Nico Schulz von Hoffenheim vor seinem Debüt im DFB-Team: Wie geschaffen für den Umbruch

Nico Schulz von der TSG 1899 Hoffenheim steht vor seinem Debüt im DFB-Team.
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Nico Schulz von der TSG 1899 Hoffenheim könnte beim Nations-League-Auftakt der deutschen Nationalmannschaft gegen Weltmeister Frankreich (20.45 Uhr im LIVETICKER) sein Debüt in der DFB-Elf feiern. Dabei musste der Linksfuß einen langen Weg zurücklegen, bevor ihm in der vergangenen Rückrunde der Durchbruch gelang. Dem Umbruch unter Joachim Löw steht seinem Spielstil aber gut zu Gesicht.

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"Die Nationalelf war immer mein Ziel, und ich habe diesen Traum noch nicht aufgegeben", erklärte Nico Schulz im Vorfeld des Bundesliga-Auftaktspiels der TSG gegen Bayern München. Wie schnell sich dieser Traum für den Außenbahn-Dynamo erfüllen würde, konnte er da noch nicht ahnen.

Zwei Wochen später ist Schulz eines der Gesichter des Neuanfangs beim entthronten Weltmeister. Er soll helfen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, womöglich schon am Donnerstag gegen Frankreich, vielleicht auch erst am Sonntag vor eigenem Publikum in Sinsheim gegen Peru.

So oder so: Nachdem er von der U15 bis zur U21 alle DFB-Jugendmannschaften durchlaufen hat, wird es endlich zum Debüt in der A-Mannschaft kommen. "Alle drei haben einen guten Eindruck gemacht", erklärte Bundestrainer Joachim Löw in Bezug auf Schulz und die ebenfalls neu nominierten Thilo Kehrer und Kai Havertz. "Es ist geplant, dass sie in den beiden Spielen zu einem Einsatz kommen."

Die besten Chancen auf gleich zwei Einsätze aus dem Trio hat zweifellos Schulz, auch wenn er mit seinen schon 25 Jahren ein vergleichsweise spätes Debüt feiern wird. Auf seiner linken Seite klafft durch die Pause von Jonas Hector und den nicht berufenen Marvin Plattenhardt eine Lücke. Aber es hätte auch etwas Symbolisches: Schließlich weiß Schulz, wie man in Rekordzeit von sehr weit unten wieder nach ganz oben kommen kann.

Nico Schulz: Abstiegskampf in Berlin, verlorene Jahre in Mönchengladbach

Dass der Linksfuß schon immer die richtigen Anlagen mitbrachte, zeigen die Einsätze in den Nachwuchsteams. Im Verein dauerte es allerdings einige Jahre, bis Schulz das perfekte Umfeld fand. Insgesamt 15 Jahre kickte er bei seinem Jugendverein Hertha BSC, doch obwohl er sich dort in der Saison 2013/14 in der Bundesliga etablieren konnte, zehrte der ständige Abstiegskampf an den Nerven. "Dann kam das Angebot aus Gladbach - zu dem Zeitpunkt eine junge Mannschaft, die sich für die Champions League qualifiziert hatte", sagte er.

Doch der "logische Schritt" brachte 2015 keinen Durchbruch. Im Gegenteil: Zuerst trat Trainer Lucien Favre zurück, wodurch Schulz plötzlich keine Lobby mehr hatte, dann riss er sich im Oktober das Kreuzband.

Die Saison war gelaufen, und auch im folgenden Jahr saß er fast nur auf der Bank. Andre Schubert setzte nicht auf ihn, unter Dieter Hecking spielte er erst Ende April 2017 das erste Mal durch. "Die Zeit in Gladbach war generell nicht einfach", sagt er, "teilweise mental eine harte Zeit."

Nico Schulz: Statistiken in der Bundesliga

Bundesliga gesamt2018/192017/18

Spiele

94227

Tore

301

Assists

612

Torschussvorlagen

63527

Torschüsse

52217
Passquote

73 Prozent

75 Prozent77 Prozent

Zweikampfquote

45 Prozent25 Prozent46 Prozent

Flanken aus dem Spiel

137681

Flankengenauigkeit

19 Prozent17 Prozent23 Prozent

Der Wechsel im Sommer 2017 nach Hoffenheim war umso mehr ein Glücksgriff. Julian Nagelsmann erkannte das Potenzial des schnellen, dynamischen Flankenläufers, der taktisch allerdings noch Nachholbedarf hatte. Also ging es in eine harte Schule mit Videoanalysen, Positionsstudium und taktischer Variabilität. "Julian ist einfach ein großartiger Trainer", schwärmte Schulz, zudem spüre er im Kraichgau erstmals das Vertrauen des Trainers.

Ein halbes Jahr brauchte Schulz, um sich in Hoffenheim in die Stammformation zu kämpfen, in der Rückrunde ging sein Stern schließlich auf: Als Linksaußen im Hoffenheimer 3-5-2 marschierte er die Linie rauf und runter, in einem Kader voller schneller Spieler war er der Schnellste, mit schnörkellosem Offensivspiel und diszipliniertem Defensivverhalten im flexiblen Korsett Nagelsmanns.

"Es kommt immer auf unseren Plan an, da verändert sich ständig etwas, auch innerhalb eines Spiels. Mal agiere ich eher aus der Viererkette, dann wieder etwas weiter vorgezogen. Ich bin hier taktisch sehr gereift", sagt Schulz.

Nico Schulz im DFB-Team: Offensivpower von der Problemposition?

Auch in Sachen Torgefahr und Hereingaben hat der 1,80 Meter große gelernte Defensivmann an sich gearbeitet. In den letzten fünf Spielen vor der Sommerpause verteilte er drei Assists, gegen die Bayern gab es den nächsten. Für den kicker war er schon im Sommer der beste Außenverteidiger der Bundesliga, weit vor Hector und Plattenhardt - und auch vor Joshua Kimmich.

Schon damals wird ihn Löw auf dem Radar gehabt haben. Jetzt, wo eine neue Zeitrechnung beim DFB anbricht, könnte sich Schulz mit guten Auftritten direkt auf einer der Problempositionen des Bundestrainers festspielen.

Seine Flexibilität erlaubt es Löw, ihn auf verschiedenen Positionen in unterschiedlichen Systemen zu testen: Als Mann in der traditionellen Viererkette. Wie bei 1899 als Hybrid aus Außenverteidiger und Außenstürmer im 3-5-2 oder 3-4-3.

Nico Schulz gegen Frankreich: Duell mit Kylian Mbappe?

Gegen Frankreich könnte eine echte Feuertaufe auf ihn warten, schließlich kommt Kylian Mbappe über die rechte Offensivseite der Equipe Tricolore. Im Eins-gegen-eins für jeden Verteidiger dieser Welt eine unmöglich zu lösende Aufgabe, wobei Schulz immerhin eine bessere Chance hätte als Hector oder Plattenhardt: Seine Höchstgeschwindigkeit in der vergangenen Saison lag bei 34,6km/h - deutlich höher als die seiner Konkurrenten (Plattenhardt: 33,9 km/h; Hector: 32,7 km/h).

Umgekehrt könnte Schulz aber auch versuchen, Mbappe hier und da in der Defensive zu binden: Seine Sprints in die gegnerische Hälfte sind ein großer Trumpf, er ist wie gemacht für Steilpässe von Toni Kroos oder auch diagonale Bällen aus der Innenverteidigung. "Sein Tempo ist außergewöhnlich. Seine ganz große Waffe ist diese Wucht über die Flügel", lobte Nagelsmann.

Zum Retter hochstilisieren sollte man Schulz nicht, und auch Löw wird sich hüten, den Neuling mit zu hohen Erwartungen zu überfrachten - den "Karren anschieben" sollen immer noch die Arrivierten. Vielleicht geht er dem Duell mit Mbappe noch aus dem Weg und gibt Schulz die Möglichkeit, im eigenen Stadion zu debütieren.

Der Hoffenheimer in der Form der vergangenen Monate steht der DFB-Elf aber definitiv gut zu Gesicht. Er macht den Kader flexibler und weniger ausrechenbar, ist wie geschaffen für das nun mehr im Fokus stehende Umschaltspiel. Mit einem guten Auftritt gegen Frankreich könnte er das Gesicht des Neuanfangs werden.

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