stufe mit Messi und Pele.

Aber es ist eben auch bald vier Jahrzehnte her, dass "el Pibe de Oro", der Goldjunge, die Fußballfans verzückte. Ein zu dieser Zeit beliebter italienischer Sprechchor in Neapel, wo der einstige Superstar bis heute als Fußball-Gott verehrt wird, lautete: "Mama! Mama! Ich habe Maradona gesehen und mich verliebt."

Verliebt in Maradona

Auch ich sah damals Maradona und war begeistert. Was für ein Spieler: Technisch eine Augenweide, körperlich in seinen besten Zeiten mit einer Pferdelunge, einem Auge für den tödlichen Pass versehen und vor dem Tor eiskalt. Maradona führte Napoli, vor seiner Ankunft nicht viel mehr als ein süditalienischer Provinzklub, fast im Alleingang zu zwei Meisterschaften und zum UEFA-Cup-Sieg. Er gab einer ganzen Region Selbstwertgefühl und war dazu der Spiritus Rector bei Argentiniens WM-Triumph 1986. Im Finale in Mexiko-City hatte Andreas Brehme den Superstar 83 Minuten im Griff, dann entschied Maradona das auf des Messers Schneide stehende Duell gegen Deutschland mit einem Traumpass auf Jorge Burruchaga, der den 3:2-Siegtreffer erzielte.

Deshalb werte ich Maradona höher als Messi, weil dieser zwar beim FC Barcelona Unglaubliches geleistet hat und bei den individuellen Bestmarken und Auszeichnungen einsame Spitze ist. Aber Argentiniens Nationalmannschaft konnte "la Pulga" eben nie zum großen Erfolg führen, häufig scheiterte die Albiceleste mit ihm sogar kläglich. Und Messis Kritiker meinen sogar, diese Barca-Mannschaften hätten eigentlich viel mehr als "nur" drei Champions-League-Triumphe feiern müssen.

Gleichzeitig bin ich weit davon entfernt, Leuten mit anderer Meinung das Urteilsvermögen abzusprechen - ganz abgesehen, dass solche Vergleiche verschiedener Fußball-Generationen ohnehin eher eine nette Fachsimpelei sind. Doch bei meiner anhaltenden Begeisterung für Maradona kann die Mehrheit der SPOX-User nicht wirklich mitreden. Nur rund 20 Prozent der User dürften ihn noch selbst aktiv auf dem Platz erlebt haben.

Nachteil der späten Geburt

Fast die Hälfte unserer User sind zwischen 25 und 34 Jahren alt, also zwischen 1986 und 1995 geboren und demnach frühestens Mitte der 1990er-Jahre mit Fußball in engeren Kontakt gekommen. Zu dieser Zeit hatte Maradonas Abstieg zur koksenden, kugelrunden Skandalnudel bereits begonnen. Auf dem Platz hingegen zauberte damals Zinedine Zidane, so dass der beste Fußballer der Jahrtausendwende auch wenig verwunderlich in der Abstimmung mit immerhin 9 Prozent auf Platz vier gewählt wurde. Logisch, dass Fans und auch Experten vor allem die Spieler für die Größten der Geschichte halten, die sie mit eigenen Augen kicken gesehen haben.

Diese Erfahrung habe ich bislang auch als Jurymitglied der Hall of Fame des deutschen Fußballs gemacht, wo analog zum Durchschnittsalter der Jury die deutschen Stars ab den 1980er-Jahren aufwärts eindeutig die besseren Karten haben. Sogar die Weltmeister-Elf von 1954 ist etwas unterrepräsentiert, von der Wembley-Elf von 1966 finden sich kaum Spieler und angebliche und tatsächliche Helden aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wie die Schalker Ernst Kuzzorra und Fritz Szepan oder Gottfried Fuchs waren bislang chancenlos.

Somit kann sich Pele vermutlich geschmeichelt fühlen, dass er auch mit 80 Jahren noch als die Legende, die er auch tatsächlich war, in Erinnerung ist. Maradona hingegen ist 20 Jahre jünger, aber der Lack ist schon länger ab. Was vor allem an seinem Lebenswandel liegt. Nach seiner Profi-Karriere stürzte er, unterbrochen von meist erfolglosen Comebacks als Trainer, immer weiter ab und reihte Eskapade an Eskapade. Er schoss aus seinem Haus auf vor der Tür lauernde Paparazzi, machte mehrere Entzüge und lag schon beinahe im Sterben - es war ein einziges Trauerspiel.

Ein Autogramm von Fritz Walter

Live aus nächster Nähe habe ich Maradona nur ein Mal gesehen, während der WM 2006 bei einem Spiel in Hannover auf der Pressetribüne: Zugedröhnt, aufgequollen und startklar für den nächsten Partyrausch. In etwa zu dieser Zeit hatte ich eine Diskussion mit einem geschätzten Kollegen, der mit Verweis auf dessen Skandale der felsenfesten Überzeugung war, dass man Maradona niemals zum besten Fußballer aller Zeiten küren dürfe, weil er jegliche Vorbildfunktion vermissen lasse. Ein nicht selten verbreiteter Standpunkt, den ich jedoch nicht teile.

Ich finde, man sollte einen Fußballer nur nach seinen Taten als Fußballer beurteilen. Wo fängt man sonst an und wo hört man auf? Minuspunkte für Cristiano Ronaldo wegen Steuerhinterziehung, für Beckenbauer für das Sommermärchen, für Cruyff wegen übermäßigen Zigarettenkonsums oder für Pele wegen Werbung für Viagra? Schwierig.

Ein Blick aufs Kalenderblatt zeigt allerdings, dass auch beides geht: Herausragende Fußballer, die neben dem Platz ebenfalls absolut integre Menschen waren. Vor 20 Jahren lernte ich bei einer Pressekonferenz anlässlich seines 80. Geburtstags Fritz Walter kennen. Ich fuhr eher widerwillig zu dem Termin nach Kaiserslautern, doch Walters bodenständig-sympathische Art und vor allem seine lebendigen und spannenden Erzählungen über die Zeit im Krieg, den sportlichen Wiederaufstieg danach und vor allem das Wunder von Bern hinterließen bei mir einen so nachhaltigen Eindruck, dass ich mir das einzige Autogramm meines Berufslebens als Journalist geben ließ.

Wenn ich also die beeindruckendste Fußballer-Persönlichkeit wählen müsste, würde ich mich für Fritz Walter entscheiden. Herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag!

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