WM 2018, Vorschau Deutschland - Mexiko: Wird am Ende doch wieder alles gut?

In den Auftaktspielen 2010 und 2014 gab es für Joachim Löw jeweils klare Siege.
© getty

Am Sonntag startet Titelverteidiger Deutschland gegen Mexiko in die WM 2018 (ab 17 Uhr im LIVETICKER). Die vielen Fragezeichen der Vorbereitung sind mittlerweile fast allesamt beantwortet. Nun fehlt lediglich die Antwort auf dem Platz.

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Es wäre den Fans des amtierenden Weltmeisters ganz recht, wenn sie am Ende doch nur ein riesiger Bluff gewesen ist, die durchwachsene Vorbereitung der letzten Wochen. "Ganz bewusst geht man manche Dinge ein, man nimmt mal Veränderungen vor, trainiert intensiv, es klappt nicht alles", ließ Joachim Löw das Trainingslager Revue passieren, in dem es eine Niederlage gegen Österreich gesetzt und nur für ein knappes 2:1 gegen Saudi-Arabien gereicht hatte.

Das ist mittlerweile im Rückspiegel verschwunden, jetzt zählt nur noch Mexiko. "Man will, dass endlich angepfiffen wird, man will loslegen, sich beweisen", betonte der Bundestrainer, er und die Mannschaft würden sich fragen, wo man denn nun genau steht.

Wo die Konkurrenz steht, das weiß er dagegen: Sie ist näher herangerückt als noch vor vier Jahren. Es war das einzige Thema, das Löw auf der Pressekonferenz im Luschniki-Stadion aus seinem Ruhepuls zu locken wusste. Plötzlich richtete er sich in seinem Stuhl auf, deutete gestenreich: "Die Mannschaften der Top-Nationen sind nach vier Jahren immer ein Stückchen weiter. Brasilien ist vier Jahre später um einiges stärker als 2014. Wir haben auch ein paar Alternativen mehr. Frankreich ist um viele Schritte nach vorn gekommen." Spanien sei viel besser, auch England: "Deutschland ist beileibe nicht die einzige Nation, die sich weiterentwickelt."

 

Fast beschwörend klang er: Andere Teams hätten bei der "Ausbildung einzelner Spieler, Typen, sehr, sehr aufgeholt und viel gemacht." Das Niveau der ärgsten Konkurrenten sei "eindeutig besser als 2014. Das werden sie erleben!"

Wie hält Deutschland dagegen? Wie gewohnt mit dem Kollektiv, mit viel Erfahrung und einer eingespielten Truppe. Die Fragezeichen der Vorbereitung, sie sind zumindest auf dem Papier beantwortet.

Manuel Neuer: Ein Spiel und die Aura ist zurück

Bei "120 Prozent" sei er selbst, betonte der 32-Jährige. Er habe Neuer "noch nie so fit" gesehen, staunte der frühere Bayern-Kollege Tom Starke gegenüber Amazon Music. Fazit: Marc-Andre ter Stegen bleibt trotz starker Saison nur die Bank. Die lange Pause der Nummer eins, sie scheint schon längst im Rückspiegel verschwunden. Die Eindrücke aus Training und Testspielen waren hervorragend.

Natürlich, sollte Neuer gegen Mexiko oder im weiteren Verlauf der Vorrunde ein Bock passieren wie Spaniens David de Gea, wäre die Torwartdiskussion wieder in aller Munde. Andererseits braucht es vielleicht aber auch nur ein Spiel, um der Konkurrenz zu zeigen, dass der beste Keeper der Welt wieder zu 100 Prozent zurück ist. Sollte sich die Aura des unbezwingbaren deutschen Torhüters in den Köpfen der Gegner einnisten, es wäre schon die halbe Miete.

Mesut Özil: Die Nummer zehn trotzt dem Trubel

Thomas Müller ist auf rechts gesetzt, doch der Platz neben ihm und hinter Timo Werner stand auf der Kippe. Wie fit ist Mesut Özil nach zuletzt mehreren Wehwehchen und Trainingspausen? Und wie frei ist er im Kopf nach der Erdogan-Affäre? Letzteres lässt sich nicht so leicht beantworten, aber vielleicht ist der Rasen dieser Tage für ihn sogar eine willkommene Abwechslung. "Über Mesut wurde geschrieben, dass er lustlos wirkt oder gehemmt. Das stimmt nicht! Mesut ist fröhlich, er macht viele Witze mit uns. Er kann kaum erwarten, dass es losgeht", sagte Julian Draxler am Samstag.

Auch Löw bescheinigte seinem Regisseur nach Extraschichten einen guten Eindruck. In den letzten Turnieren war Özil in der Startelf unantastbar, auch im Abschlusstraining trug er laut BILD das Startelf-Leibchen.

Julian Draxler: PSG-Star macht Reus zum Superjoker

Nach der Streichung von Leroy Sane gab es auf links wohl den größten Konkurrenzkampf: Draxler gegen "Rakete" Reus, der von Löw in höchsten Tönen gelobt wurde - und auch als Özil-Ersatz eine gute Figur machte. Jetzt steht fest: Draxler hat trotzdem erst einmal die Nase vorn.

Für den Confed-Cup-Kapitän gab es gar eine Einsatzgarantie, nachdem Löw auf der Pressekonferenz noch herumdruckste. Im ZDF enthüllte er wenig später, dass Draxler gegen Mexiko beginnen wird. Reus dürfte damit zunächst die Rolle des vielseitigen ersten Jokers einnehmen.

Taktik: Löw setzt voll auf Standardsituationen

Am Feinschliff habe man in Vatutinki gearbeitet, sagte Löw. Gemeint waren damit vor allem die Dinge, die in den Testspielen noch sauer aufgestoßen waren, etwa das Umschaltspiel bei eigenem Ballverlust, bei dem die Abwehrkette zu oft entblößt wurde. Aber auch die Standards kamen zu ihrem Recht. Am Freitag habe man Standards trainiert, verriet er, auch in Eppan seien Ecken und Freistöße "absolut ein Thema" gewesen. Das werde man im Laufe des Turniers fortsetzen, in Theorie und Praxis wohlgemerkt: "Aus Standardsituationen kann man viel machen."

Einen Weltmeister, um genau zu sein: Fünf Tore waren 2014 nach ruhenden Bällen gefallen, darunter jeweils das 1:0 gegen Frankreich und Brasilien. 2016 waren es nur noch drei, im laufenden Kalenderjahr traf Deutschland noch gar nicht nach Ecken, Freistößen oder Elfmetern. Die ersten WM-Spiele haben derweil erneut vor Augen geführt: Standards sind so wichtig wie noch nie.

Eröffnungsspiele von Deutschland: Vier Tore sind eigentlich Pflicht

Es wird Löws 32. Spiel als Cheftrainer bei einem großen Turnier sein. Damit löst er den Brasilianer Luiz Felipe Scolari als Rekordhalter ab. Vielleicht kommt es ihm ganz gelegen, dass mit Mexiko der vermeintlich stärkste Gruppengegner direkt zum Auftakt serviert wird. Ein Gegner, der laut Joshua Kimmich im Confed Cup 2017 spielerisch "eigentlich besser" war, aber dennoch 1:4 verlor.

Denn schließlich ist die DFB-Elf bei Weltmeisterschaften ein notorischer Frühstarter. Nur eins von 18 Auftaktspielen ging verloren, seit 2002 gab es immer vier Tore (2002: 8:0 vs. Saudi-Arabien, 2006: 4:2 vs. Costa Rica, 2010: 4:0 vs. Australien, 2014: 4:0 vs. Portugal). Löw würde diese Serie natürlich liebend gern fortsetzen: "Ich hoffe, dass uns das morgen auch gelingt."

Die Vorzeichen dafür scheinen besser zu stehen als noch vor einigen Wochen.

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