EM

EM-Erlebnisse: Party mit Vodka Claus 69 und der Niederländer-Sturz in die Büsche

Vodka Claus 69: Seinem Künstlernamen (?) machte er alle Ehre.
© Nino Duit

Zwei Wochen Amsterdam, zwei Tage Rom: Nino Duit hat für SPOX und Goal von der Europameisterschaft berichtet - und dabei nicht nur fünf Spiele gesehen. Erlebnisse von vor Ort.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

EM 2021: Der Niederländer in den Büschen

Als Reporter verbringt man bei einer Europameisterschaft viel Zeit mit Warten. Warten auf Akkreditierungs-Zusagen. Warten auf hilfreiche Auskünfte der zahlreichen Volunteers, die zwar meist sehr freundlich, beachtlich oft aber auch beachtlich unwissend sind. Warten darauf, dass Spieler oder Trainer auf Bildschirmen für virtuelle Pressekonferenzen erscheinen.

Am Tag nach dem 3:2-Sieg der Niederlande gegen die Ukraine zum EM-Auftakt wartete ich zur Abwechslung mal auf echte Spieler. Der niederländische Verband hatte dankenswerterweise eine persönliche Interviewmöglichkeit und anschließend ein für Medien offenes Training angesetzt. Stattfinden sollte es am KNVB Campus, der - nun ja - durchaus entlegen ist. Irgendwo im Wald nahe des Städtchens Zeist südöstlich von Amsterdam.

Nach einer rund zweistündigen Öffis-Anfahrt gab es zunächst die wenig erfreuliche Info, dass die Interviewmöglichkeit nicht vor, sondern doch erst nach dem Training stattfinden sollte. Ein schwerer Schlag für den umtriebigen SPOX-und-Goal-Reporter, der da schon zu einem Termin mit Frank Wormuth nach Almelo aufbrechen musste.

Blieb also das Training, doch die Spieler ließen - wie könnte es anders sein - wieder mal auf sich warten. Dadurch bot sich immerhin die Möglichkeit zu einem kurzen Austausch mit einem der zahlreichen Security-Männer, die tagein, tagaus das Hochsicherheitsareal KNVB Campus bewachten. Ich ging auf den erstbesten zu und fragte ihn nach dem lustigsten Vorfall, den er hier bisher erlebt habe. Als hätte er genau auf diese Frage gewartet, erzählte er äußerst bildlich von einem Fahrradunfall eines niederländischen Nationalspielers, dessen Namen er trotz mehrmaliger Nachfrage nicht nennen wollte.

Die Spieler seien ein paar Tage zuvor wie immer mit ihren Fahrrädern zum Training gefahren (natürlich, es sind schließlich Niederländer), als plötzlich jemand in Hoffnung auf einen kurzen Austausch lautstark den Namen des betroffenen Spielers rief. Dieser habe sich daraufhin so erschrocken, dass er den Lenker verriss und zielstrebig in die Büsche am Straßenrand stürzte. Sei sehr lustig gewesen, vor allem ein nebenherfahrender Individualtrainer habe sich vor Lachen kaum mehr eingekriegt.

Just als der Security-Mann seine Geschichte fertigerzählt hatte, radelten die Spieler zum Training heran. Diesmal blieben sie aber unfallfrei.

Fangruppen in Amsterdam: Party mit Vodka Claus 69

In Amsterdam kam ich mit Fans aus sechs Nationen in Kontakt. Was blieb hängen?

  • Die Niederländer kritisierten wahlweise Nationaltrainer Frank de Boer für seine Abkehr vom geliebten 4-3-3-System oder grölten ihr absolutes EM-Lieblingslied "Links, Rechts". Mit jedem Sieg in der Gruppenphase wurde die Kritik etwas leiser und das Gegröle etwas lauter.
  • Die Ukrainer erregten generell kaum Aufsehen - und wenn doch, dann nur wegen ihrer teils opulenten Trachten.
  • Die Österreicher erschienen zahlreich und hauptsächlich in Lederhosen gekleidet. Ihr Hauptfokus lag darauf, sich so viel wie möglich unter die "Links, Rechts"-grölenden Niederländer zu mischen und mit ihnen so oft wie möglich anzustoßen. Im Gegenzug wurde als Zeichen der Anerkennung in manchen Bars "Anton aus Tirol" gespielt.
  • Die Nordmazedonier waren ähnlich wie die Ukrainer in der Stadt überhaupt nicht präsent, dafür aber immerhin unmittelbar vor dem Stadion. Dort versammelten sie sich in einer Bar und besangen inbrünstig Nationallegende Goran Pandev, der bei der folgenden 0:3-Niederlage sein 122. und letztes Länderspiel absolvierte. Einige Niederländer fanden das witzig und sangen mit.
  • Die Waliser durften ohne Quarantäne nicht einreisen. Am Spieltag waren aber dennoch vereinzelte Wales-Trikots zu sehen, getragen hauptsächlich von verkleideten Niederländern oder echten Walisern, die die Unterstützung ihrer Nationalmannschaft sehr ernst nahmen. Einer erzählte stolz von einem vorangegangenen siebentägigen Kroatien-Aufenthalt, der ihm eine problemlose Einreise in die Niederlande ermöglichte. Der Dank war ein 0:4 gegen Dänemark.
  • Die Dänen durften unterdessen nicht nur den Viertelfinaleinzug bejubeln, sondern auch den Gewinn des inoffiziellen Amsterdam-Stimmungs-Awards von SPOX und Goal. Komplette Übernahme des wichtigsten Feierplatzes Rembrandtplein, geschlossener Marsch zur U-Bahn-Station, Beinahe-Entgleisung eines Zuges. Es war alles dabei. Erschienen waren die Dänen von allen eingereisten Fangruppen eindeutig am zahlreichsten und außerdem am besten vorbereitet: mit ausgedruckten Liedtexten, einem Vorsänger mit Maradona-Tattoo an der Wade und einem Einpeitscher mit der Trikot-Beflockung "Vodka Claus 69". Seinem Künstlernamen (?) machte er alle Ehre, indem er reihenweise Smirnoff-Flaschen leerte. Ob das auch für seine Rückennummer galt, blieb dagegen unklar.
Vodka Claus 69: Seinem Künstlernamen (?) machte er alle Ehre.
© Nino Duit
Vodka Claus 69: Seinem Künstlernamen (?) machte er alle Ehre.

Public Viewing in Rom: Italienischer Jubel mit Ansage

Nach zwei Wochen Amsterdam standen für mich noch zwei Tage Rom mit dem Viertelfinale zwischen der Ukraine und England auf dem Programm. Highlight des Aufenthalts war aber nicht das Spiel selbst, sondern der Abend davor, als Italien in seinem Viertelfinale Belgien besiegte.

Da die begrenzten Tickets für die Fanzone auf der Piazza del Popolo schnell vergriffen waren, schaute ich das Spiel auf einer Straße direkt neben dem Platz. Dabei durfte ich feststellen: Italiener sind äußerst genügsam. Ein außerhalb eines Eisgeschäfts montierter Bildschirm von der Größe eines gewöhnlichen Computer-Monitors reichte, um rund 200 Menschen anzulocken.

Kleiner Bildschirm, viele Menschen: Public Viewing in Rom beim Viertelfinale zwischen Italien und Belgien.
© Nino Duit
Kleiner Bildschirm, viele Menschen: Public Viewing in Rom beim Viertelfinale zwischen Italien und Belgien.

Problematisch war an diesem Public Viewing aber nicht nur die Größe (bzw. Kleine) des Bildschirms, sondern vor allem auch die Verzögerung des Signals. Auf der Fanzone war man etwa 30 Sekunden voraus, weswegen jedes Tor durch die deutlich vernehmbaren Geräusche von nebenan antizipiert und entsprechend eingeleitet werden konnte. Nach vorne gestreckte, wackelnde Arme, ein langgezogenes "Ohohohohoho ...", dann endlich der Jubel.

Die einzige tatsächlich dem Moment entstammende Emotion während des ganzen Spiels war das kollektive Schiedsrichter-Beschimpfen nach dem wegen Abseits aberkannten 1:0 von Leonardo Bonucci. Zuvor hatte der laute Jubel vor dem Mini-Bildschirm die Verzweiflungs-Geräusche von der Fanzone völlig übertönt. Ob es sich tatsächlich um eine Abseitsstellung gehandelt hatte, war jedoch leider nicht zu erkennen.