Kommentar zur Süle-Verletzung: Löw sollte die Tür für Hummels öffnen

Mats Hummels war dem Umbruch von Nationaltrainer Joachim Löw nach der WM 2018 zum Opfer gefallen.
© getty

Der Kreuzbandriss von Bayern Münchens Innenverteidiger Niklas Süle ist ein harter Schlag für Joachim Löw: Süle wird die EM 2020 aller Voraussicht nach verpassen. Löw sollte dem aussortierten Mats Hummels nun eine Rückkehr ins DFB-Team in Aussicht stellen. Der sportliche Gewinn ist unbestritten, auch die Glaubwürdigkeit des Bundestrainer wäre nicht beschädigt. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Stefan Petri.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Genau 237 Tage vor dem Eröffnungsspiel der EM 2020 passierte es: Niklas Süle sank im Spiel gegen Augsburg mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden und hielt sich das linke Knie. Kreuzbandriss.

In diesem Moment verlor nicht nur der FC Bayern seinen besten Innenverteidiger für den Rest der Saison, sondern auch Bundestrainer Joachim Löw seinen Abwehrchef - eine vollständige Genesung bis zum Kontinentalturnier im kommenden Juni wäre ein kleines Wunder.

Dementsprechend tief saß der Schock bei den Verantwortlichen des DFB-Teams. "Niklas ist ein Gesicht der jungen Generation, er war ein Fixpunkt in unseren Planungen", sagte Löw, der Ausfall beeinträchtige "die Entwicklung unserer im Umbruch befindlichen jungen Mannschaft".

Die ersatzgeschwächte deutsche Hintermannschaft hatte erst wenige Tage zuvor in den Länderspielen gegen Argentinien (2:2) und Estland (3:0) einen wackligen Eindruck gemacht, sie ist ohnehin wohl Löws größte Baustelle. Süles Verletzung ist ein harter Schlag. Auf diesen sollte Löw reagieren - und die Tür für eine Rückkehr von Mats Hummels öffnen.

Mats Hummels wäre ein sportlicher Gewinn für die DFB-Elf

Die sportliche Leistungsfähigkeit des Dortmunders ist unbestritten. Der 30-Jährige gehört weiterhin zu den besten Innenverteidigern Deutschlands. Der kicker wählte ihn in der vergangenen Rückrunde auf Platz eins in dieser Kategorie, in der Champions League gegen den FC Barcelona stellte Hummels in dieser Saison seine Klasse unter Beweis.

Als Persönlichkeit und Führungsspieler wäre er ebenfalls ein Gewinn fürs Team. "Wir haben noch ein Jahr bis zur EM", sagte Löw im März bei Hummels' Ausbootung. "Ich habe Spieler im Sinn, die jetzt in diese Führungsrolle hineinwachsen sollen."

Gemeint war damit zweifelsohne auch Süle. Ein Führungsspieler in der Abwehrkette wird nun jedoch verzweifelt gesucht, gerade wenn Kimmich weiterhin im defensiven Mittelfeld spielt.

Sportliche Gründe sprächen also mitnichten gegen Hummels. Der könnte im Gegenzug sogar von Löws neuem Spielsystem profitieren, das weniger auf Ballbesitz und mehr als früher auf schnelles Umschalten und Konter ausgerichtet ist. Eine tieferstehende Kette würde Hummels' fehlende Schnelligkeit als Faktor verringern, seine Fähigkeiten im Passspiel, gerade bei langen Bällen, wären immens wertvoll.

DFB-Team: Restlicher Spielplan in der EM-Quali-Gruppe C

DatumHeimGast
16. November 2019DeutschlandWeißrussland
16. November 2019NordirlandNiederlande
19. November 2019DeutschlandNordirland
19. November 2019NiederlandeEstland

Hummels-Rückkehr: Macht Löw sich unglaubwürdig?

Würde sich Löw bei einer Rückkehr des Weltmeisters von 2014 unglaubwürdig machen, seinen proklamierten Umbruch ad absurdum führen? Nein. Wohlweislich hatte er die Tür für eine Rückkehr nie ganz geschlossen. Man plane zwar ohne das aussortierte Trio des FC Bayern, aber: "Keine Ahnung, was in einem Jahr sein wird." Es gebe "keine Veranlassung, den Mats zu nominieren", erklärte der Bundestrainer vor dem Argentinien-Spiel. Diese Veranlassung ist nun da.

Auch der Einwurf, dass Hummels einem jungen Talent den Platz im EM-Kader wegnehmen und dieses so in dessen Entwicklung zurückwerfen würde, darf kein Argument gegen Hummels sein. Selbst wenn sich die Mannschaft im Umbruch befindet: Bei einer EM und WM ist es Löws Aufgabe, den Kader zu berufen, der den maximalen Erfolg verspricht.

Diese Turniere sind absolute Höhepunkte. Sie lediglich als Durchgangsstationen zu deklarieren, wäre das falsche Signal. Erfahrung sammeln lässt sich in Freundschaftsspielen, der Nations League oder der zur Farce verkommenden EM-Qualifikation - und dass man bei einer EM auch erfolgreich sein kann, wenn man nicht zu den Topfavoriten gehört, haben vor drei Jahren die Portugiesen bewiesen.

Mats Hummels bei der EM 2020: Löw bleibt genügend Zeit

Die gute Nachricht für Löw: Er muss diese Entscheidung nicht sofort treffen. In den Qualifikations-Heimspielen im November gegen Weißrussland und Nordirland kann er weiter Alternativen testen. Wer weiß, vielleicht machen die Antonio Rüdigers und Thilo Kehrers dieser Welt in den kommenden sechs Monaten in ihren Vereinen einen großen Sprung und eine Hummels-Rückkehr aus sportlicher Sicht weniger notwendig. Julian Weigl bietet sich derzeit beim BVB ebenfalls als Alternative an.

Es wäre dennoch die richtige Entscheidung, Hummels - und das Gleiche gilt übrigens auch für Jerome Boateng, der bei den Bayern nun zum Stammspieler aufsteigen könnte - zu signalisieren, dass eine EM-Teilnahme im Bereich des Möglichen liegt. Der damit höhere Konkurrenzdruck, auf den Löw immer große Stücke hielt, wäre auch für an die jungen Spieler im aktuellen DFB-Kader das Signal, sich nicht auf dem Umbruch auszuruhen: Am Ende muss die sportliche Leistung entscheiden.

Sich mit Hummels nach der unschönen Trennung zusammenzuraufen, dürfte dabei das kleinste Problem sein. "Bisher habe ich in meinem Leben immer abgehoben, wenn Jogi Löw angerufen hat", hatte der zuletzt signalisiert. "Vermutlich würde ich das auch nächstes Mal machen."

Artikel und Videos zum Thema