Jürgen Klopps Liverpool auf dem Olymp: Die Nacht der Unsterblichen

Der FC Liverpool gewann zum insgesamt sechsten Mal den bedeutendsten europäischen Vereinstitel.
© getty

14 Jahre nach dem Wunder von Istanbul ist der FC Liverpool an die Spitze des europäischen Fußballs zurückgekehrt. Dazu war gegen Tottenham Hotspur zwar kein Wunder nötig, trotzdem machten sich Jürgen Klopp und seine Helden mit dem 2:0 unsterblich und schickten sich an, eines Champions-League-Siegers würdig zu feiern.

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Jürgen Klopp flitzte nach der feuchtfröhlichen Kabinensause und der gefühlt hundertsten Einlage zu "You'll Never Walk Alone" mit seinen "Kings of Europe" wie zu besten aktiven Zeiten beim FSV Mainz 05 durch die Mixed Zone des Estadio Metropolitano, den Ausgang aus dem Trubel und den Eingang in die Privatsphäre fest im Blick.

Er wimmelte die immer noch in Scharen wartenden Journalisten mit der Begründung ab, er käme zu spät zur Aftershowparty ins Mannschaftshotel, wenn er hier jetzt noch seinen Interviewmarathon fortsetzen würde.

Manchen Pressevertretern reichte der spätestens nach diesem Abend gar nicht mehr so normale "Normal One" im Vorbeigehen noch mit seinem viel zu weißen Zahnpastalächeln die Hand, einen ihm besonders vertrauten nahm er sogar derart freundschaftlich in den Arm, dass dieser infolgedessen fast in ein Kamerateam gekracht wäre.

Der Schöpfer der "Unsterblichen", wie der Liverpool Echo den LFC auf seinem Sonntagstitelblatt bezeichnet, hatte sich zu diesem Zeitpunkt, es war ja schon knapp 2 Uhr morgens, unübersehbar das eine oder andere kühle Blonde gepflegt hinter die Binde gekippt. So macht man das eben, wenn man im dritten Anlauf endlich diesen begehrten Henkelpokal in seinen Händen hält und seinen Verein nach 14 Jahren purer Titelgier zurück auf den Olymp des europäischen Fußballs befördert.

Jürgen Klopp erleichtert: Endlich Gold statt Silber

In Klopp spiegelte sich, obwohl er im Vorfeld noch entspannt behauptet hatte, die Bezeichnung "Champions-League-Gewinner" in seinem Lebenslauf könnte ihm persönlich "nicht egaler" sein, die pure Erleichterung wider. Er freue sich vor allem für seine Familie, die in all den Jahren der harten, aber ohne Trophäen belohnten Arbeit mit ihm mitleiden musste.

"Wir sind ja fast jeden Sommer mit der Silbermedaille in den Urlaub, jetzt haben wir die goldene", sagte er wenige Minuten nach der Siegerehrung im DAZN-Interview, "die wiegt ähnlich viel, sieht aber anders aus und fühlt sich auch anders an."

Der FC Liverpool gewann zum insgesamt sechsten Mal den bedeutendsten europäischen Vereinstitel.
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Der FC Liverpool gewann zum insgesamt sechsten Mal den bedeutendsten europäischen Vereinstitel.

Tottenham "insgesamt unterlegen" - Pocchettino hadert

Gegen Tottenham Hotspur bedurfte es gewiss keiner Glanzleistung seiner Mannschaft, um den lang ersehnten sechsten Europapokal nach Liverpool zu holen, dafür kam von dem Rivalen aus London bis auf ein kleines Hoch im Laufe der zweiten Hälfte offensiv einfach zu wenig.

Das frühe Elfmetertor durch Mohamed Salah (2.) und der späte Treffer durch Joker Divock Origi (87.) reichten dem Favoriten, um ein für den neutralen Beobachter eher weniger packendes Finale für sich zu entscheiden. Der bitter enttäuschte Spurs-Trainer Mauricio Pochettino haderte vor allem mit dem Handspiel von Moussa Sissoko nach gut 20 Sekunden. Gleichwohl erkannte Kapitän Hugo Lloris, dass man Liverpool "insgesamt unterlegen" und allein der Final-Einzug an sich schon "ein riesiger Schritt für den Klub" gewesen sei.

"Es war nicht Tottenhams bestes Spiel, aber auch nicht Liverpools", bilanzierte Klopp. Der Ex-Schalker Joel Matip, der im Abwehrzentrum der Reds 90 Minuten an der Seite des zum "Man of the Match" ernannten Virgil van Dijk geglänzt hatte, meinte im Gespräch mit SPOX und Goal ebenfalls, man sei "spielerisch nicht bei hundert Prozent" gewesen.

Alisson Becker: Der Schlüsselspieler im Liverpool-Tor

Klopps simple Erklärung, warum es am Ende dennoch klappte: "Wir haben wie Löwen gekämpft, zwei Tore geschossen und einen sensationellen Torwart gehabt." Tatsächlich verlieh Alisson Becker dem 18-fachen englischen Meister nicht nur im Finale weitaus mehr Stabilität als Loris Karius im vergangenen Jahr.

Man erinnere sich nur an die späte Rettungstat des 26 Jahre alten Brasilianers in der Gruppenphase gegen Neapels Arkadiusz Milik, ohne die für Liverpool vermutlich schon früh Endstation gewesen wäre. Oder an die Glanzparaden beim Halbfinal-Wunder gegen Barcelonas Ausnahmekönner Lionel Messi und Luis Suarez.

Schlaflose Nacht mit einer "netten Limonade"

Der Champions-League-Titel ist auch der Titel von Alisson. Deshalb schnappte sich der Rückhalt nach der Kabinensause sofort den Pott und entführte ihn schnurstracks gen Ausgang, ohne auf die Fragen der Pressevertreter einzugehen. Sie hatten vor ihrer Rückreise nach Liverpool scheinbar noch einiges im Mannschaftshotel geplant, diese Reds.

"Heute wird auf keinen Fall geschlafen", kündigte Matip vielsagend an. Kapitän Jordan Henderson, der kurz zuvor auf dem Feld noch vor Freude geweint hatte, flachste auf dem Weg zum Bus mit Georginio Wijnaldum, während James Milner ironisch versicherte, mit einer "netten Limonade" gepflegt einen draufmachen zu wollen.

Zu diesem Zeitpunkt war Jürgen Klopp schon längst davongeflitzt. Bereit, seinen bisher größten Moment als Trainer fernab des medialen Rampenlichts in vollen Zügen auszukosten.

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