Gregory van der Wiel: Der Abstieg vom Ajax-Juwel zum vereinslosen Profi

Hat eine bewegte Karriere hinter sich: Gregory van der Wiel.
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Gregory van der Wiel war einst einer der begehrtesten Rechtsverteidiger auf dem Markt. Auch der FC Bayern München wollte ihn unbedingt haben. Seit März ist er jedoch vereinslos. Ein Rückblick auf einen eigenartigen Karriereverlauf.

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"Was ist dein Problem?!" Dick Advocaat platzte an einem Dezembertag im Jahr 2016 endgültig der Kragen. Vor versammelter Mannschaft machte der damalige Trainer von Fenerbahce Gregory van der Wiel zur Sau.

Advocaat kritisierte die Arbeitseinstellung des Rechtsverteidigers, stellte seinen sportlichen Wert in Frage und warf ihm vor, die Chancen, die er gebe, nicht nutzen zu wollen. Van der Wiel habe dem Team nichts gegeben, fauchte der Ex-Bondscoach dem damals 28-Jährigen entgegen - und suspendierte ihn zwei Wochen später.

Van der Wiel hatte damit gedroht, die Reise zum Pokal-Spiel bei Amed SF nach längerer Verletzungspause nicht anzutreten. Zu viel für Advocaat - und so verkam die Suspendierung zum vorläufigen Tiefpunkt in van der Wiels Karriere.

Eine Karriere, die verheißungsvoll begann, früh ihren ersten Knick erhielt, unverhofft dank einer niederländischen Fußball-Legende Fahrt aufnahm und kürzlich in Kanada wohl endgültig zum Stillstand gekommen ist.

Gregory van der Wiel bei Ajax, PSG, Fenerbahce und Toronto

VereinSpieleToreTorvorlagen
Toronto FC34-4
Cagliari6--
Fenerbahce1713
Paris Saint-Germain132422
Ajax Amsterdam1901317

Gregory van der Wiel und sein Rausschmiss bei Ajax

Begonnen hatte sie gewissermaßen schon, als van der Wiel sieben Jahre alt war. Seine Mutter wollte den fast schon hyperaktiven Jungen unbedingt aus dem Haus haben und meldete ihn bei der "Ajax Talent Week" an. An deren Ende war van der Wiel einer der 15 Jungen, die für die berühmte Ajax-Schule auserwählt wurden.

Dort durchlief er sechs Jahre lang die Jugendakademie. "Ein bisschen verwöhnt" habe ihn dieses Rundum-Sorglospaket gemacht, erinnerte sich van der Wiel beim Guardian. Und mit dem Verwöhntwerden entwickelte sich eine gewisse Widerspenstigkeit. "Mit 13 fing ich an zu rebellieren", sagte van der Wiel bei The Players Tribune: "Ich akzeptierte keine Kritik, gab Widerworte, sagte, dass es mich nicht interessiere, wenn ich rausfliege."

Das ließen sich die Trainer nicht gefallen: Van der Wiel musste Ajax verlassen und ging zum Zweitligisten HFC Haarlem - einem Klub, der 2010 sogar Konkurs anmeldete.

Van der Wiel und Ajax: Liebe auf den zweiten Blick

"Das erste Jahr war hart, doch es war auch eine gute Zeit. Ich fing an, wieder besser zu spielen, wurde älter und klüger", sagte van der Wiel. Er begann, sich wohlzufühlen an jenem Ort, der so nah und doch so weit entfernt von den Jugendakademien Amsterdams lag, wo er über das Gebrüll der Trainer und den Profi-Drill immer mehr den Spaß verloren hatte.

Beim HFC hingegen schütteten sie sich gegenseitig Urin anstelle von Limonade in die Trinkflaschen und van der Wiel entdeckte den Spaß am Spiel neu. In Harleem durfte er wieder Kind sein. Binnen drei Jahren spielte er sich dort zurück auf die Zettel der großen niederländischen Klubs. Eindhoven und Feyenoord waren interessiert, doch es zog ihn zurück zu seinem "Traum-Klub" Ajax - dem Klub, dem er noch etwas beweisen wollte.

Van der Wiel fasste nach seinem Wechsel schnell im Reserveteam Fuß, wurde Kapitän und debütierte kurz nach seinem 19. Geburtstag unter Henk ten Cate bei den Profis. Der van der Wiel, der vier Jahre später das Interesse des FC Bayern wecken sollte, war jedoch eine Entdeckung von Marco van Basten.

Ebnete Gregory van der Wiel den Weg, um als Rechtsverteidiger bei Ajax durchzustarten: Der ehemalige Ajax-Trainer Marco van Basten.
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Ebnete Gregory van der Wiel den Weg, um als Rechtsverteidiger bei Ajax durchzustarten: Der ehemalige Ajax-Trainer Marco van Basten.

Van der Wiel: Ajax-Durchbruch, WM-Finale, PSG-Wechsel

Wie van der Wiel zwei Jahre zuvor kehrte van Basten zu Beginn der Saison 2008/2009 zu seinen Amsterdamer Wurzeln zurück. Dafür legte er nach der EM 2008 das Amt als Bondscoach freiwillig nieder. Die Ankunft von van Basten wurde zum Glücksfall für den 20 Jahre alten van der Wiel. Der hatte zuvor noch in der Viererkette als Innenverteidiger gespielt.

Van Basten aber sah in van der Wiel vielmehr den Rechtsverteidiger der Zukunft. "Ich wuchs in die Rolle hinein", sagte van der Wiel über seine rasante Entwicklung unter van Basten und dessen Nachfolger Martin Jol, die ihn bis in die Elftal, auf den Zettel von Juventus und ins WM-Finale 2010 spülte.

Als "einer aus einer Milliarde" habe er sich damals am Abend des 11. Juli in der Soccer City in Johannesburg gefühlt, weil nach seiner Rechnung mindestens eine Milliarde Kinder davon träumen, bei einem WM-Finale in der Startelf zu stehen.

Die Endspiel-Niederlage gegen Spanien verarbeitete er mit nationalen Titeln: Unter Frank de Boer wurde Ajax in den Folgejahren Meister. Van der Wiel war trotz langwieriger Leistenprobleme gesetzt - und im Sommer 2012 weg. Paris Saint-Germain hatte mit den großen Scheinen und dem Versprechen auf die Champions League gelockt.

Spielte 120 Minuten im WM-Finale 2010: Gregory van der Wiel, hier im Zweikampf mit Spaniens Cesc Fabregas.
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Spielte 120 Minuten im WM-Finale 2010: Gregory van der Wiel, hier im Zweikampf mit Spaniens Cesc Fabregas.

Van der Wiel wurde FC Bayern "auf dem Silbertablett" serviert

Dass er trotz zahlreicher Angebote von europäischen Top-Klubs erst 2012 den Sprung ins Ausland wagte, hing auch mit Louis van Gaal zusammen. 2010 habe man der eigenwilligen Trainer-Legende van der Wiel quasi "auf dem Silbertablett serviert", erzählte Bayern-Präsident Uli Hoeneß. Van Gaal legte sein Veto ein, wollte auf Philipp Lahm und den eigenen Nachwuchs um Diego Contento und David Alaba setzen - und der Deal platzte.

"Klar war es hart", meinte van der Wiel über seine Ankunft in der französischen Hauptstadt, "aber auch sehr schön". Einerseits fühlte er sich als modebewusster und extrovertierter Mensch in der Metropole auf Anhieb wohl. Weil sich das Leben dort nicht nur um Fußball drehe, sagte er.

Andererseits glichen die vier Jahre bei PSG einer Berg- und Talfahrt. "Mal bin ich nicht einmal mehr gut genug für den Kader, dann spiele ich im Champions-League-Viertelfinale", so van der Wiel. Eine Zusammenfassung, die sowohl unter Carlo Ancelotti als auch unter dessen Nachfolger Laurent Blanc gültig war.

Van der Wiel bei PSG: Zoff mit Ibra, böses Blut mit Blanc

Zwar lief es für ihn unter Blanc besser - immerhin kam van der Wiel auf 27 CL-Einsätze, wurde zum drittbesten Vorlagengeber der Ligue-1-Verteidiger und holte drei Meistertitel - doch unangefochtener Stammspieler war er nie. Serge Aurier und Marquinhos standen meist vor ihm.

Besonders die Bevorzugung von Marquinhos war für ihn ein persönlicher Affront, weil der Brasilianer ihm verraten hatte, dass er eigentlich gar nicht auf der rechten Seite spielen wollte. Blanc habe ihm so das Gefühl gegeben, nicht gut genug zu sein, sagte van der Wiel und sprach von "keiner sehr guten Beziehung" zum Trainer.

Das Gefühl, nicht mehr wichtig zu sein, nagte an ihm und erweckte den 13-jährigen, rebellischen Knaben aus der Ajax-Schule wieder. Im März 2016 kam es zum Eklat: PSG führte zur Pause mit 3:0 gegen Troyes, die vierte Meisterschaft in Folge war quasi perfekt. Doch in der Halbzeit musste sich van der Wiel einige Sprüche von Zlatan Ibrahimovic anhören, da er zahlreiche Chancen liegen gelassen hatte.

"F*** dich", schrie der Niederländer dem Superstar entgegen, bat Blanc um eine Auswechslung, flüchtete aus dem Stadion und nahm den ersten Flug nach Amsterdam.

Hatten große Differenzen am Ende bei Paris Saint-Germain: PSG-Trainer Laurent Blanc und Gregory van der Wiel.
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Hatten große Differenzen am Ende bei Paris Saint-Germain: PSG-Trainer Laurent Blanc und Gregory van der Wiel.

Van der Wiels Karriere im Stillstand: Endstation Kanada

Bei einer saftigen Geldstrafe blieb es nicht, der Bruch mit PSG im Sommer war unvermeidlich. Van der Wiel hatte genug von Blancs Sprunghaftigkeit und all den Ibrahimovics, die ihm sagten, was er zu tun und zu lassen hatte - und ging ablösefrei zu Fenerbahce.

Doch der Sport geriet am Bosporus immer mehr in den Hintergrund: Einerseits kümmerte er sich akribisch um sein 2013 mit Eljero Elia gegründetes Modelabel BALR. Andererseits war da noch seine Lebensgefährtin Rose Bertram. Ein belgisches Model, das er schon mit 17 kennengelernt und später geheiratet hatte.

Böse Zungen behaupten bis heute, van der Wiel sei in seinem einen Jahr in Istanbul öfter auf Fotoshootings gewesen als auf dem Trainingsplatz. Eine Übertreibung, doch den Fokus auf das Wesentliche hatte er verloren.

Und da war er nun. 14 Jahre nach Haarlem plötzlich in Istanbul, einer fremden Stadt, als Flop abgestempelt und mit Advocaat, der ihm beschriebene Gardinenpredigt hielt. Es folgte die Suspendierung, danach ein 4,5-Millionen-Dollar-Betrug. Ein ihm Unbekannter bat ihm eine Geschäftsbeteiligung bei entsprechender Vorauszahlung an. Dabei wurden van der Wiel gemeinsame Auftritte mit Boxer Floyd Mayweather und Sänger Justin Bieber versprochen. Das Geld sah er nie wieder.

Aus der Türkei verschlug es van der Wiel schließlich nach Sardinien zu Cagliari. Dort geriet er mit Trainer Diego Lopez aneinander und flüchtete sechs Monate später in die MLS zum FC Toronto. Endstation Kanada?!

Van der Wiel: Nur noch einer von Hunderten

Ein Zuhause sei es dort für ihn geworden. Ein Ort, an dem er nach eigener Aussage nicht auf sein Aussehen mit den vielen Tattoos, seinen Lebensstil und die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken reduziert werde.

Doch der Frieden, den er mit dem Business Profifußball vermeintlich geschlossen hatte, war trügerisch. Mit Trainer Greg Vanney geriet er in einen weiteren, heftigen Streit. Während van der Wiel davon sprach, dass seine Siegermentalität dem Team "ein bisschen zu viel" gewesen sei, stellte der Klub die Charakterfrage.

Und zahlte dem Rechtsverteidiger den Rest des vertraglich festgesetzten Gehalts aus. Hauptsache, er geht. Kanadische Medien schrieben von einem "messy breakup", einer hässlichen Trennung. Nicht die erste in van der Wiels Karriere, aber vielleicht die letzte. Aus dem "einen unter einer Milliarde" ist einer von Hunderten geworden. Nämlich ein vereinsloser Profi.

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