EM

Giovanni Zarrella im Interview vor EM-Start: "Mein Sohn und Totti - Toni Rüdiger hat mir diesen Moment geschenkt"

Giovanni Zarrella sieht die Italiener bei der EM auf einem Rachefeldzug.
© spox

Musiker Giovanni Zarrella spielte in der Jugend für die Roma und bezeichnet Fußball neben der Musik als seine ganz große Leidenschaft. Vor dem EM-Auftakt (Italien vs. Türkei, 21 Uhr im LIVETICKER) spricht der 43-jährige Sänger über seine Freundschaft zu Nationalspieler Antonio Rüdiger und erklärt, warum sich Italien auf einem Rachefeldzug befindet.

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Außerdem verrät Zarrella, der zuletzt mit seinem zweiten Album "CIAO!" erstmals die Spitze der Charts als Solokünstler erreichte, bei welchem Karriereende er Rotz und Wasser heulte, wie er bei der WM 2006 im Auto sitzend fast gestorben wäre vor Anspannung und wie sehr er mit der Roma leidet.

Weitere Themen: Francesco Tottis Abschied live im Stadion und der denkwürdige Abend, an dem er 113 Kölsch ausgeben musste.

Herr Zarrella, die Roma ist Ihr großer Herzensverein, Sie haben sogar selbst in der Roma-Jugend gespielt, wie lief das damals?

Giovanni Zarrella: Alles fing bei einem internationalen Jugendturnier an, bei dem ich damals mitspielte und bei dem auch die Roma-Jugend dabei war. Da wurde ich praktisch gescoutet. (lacht) Mein Vorteil war es, dass die Leute von der Roma vor Ort schlechtes Englisch gesprochen haben und froh waren, mit meinem Vater jemanden zu haben, mit dem sie sich auf Italienisch unterhalten konnten. Dazu kam, dass ich einerseits Linksfuß war, die sind heute teilweise ja immer noch rar gesät, aber gerade damals war das noch mehr der Fall, und andererseits habe ich für die Italiener die deutschen Eigenschaften verkörpert. Fleiß, Beharrlichkeit, Disziplin. Ich bin dann erstmal zu einem Probetraining eingeladen worden und da war ich sofort auch Il Tedesco. Der Deutsche.

Wie ging es dann weiter?

Zarrella: Ich habe die Chance bekommen, zu bleiben und für uns als Familie war das damals ein Volltreffer. Mein Papa kommt aus Rom und hat sich total gefreut, wieder in die italienische Heimat zurückzukehren. Leider war die Zeit dann relativ kurz, wir waren am Ende nicht einmal ein ganzes Jahr in Rom, auch weil mein Großvater in der Zeit leider verstorben ist. Er war das Familienoberhaupt, das war ein schwerer Schlag für uns. Der Fußball war in der Zeit der Strohhalm, der mich gerettet hat, weil es auch in der Schule nicht so einfach war.

Aber von der Sprache her hätte Ihnen das doch leicht fallen müssen.

Zarrella: Ich war aber wie ein Fremdkörper, ich habe damals auch kein ganz sauberes Italienisch gesprochen. Und das Schreiben ist nochmal eine andere Geschichte. In der Musik hatte ich auch keine Kontakte in Rom, es war wirklich der Fußball, der mich aufgefangen hat. Ich bin alleine mit dem Bus zum Trainingsgelände gefahren, das haben mir meine Eltern erlaubt. Heute würde ich als Vater einen Herzinfarkt bekommen, aber meine Eltern haben mir das zugetraut. So bin ich hingefahren, habe trainiert und bin am späten Abend zurückgekommen. Das war toll. Auch deshalb denke ich bis heute sehr gerne an die kurze, aber schöne Zeit zurück. Ich habe immer noch die Trainingstasche, die ich damals bekommen habe. Auch ein paar alte Trainingsshirts, die werde ich nie hergeben. Und ich erinnere mich fußballerisch vor allem sehr gut, wie krass der Unterschied war von Deutschland zu Italien, was die Taktik-Schulung angeht.

Inwiefern?

Zarrella: Als ich dort war Anfang der 90er Jahre, begann gerade die ganz große Zeit der Serie A, es war die Blütezeit von Arrigo Sacchi - und das hat man in jedem einzelnen Training gemerkt. Es wurde ständig unterbrochen, um einen Spieler wieder von A nach B zu schieben und taktisch etwas zu erklären. Ich war teilweise schon fast genervt davon, weil ich es gewohnt war, mehr zu spielen, aber im Nachhinein muss ich sagen, dass diese Zeit enorm wertvoll war. Man hat richtig gesehen, wie sich so Automatismen einfach viel schneller und besser einspielen.

Zarrella: "Ich höre jeden Tag römisches Radio"

Wie ambitioniert waren Sie denn damals unterwegs? Wenn man in der Jugend eines so großen Klubs spielt, ist der Traum vom Profi ja unweigerlich da.

Zarrella: Das stimmt. Ich finde, das Wort ehrgeizig ist so ein bisschen negativ behaftet, aber ich war schon ambitioniert und sehr beharrlich. Ich wollte etwas erreichen. Das hat sich auch bis heute nicht geändert. Wenn ich heute in den Alten Herren spiele und wir verlieren, habe ich immer noch schlechte Laune. Ich habe sogar schlechte Laune, wenn ich einen Trainingskick verliere. Dann ärgere ich mich. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig. Das gilt für alles im Leben und vor allem für den Fußball. Um den Weg zum Profi gehen zu können, brauchst du aber auch immer ein bisschen Glück. Du brauchst einen Trainer, der dir eine Chance gibt, das Timing muss passen, wenn vielleicht gerade auf deiner Position mal jemand ausfällt. Es kann aber genauso gut passieren, dass du in der Serie C versauerst und den Sprung nie schaffst.

Sänger Giovanni Zarrella ist leidenschaftlicher Roma-Fan und kickt auch gerne noch selbst.
© imago images
Sänger Giovanni Zarrella ist leidenschaftlicher Roma-Fan und kickt auch gerne noch selbst.

Und Sie hatten ja immer auch noch die Musik.

Zarrella: Genau. Bei mir war es immer so, dass die Musik und der Fußball meine beiden großen Leidenschaften waren. Ich habe so lange wie möglich versucht, parallel beides zu machen. Aber mir war klar, dass das irgendwann nicht mehr funktionieren kann und als die Musikkarriere durch das Popstars-Casting Fahrt aufnahm, war es mit dem Fußball in der Form vorbei. Aber ich bin so glücklich, wie alles gekommen ist, weil ich meine großen Leidenschaften auch heute jeden Tag ausleben darf. Es gibt drei Dinge, ohne die ich nicht leben könnte: Die Familie, die Musik und der Fußball. Diese drei Themen bestimmen mein Leben. Diese drei Themen machen mein Leben aus. Egal, ob es als Musiker ist oder wenn ich jetzt bald eine große Samstagabend-Show moderieren darf, was auch eine Art Musik-Show sein wird - ich empfinde das nicht als Arbeit. Es ist meine Leidenschaft, der ich nachgehen darf. Ich mache das, was ich liebe. Das ist ein großes Glück.

Wie äußert sich dieser Dreiklang bei Ihnen zuhause?

Zarrella: Unser ganzer Alltag wird dadurch bestimmt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Heute Morgen haben wir gefrühstückt, da lief im Hintergrund Musik. Das ist bei uns immer so. Danach habe ich das römische Radio angeschmissen, um zu erfahren, was bei der Roma los ist. Ich höre jeden Tag römisches Radio. Meine Frau erträgt es manchmal kaum, immer Roma, Roma, Roma, sagt sie dann, aber ich brauche das. (lacht) Dann ging es also um Fußball. Danach habe ich Fanboxen signiert, da war ich wieder bei der Musik. Und jetzt sprechen wir wieder über Fußball. So geht das den ganzen Tag. Wir bauen zuhause auch gerade einen kleinen Soccer-Court, auf dem ich dann mit meinem Sohn kicken kann.

Zarrella: "Bei Baggios Abschied Rotz und Wasser geheult"

Emotional sind die Musik und der Fußball auch sehr ähnlich, oder?

Zarrella: Total. Musik und Fußball verbindet so viel. Wenn ich singe und den Applaus der Zuschauer bekomme, werden bei mir die gleichen Glücksgefühle freigesetzt wie bei einem Tor oder bei einer geilen Abwehraktion. Bei einer geilen Grätsche. Und genauso, wie ich das Teamgefühl im Fußball liebe, das Abklatschen in der Kabine, das gegenseitige Pushen, versuche ich, mir dieses Teamgefühl auch in der Musik zu schaffen. Ich habe ein Team gefunden um mich herum, bei dem ähnlich wie in einer Fußballmannschaft ein Rad in das andere greift. Und wenn wir ein Album veröffentlichen, gemeinsam alles für den Erfolg tun und dann in den Charts auf der Eins landen, fühlt sich das für uns an wie ein großer Titel im Fußball. Die Glücksgefühle sind ganz ganz ähnlich.

Wer war denn Ihr großes Idol in der Jugend?

Zarrella: Ich bin ja wie vorhin erwähnt Linksfuß, deshalb war mein direktes Vorbild immer Paolo Maldini. Maldini war das Nonplusultra auf meiner Position. Wenn ich mir vorstelle, wie er da stand, wie gemalt, wie aus Blei gegossen, wie Herkules. Maldini war wie ein junger Gott. Zu Maldini kam dann ganz schnell auch Francesco Totti dazu, als die große Symbolfigur meines Klubs. Und mein erster richtiger Held war Roberto Baggio. Als er aufgehört hat, habe ich Rotz und Wasser geheult. Baggio war das Symbol für Italianita. Für den Charakter Italiens. Er war kein Fußballer, er war Künstler. Es gab nie mehr einen solchen Spieler, der die Hoffnung eines ganzen Landes so personifiziert hat wie damals Baggio.

Sie haben Totti angesprochen. Als Sie in der Roma-Jugend waren, kam auch Totti gerade hoch.

Zarrella: Francesco Totti, das goldene Kind. Es war interessant, weil Totti zwei Jahre über mir war und man damals schon gewusst hat, dass hier ein ganz besonderer Junge heranwächst. Wir haben auch in der Kabine über ihn gesprochen, alle haben über ihn gesprochen. Ich habe ihn meine ich auch einmal persönlich spielen sehen. Er hatte schon ganz jung Statistiken von einem anderen Planeten, das war sehr außergewöhnlich. Für uns war er das große Vorbild, das allen zeigt, dass man es nach oben schaffen kann.