Geschäftsführer Max Kothny von Türkgücü München im Interview: "Ich war zum Bewerbungsgespräch bei McDonalds"

Von Florian Mesner
Max Kothny (23) ist der jüngste Geschäftsführer im deutschen Profi-Fußball.
© imago images / Krieger
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Das Thema Rassismus ist leider nach wie vor sehr präsent in unserer Gesellschaft. Welche Erfahrungen hat Türkgücü damit gemacht?

Kothny: In der Regionalliga hatten wir ein paar unschöne Vorfälle und ich befürchte leider, dass es in der 3. Liga ein paar Fälle mehr geben wird. Bei unserem Auswärtsspiel in Memmingen vergangene Saison wurden unsere Fans, die teilweise das tiefste bayerisch sprechen, im Gästeblock als "Drecks-Kanaken" beleidigt. Diesen Hass mancher Menschen verstehe ich nicht. Wären wir ein normales türkisches Unternehmen, gäbe es diese Probleme auch nicht. Aber der Fußball löst solche Emotionen aus und hat dadurch einfach einen besonderen Stellenwert.

Warum glauben Sie, dass es in der 3. Liga noch mehr solcher Vorfälle geben kann?

Kothny: Die meisten Vereine und Fan-Gruppierungen stehen uns sehr offen gegenüber. Doch bei manchen spielt leider der Faktor Neid eine große Rolle. Dann stellt sich schnell die Frage: Wo ist der Verein am ehesten angreifbar? So kommt es schnell zu Äußerungen wie "Scheiß Türken" und anderen Beleidigungen. Gerade mit Vereinen aus den neuen Bundesländern gab es ja in der Vergangenheit auch immer wieder Ärger in diese Richtung. Damit müssen wir leider auch in dieser Saison rechnen.

Kann man sich als Verein mit seiner Mannschaft und seinen Fans auf diesen Hass vorbereiten?

Kothny: Unsere Fans haben sich bisher überall top benommen. Wenn wir aber auswärts spielen und 20.000 Leute werfen uns solche Sprüche entgegen, dann kann ich auch nicht dafür garantieren, was passieren wird und wie jeder Einzelne reagiert. Wir werden über unseren Fan- und Sicherheitsbeauftragten vorab schon mit den Heim-Vereinen in Kontakt treten, ebenso mit den Sicherheitsbehörden. Es muss klar sein, was passiert, wenn solche Fälle eintreten. Inwiefern ein Stadionsprecher oder die Polizei eingreifen müssen. Spiele mit unserer Beteiligung werden von den Sicherheitsbehörden besonders kritisch beobachtet. Schützen kann man sich am Ende des Tages sowieso nicht. Auch auf unseren Social-Media-Kanälen kommt so viel Mist an Kommentaren rein - das ist teilweise wirklich asozial und tief rassistisch.

Für welche politischen Werte steht der Verein?

Kothny: Politisch distanzieren wir uns von allem. Egal, ob es angebliche Verbindungen in die Türkei sind oder ob es eine linksorientierte Szene in München ist. Wir stehen für Toleranz und Integration, Rassismus geht überhaupt nicht. Das versuchen wir zu verkörpern. Alles darüber hinaus spielt für uns keine Rolle.

Max Kothny (23) ist der jüngste Geschäftsführer im deutschen Profi-Fußball.
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Max Kothny (23) ist der jüngste Geschäftsführer im deutschen Profi-Fußball.

Erdogan-Besuch bei Türkgücü? "Ein ganz schmaler Grad"

Das heißt, es gibt keinerlei Beziehungen zur türkischen Regierung rund um Präsident Recep Tayyip Erdogan?

Kothny: Es gibt Beziehungen zu den türkischen Konsulaten in Deutschland. Mit denen arbeiten wir zusammen. Dabei geht es darum, wie wir unsere Fans noch besser zusammenbringen können. Wie viele Türken überhaupt in unserem Land leben und angesprochen werden können. Wie man diese Leute ansprechen kann. Das sind die Themen, bei denen wir mit der Politik zusammenarbeiten. Direkte Beziehungen in die Türkei bestehen aber keine.

Wie würden Sie bei einem geplanten Stadion-Besuch von Erdogan reagieren?

Kothny: Es wäre definitiv eine schwierige Situation, ein ganz schmaler Grat. Wir müssten wahrscheinlich versuchen, einen Mittelweg zu finden. Wir sind nicht auf die Unterstützung der türkischen Regierung angewiesen, ich kann aber jetzt nicht sagen, wie wir uns entscheiden würden. Grundsätzlich sollte sich auch jeder Staatsdelegierte, der bei uns zu Gast ist, mit unseren Werten identifizieren können.

Ihre Heimspielstätten sind das Grünwalder Stadion und das Olympiastadion. Zur Not stehen auch die Anlagen in Burghausen und Würzburg bereit. Fühlen Sie sich bei der Stadionfrage von der Stadt im Stich gelassen?

Kothny: Auf jeden Fall. Wir fühlen uns wie das ungeliebte Kind der Stadt. Keiner weiß, wo man uns unterbringen will, aber in eine andere Stadt will man uns auch nicht abschieben. Gleichzeitig habe ich teilweise auch Verständnis. Die Stadt kann nichts dafür, dass plötzlich drei Vereine in der 3. Liga spielen und es unmöglich ist, alle Vereine in einem Stadion spielen zu lassen, auch wenn wir die Stadt seit einigen Jahren auf diesen Engpass hinweisen. Auf lange Sicht muss hier eine Lösung gefunden werden. Wenn du als Verein keine uneingeschränkte Heimspielstätte angeben kannst, ist deine Lizenzierung automatisch in Gefahr.

Wurde der Plan des Umzugs des gesamten Vereins in den Westen Deutschlands vollends verworfen?

Kothny: Diese Idee haben wir intern diskutiert und bereits intensiv durchdacht. Der Gedanke dahinter war, den Westen als Alternative zu nutzen, falls wir in München Termin-Probleme bekommen und die Stadionverfügbarkeit nicht gewährt werden kann. Im Westen Deutschlands lebt der größte Anteil der türkischen Bevölkerung und die Infrastruktur ist ebenfalls gegeben. Wir waren schon so weit, dass wir uns gewisse Spielstätten herausgesucht und erste Gespräche geführt haben. Auch wenn es die DFB-Regularien Stand jetzt nicht zulassen, kann das in Zukunft wieder ein Thema werden. Dieser Gedanke ist eher verschoben als vergessen.

Türkgücü Münchens Startprogramm in Liga 3

DatumSpieltagGegnerH/A
19.09.1FC Bayern IIA
27.09.21. FC KaiserslauternH
03.10.3SV Waldhof MannheimA
10.10.4SV Wehen WiesbadenH
17.10.51. FC MagdeburgA

Kothny: "Unsere Ultras werden noch für Aufmerksamkeit sorgen"

In der Regionalliga hatte Türkgücü im Schnitt 500 Zuschauer. Mit wie vielen wird in der 3. Liga kalkuliert?

Kothny: Ich glaube, aufgrund der Gegner ist die Attraktivität automatisch deutlich größer, auch für neutrale Fußball-Fans. Das Ansehen der 3. Liga ist nicht zu vergleichen mit dem der Regionalliga. Das Reiseverhalten der Auswärtsfans ist groß, es sind viele gestandene Traditionsvereine dabei. Daher rechnen wir mit rund 4.000 Fans pro Heimspiel, wobei es durch die Spiele im Olympiastadion sogar noch mehr werden könnten. Da geht doch jedem Nostalgiker und Groundhopper das Herz auf. Während der Corona-Zeit könnten nach unserem Hygiene-Konzept 12.000 bis 16.000 Fans sicher und mit genügend Abstand ins Stadion kommen.

Gibt es bei Türkgücü eine Ultra-Gruppierung?

Kothny: Inzwischen ja. Diese hat sich über den Jahreswechsel gegründet und ist extrem fleißig und engagiert. Wir plegen einen engen Austausch mit unseren Ultras. Das ist eine wirklich gute Truppe, die noch für Aufmerksamkeit sorgen wird, hoffentlich im positiven Sinne. Zu jedem Mitglied ist es natürlich schwer Kontakt zu halten, sodass wir hier nur begrenzt Einfluss nehmen können. Jeder, der schon mal in der Türkei im Stadion war, weiß, welche Laustärke dort die Stadien herrscht. Diese Gruppe ist für mich ein schlafender Riese. In Deutschland gibt es beispielsweise eigene Ultra-Gruppierungen von Galatasaray, Fenerbahce und anderen großen türkischen Vereinen. Unsere Fans versuchen, hier Verbindungen aufzubauen, um diese Gruppen auch bei uns ins Stadion zu locken.

Am 4. Spieltag bestreitet Türkgücü gegen Wehen Wiesbaden das erste Pflichtspiel im Olympiastadion nach 15 Jahren ohne Regelspielbetrieb.

Kothny: Das ist ein absolut historischer Moment! Die ganze Stadt freut sich, dass in diesem Stadion wieder Fußball gespielt wird. Für uns ist es eine große Ehre. Allein die Nachricht über unseren Plan, dort zu spielen, hat uns einen unglaublichen Push in Sachen Aufmerksamkeit gegeben. In Italien wurde bei der berühmten Sportzeitung Gazzetta dello Sport auf der Titelseite über uns berichtet. Das ist schon einmalig.

Das Interview mit Max Kothny wurde vor der Entscheidung des Landgerichts München I, Türkgücü München die Teilnahme am DFB-Pokal zu gewähren, geführt.

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