Nie mehr samstags

Von Marc-Oliver Robbers
Johan Vonlanthen spielt jetzt in der kolumbianischen ersten Liga für Itagüi Ditaires
© Getty

Johan Vonlanthen gehörte einst zu den größten europäischen Talenten. Bei der Europameisterschaft 2004 war er der jüngste Torschütze aller Zeiten. Doch seine Karriere stockte. Einer der Gründe ist Vonlanthens Glaube, der ihm verbietet, samstags zu spielen. Jetzt ist er in seine Heimat Kolumbien zurückgekehrt und scheint glücklich.

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Es war der 21. Juni 2004. Der 18-jährige Johan Vonlanthen lief bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal das erste Mal von Beginn auf. Nur 26 Minuten später erzielte er für die Schweiz den zwischenzeitlichen Ausgleich gegen Frankreich und wurde dadurch zum jüngsten EM-Torschützen aller Zeiten.

Ein kometenhafter Aufstieg für den gebürtigen Kolumbianer, der im Alter von zwölf Jahren mit seiner Mutter und deren Urlaubsbekanntschaft, Ex-Nati-Trainer Roger Vonlanthen, aus der Hafenstadt Santa Maria in die Schweiz kam.

Profidebüt mit 16

Fußballerisch groß wurde Vonlanthen bei den Young Boys Bern. Mit gerade einmal 16 Jahren gab er sein Debüt im Profifußball und traf gleich im ersten Spiel. Lobeshymnen prasselten auf den Youngster hernieder, und schnell wurden die europäischen Spitzenklubs auf den Offensivspieler aufmerksam.

Der niederländische Spitzenklub PSV Eindhoven erhielt im Sommer 2003 schließlich den Zuschlag. Dort sah er sich allerdings der erdrückenden Konkurrenz namhafter Stürmer wie Arjen Robben, Mateja Kezman oder Jan Vennegoor of Hesselink ausgesetzt.

In seiner ersten Saison kam er lediglich auf einen Kurzeinsatz in der Liga. Die zweite Saison verlief ähnlich. Trainer Guus Hiddink warf Vonlanthen taktische Defizite und eine unzureichende Lernbereitschaft vor.

Der schnelle Karrieresprung schien dem Angreifer nicht gut bekommen zu sein. In der Schweiz haftete ihm der Ruf einer Diva an. Abseits des Rasens wirkte er wortkarg, ein typischer Eigenbrötler. Die Karriere geriet ins Stocken. Leihen zu Brescia Calcio und NAC Breda verliefen alles andere als erfolgreich.

Eklat vor der WM 2006

Dennoch hatte er die Weltmeisterschaft 2006 fest im Blick. Bei einem Sprinttest im Vorfeld zog sich Vonlanthen eine Muskelverletzung zu. Der WM-Traum war geplatzt. Hakan Yakin wurde für ihn nominiert. Damit konnte sich das Ausnahmetalent aber nicht abfinden.

Er ließ einen eigenen Untersuchungsbericht anfertigen, der ihm eine Einsatzfähigkeit für das Turnier bescheinigte. "Ich fühle mich fit und bin trainingsbereit. Der letzte Fitnesstest mit Sprints und Ball hatte zum Ergebnis, dass ich absolut schmerzfrei bin", sagte er damals.

Beim Schweizer Verband kam der Alleingang gar nicht gut an. "Unsere drei Ärzte sind ja keine Nobodys. Zusammen mit den Physios waren sich alle einig, dass die Verletzung von Johan schwerwiegend ist. Wieso sollten sich gleich sechs Profis irren", entgegnete der Nationalmannschaftsdelegierte Ernst Lämmli vor dem Turnier. Vonlanthen musste zuschauen und stand in der Heimat aufgrund seines Egoismus' in der Kritik.

Es musste ein Neuanfang her. Der ambitionierte Klub Red Bull Salzburg nahm Vonlanthen unter Vertrag. Unter Trainer Giovanni Trapattoni und seinem Co Lothar Matthäus sollte die Wende gelingen. Matthäus lobte den Neuzugang überschwänglich:"Wir wollen Vonlanthen bei uns jene fussballerische Heimat geben, die ihm zuletzt gefehlt hat. Und dann bin ich mir sicher, dass er sich bei uns entscheidend weiterentwickeln kann. Er ist ein Riesentalent."

Neuanfang in Salzburg

Die erste Saison verlief mit fünf Toren und zwölf Assists vielversprechend. In der Folgesaison stoppt ihn jedoch eine langwierige Leistenverletzung. Das hinderte den spanischen Erstligisten Racing Santander aber nicht daran, öffentlich um den Schweizer zu buhlen. Vonlanthen machte das Spiel mit und kokettierte mit einem Wechsel nach Spanien. Der Wechsel zerschlug sich, ein fader Beigeschmack blieb zurück.

Der Stammplatz war futsch und auch die nachfolgenden Trainer Co Adriaanse und Huub Stevens setzten nicht mehr auf Vonlanthen. Per Leihe ging es zurück in die Schweiz zum FC Zürich. Mit Erfolg. Zehn Tore in 27 Spielen standen am Saisonende zu Buche.

Nicht nur auf dem Platz war eine Entwicklung zu sehen, auch menschlich schien Vonlanthen gereift. "Anstatt eine Bühne zu bekommen, saß ich oft auf der Bank. In mir staute sich alles auf. Ich wollte die Probleme aus eigener Kraft beseitigen und stolperte dabei über meinen eigenen Charakter. Die Presse sagte, ich sei arrogant, ein Rebell und introvertierter Problemspieler", blickt er zurück.

Er heiratete seine kolumbianische Freundin Rosa und fand über sie den Weg zum Glauben. Damit sorgte er wieder für Schlagzeilen. Gerüchte machten die Runde, dass er sich den Siebenten-Tags-Adventisten angeschlossen haben soll. Eine Sekte für die der Samstag heilig ist. Im Winter 2009 geisterte die Ankündigung durch die Medien, dass Vonlanthen seine Karriere mit sofortiger Wirkung beenden werde, da er aufgrund seines Glaubens samstags nicht mehr spielen könne.

Das Dementi folgte umgehend. Er brachte die Saison in Zürich zu Ende und kehrte nach Salzburg zurück, da man sich nicht auf eine Ablösesumme einigen konnte. Dabei hatte man in Salzburg weiterhin keine Verwendung für Vonlanthen. Zudem stoppte ihn ein Knorpelschaden im Knie. Nach seiner Genesung durfte er sich nur noch bei der zweiten Mannschaft fit halten. Ein Wechsel zu Hapoel Tel Aviv im Winter zerschlug sich. Am letzten Spieltag der Vorsaison feierte er ein kurzes Comeback für Salzburg.

Rückkehr nach Kolumbien

Doch damit endete auch das Kapitel Salzburg für ihn. Und zur Überraschung aller auch das Kapitel Europa. Vonlanthen wechselte ablösefrei in seine Heimat Kolumbien. Der Aufsteiger Itagüi Ditaires aus Medellin ist sein neuer Arbeitgeber. Sein Jahresgehalt beträgt etwa 33.000 Euro. "Geld spielt keine Rolle mehr", gibt Vonlanthen zu Protokoll. Die Religion allerdings schon. In seinem Vertrag ließ er sich festschreiben, dass er samstags nicht mehr spielen muss. Für den Verein kein Problem. In Kolumbien finden die Profispiele in der Regel mittwochs und sonntags statt.

Dass damit seine Karriere praktisch beendet ist, stört den heute 25-Jährigen keinesfalls. "Mir ist egal, was die anderen denken. Ich will nicht berühmt sein. Ich habe andere Werte als früher. Ich will einfach eine normale Person sein, die Fußball spielt. Jeder darf über meine Rückkehr nach Kolumbien denken, was er will. Ich bereue nichts: Weder meine Karriere in Europa noch meine Rückkehr in die Heimat", sagte Vonlanthen im Interview mit der Schweizer Boulevardzeitung "Blick".

Nach vielen Missverständnissen in Europa ist die Rückkehr nach Kolumbien für ihn ein Neuanfang. "Hier muss ich niemandem meinen Glauben erklären. Der Trainer bei Itagüi hat auf seinem iPhone Bibelverse. Wir lesen sie und beten vor jedem Training. Hier verstehen mich die Leute. Gott steht für mich an erster Stelle, danach kommen Familie und Arbeit. Ich lebe nach den zehn Geboten. Ein Gebot lautet: 'Am 7. Tage sollst du ruhen.' Der 7. Tag ist der Samstag. Das will ich befolgen. Gott bedeutet mir alles!"

Vor zwei Jahren ließ er in der Nähe von Medellin eine Kirche bauen. Dort wird das einstige Megatalent in Zukunft seine Samstage verbringen und er scheint dabei glücklich zu sein.

Johan Vonlanthen im Steckbrief

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