DFB-Team - Vier Thesen zum Sieg gegen Island: Mittelfeld auch ohne Kroos Weltklasse

Timo Werner muss um seinen Stammplatz bangen.
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Beim Start ins neue Länderspiel-Jahr versprüht das DFB-Team seit langer Zeit wieder so etwas wie Euphorie. Das 3:0 gegen Island zeigt, dass das deutsche Mittelfeld auch ohne einen "Weltklasse-Spieler" Weltklasse ist. Vier Thesen zur Partie in Duisburg.

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1. DFB-Team mit mehr Fußball und Leidenschaft

Bei allem Respekt vor Island: Fußballerisch ist der 46. der FIFA-Weltrangliste derzeit gewiss nicht der Maßstab für das DFB-Team. Die Niederlage in Duisburg war die nunmehr sechste in Folge für die Mannschaft von Arnar Vioarsson, die ohne ihren Spielmacher Gylfi Sigurdsson keinerlei Offensivgefahr entwickelte.

Gleichwohl sollte die Leistung der Elf von Joachim Löw nicht kleingeredet werden. Vor allem die erste Halbzeit war erfrischend, weil von vielen ansehnlichen Kombinationen geprägt. "Wir haben den Ball gut laufen gelassen", bemerkte Ilkay Gündogan, der Torschütze zum 3:0, der im Spiel nach vorne hervorragend mit seinen Mittelfeld-Partnern Joshua Kimmich und Leon Goretzka, aber auch den Angreifern Kai Havertz, Leroy Sane und Serge Gnabry harmonierte.

Zu der überzeugenden spielerischen Darbietung kam auch die im Vergleich zum 0:6-Debakel in Spanien wie ausgewechselte Körpersprache der Mannschaft. Die Spieler coachten und beklatschten sich bei gelungenen Aktionen gegenseitig. Selbst Löw zeigte sich für seine Verhältnisse sehr kommunikativ und gab von der Seitenlinie viele Anweisungen.

Unter dem Strich gab das DFB-Team ein positives Gesamtbild ab und signalisierte, die 0:6-Schmach gegen Spanien abgehakt und aufgearbeitet zu haben. "Wir haben uns fest vorgenommen, dass man die Leidenschaft auf dem Platz sieht. Dass wir alle sehr zu schätzen wissen, für unser Land spielen zu dürfen. Dass man vor dem Fernseher sieht, dass da elf Jungs auf dem Platz stehen, die richtig Bock haben. Das hat gut geklappt", sagte Goretzka, der sich nach seinem frühen Führungstreffer in der 3. Minute demonstrativ auf den DFB-Adler klopfte.

Selbst Uli Hoeneß, einer der größten Kritiker der Nationalmannschaft, zeigte sich in seiner neuen Rolle als TV-Experte bei RTL "total zufrieden" mit der Leistung der Löw-Elf. "Nicht nur das Ergebnis hat mich überzeugt, sondern die Art und Weise, wie es zustande gekommen ist. Die Mannschaft hat so engagiert gespielt, wie man sich das vorgestellt hat. Sie hat läuferisch alles geboten, sie hat spielerisch Akzente gesetzt", sagte der Ehrenpräsident des FC Bayern.

Löw selbst hielt aber den Ball flach. Zwar habe seine Mannschaft ihre "Sinne geschärft", aber: "Wir müssen die zweite Halbzeit besprechen, da gab es weniger Torchancen." Seine Forderung für die restlichen März-Länderspiele gegen Rumänien (Sonntag, 20.45 Uhr) und Nordmazedonien (Mittwoch, 20.45 Uhr): "Das Tempo über 90 Minuten hoch halten."

2. Zu wenig Dampf über rechts: Baku als EM-Kandidat

Wenn es am deutschen Spiel etwas zu kritisieren gab, dann, dass es sehr linkslastig war. Emre Can, den Löw nach den Ausfällen von Robin Gosens und Marcel Halstenberg kurzerhand zum provisorischen Linksverteidiger machte, traute sich mit dem Ball viel zu, hatte aber auch den Vorteil, mit Leroy Sane einen agilen Partner auf seiner Seite zu haben, der etliche Angriffe initiierte.

Über die rechte Seite ging hingegen wenig. Das lag zum einen daran, dass Kai Havertz oft in die Mitte zog. Zum anderen aber auch daran, dass der defensiv zwar starke, offensiv aber meist ein wenig fantasielos wirkende Lukas Klostermann kein Faktor war. Der Profi von RB Leipzig war weder an einer Torchance beteiligt noch schlug er eine Flanke.

Gerade gegen tiefstehende Gegner wie Island würde ein mutigerer Rechtsverteidiger dem DFB-Spiel gut tun. Ridle Baku, der sowohl beim VfL Wolfsburg als auch bei der deutschen U21 seit Monaten für viel Furore sorgt, wäre ein geeigneter Kandidat - jedenfalls ein geeigneterer als Thilo Kehrer oder Matthias Ginter. Der 22-Jährige wird wegen seines Offensivdrangs auch immer häufiger als Rechtsaußen eingesetzt. Löw dürfte und sollte ihn mit Blick auf die EM auf dem Zettel haben.

3. Weltklasse-Mittelfeld - auch ohne einen "Weltklasse-Spieler"

Theoretisch könnte der Bundestrainer auch Joshua Kimmich als Rechtsverteidiger bringen. Doch das Island-Spiel hat wieder einmal bestätigt, wie eminent wichtig der 26-Jährige mittlerweile als Leitwolf im defensiven Mittelfeld ist. Kimmich spielte in Hälfte eins mehr Pässe (91) als die gesamte isländische Mannschaft (90) und beendete das Spiel am Ende mit 163 Pässen - ein neuer persönlicher Rekord für ihn auf Länderspielebene.

Dass er neben seiner Ballsicherheit auch noch so perfekt getimte Chipbälle wie vor dem ersten oder zweiten Tor aus dem Fußgelenk zaubert, macht ihn eigentlich zu einer unverzichtbaren Waffe auf der Sechs. Eigentlich, denn es gibt ja auch noch Toni Kroos. Und der kann zwar auch problemlos auf der Acht spielen wie meist bei Real Madrid, hat dort mit Goretzka und Gündogan aber ebenfalls zwei große Konkurrenten. "Da wird Löw die Qual der Wahl haben, wenn alle gesund sind - und dann vielleicht auch Thomas Müller noch dazukommt", so Bayern-Patron Hoeneß.

Löw selbst moderierte das Thema nach dem Island-Spiel in gewohnter Löw-Manier weg. "Warum sollte Toni Kroos um seinen Platz fürchten müssen? Er ist ein Weltklasse-Spieler, der unsere Mannschaft prägt", sagte er. Außerdem, führte der Bundestrainer fort, sei ja sowieso immer mal wieder mit der einen oder anderen Verletzung zu rechnen. "Beim Turnier brauchen wir mehr als elf Spieler", stellte er klar.

Toni Kroos, DFB-Team
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4. Mit Gnabry in dieser Form wird es für Werner schwer

Löw bieten sich auch an vorderster Front viele namhafte Optionen. Klar ist: Für Timo Werner dürfte es schwer werden, als Stammspieler zur EM zu fahren, solange Serge Gnabry als verkappter Neuner auch in den kommenden Partien so herausragend funktioniert wie seit mittlerweile über einem Jahr im Nationaldress.

Gegen Island bereitete der beim FC Bayern meist auf den Außenbahnen eingesetzte Angreifer wieder zwei Tore vor und traf auch fast noch selbst. Seine Statistiken beim DFB suchen ihresgleichen: Seit der WM 2018 kommt er als einziger deutscher Spieler auf eine zweistellige Anzahl an Scorerpunkten (17). Da er sich auch besser ins Kombinationsspiel einfügt und vor allem mit seinem Kollegen Leroy Sane harmoniert, ist nicht auszuschließen, dass dem Stürmer des FC Chelsea am Ende tatsächlich nur die Rolle des Backups bleibt. Zumal Gnabry und Sane nicht seine einzigen Konkurrenten sind.

Der mittlerweile mit der Rolle des falschen Mittelstürmers vertraute Havertz scharrt mit den Hufen, "Allesspieler" Müller könnte hinzukommen - und der aktuell verletzte Marco Reus hat ebenfalls den Anspruch an sich selbst, ein wichtiger Bestandteil der Nationalmannschaft bei der EM dabei zu sein.