Juventus Turin unter Trainer Andrea Pirlo: Das Warten auf die Party

Andrea Pirlo bei Juventus: Als Trainer wartet er noch auf den Durchbruch.
© SPOX

Andrea Pirlo scheint bei Juventus endlich seine bevorzugte Formation gefunden zu haben, doch auch vor dem Spiel bei Ferencvaros Budapest in der Champions League (21 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) hat Pirlo den Beweis noch nicht angetreten, ob er auch anderen beibringen kann, Pässe so schön zu malen wie er selbst es konnte.

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Auch Trainer sind heutzutage auf Instagram. Wieso auch nicht, auch Trainer haben Fans, auch Trainer haben Werbeverträge, auch Trainer können Stilikonen sein. Und natürlich ist auch bei den Insta-Profilen der Welttrainer die Authentizität wichtig.

josemourinho (858.000 Abonnenten) präsentiert sich also bei Insta etwa mit eigenem Logo, allerlei bezahlten Partnerschaften und einer recht großen Spur Selbstironie zur Großspurigkeit. mrancelotti (5 Millionen Abonnenten) als netter, älterer Herr, der ständig seine Spieler lobt. Und andreapirlo21 (8,2 Millionen Abonnenten), der das Insta-Game schon seit ein paar Jahren betreibt? In letzter Zeit ist er für seine Verhältnisse fast schon geschwätzig.

"Guter Auftritt heute. Die Truppe wächst! Alles Gute zum Geburtstag, Juventus", ließ Pirlo seinen Social-Media-Manager am Sonntag in sein Profil schreiben. Juve hatte da zwar am 123. Jahrestag seiner Gründung nur mit großer Mühe - und dank zweier Tore des eingewechselten Quarantäne-Comebackers Cristiano Ronaldo - 4:1 bei Aufsteiger Spezia Calcio gewonnen, aber man muss sich auch über die kleinen Dinge freuen können.

Der Auswärtssieg in La Spezia war ja auch erst der zweite auf dem Rasen errungene Sieg von Pirlos Juventus in der Serie A. Das 3:0 gegen den SSC Neapel am 3. Spieltag wurde Juve in einem höchst umstrittenen Urteil am Grünen Tisch zugesprochen, weil Neapel von den lokalen Gesundheitsbehörden wegen einiger Coronafälle in der Mannschaft zwar die Reise nach Turin untersagt worden war, dies aber den Ligaverband nicht interessiert hatte.

Andrea Pirlo bei Juventus: No Party for Pirlo

Danach hatte Juve bis Sonntag zwar das Auftaktspiel in der Champions League bei Dynamo Kiew 2:0 gewonnen, in der Liga aber nur zwei Unentschieden gegen Crotone und Verona und in der Champions League die 0:2-Niederlage gegen den FC Barcelona hinnehmen müssen, die schlimmer war als das Ergebnis vermuten lässt.

Zu sagen, dass es bei Juventus noch nicht so richtig läuft, seit der Trainer-Novize Pirlo das Zepter in die Hand bekommen hat, ist keine Übertreibung. Der früher mal auf T-Shirts gedruckte, (fälschlicherweise) Pirlo zugesprochene virale Spruch "No Pirlo no Party" musste zuletzt eher in "No Party for Pirlo" umgedeutet werden.

Auch vor dem Auswärtsspiel bei Ferencvaros Budapest ist noch immer nicht richtig klar, wofür der Trainer Pirlo, als Spieler der letzte große Schleicher des Weltfußballs, stehen möchte.

Sicher, es hätte unkompliziertere Projekte für den Start einer Trainerkarriere gegeben als dieses Juventus im Umbruch. Pirlo hat eine Großbaustelle übernommen. Sein Vorgänger, Taktiktüftler Maurizio Sarri, hatte ein Jahr lang versucht, Juve in die fußballerische Moderne zu überführen, der Mannschaft den notorischen Zynismus ab- und das Positionsspiel und Offensivpressing anzugewöhnen. Ronaldo musste im 4-3-3 links spielen und nach hinten arbeiten; es knirschte von Anfang an.

Letztlich schaffte der Zigarettenstummelkauer es nicht, eine Beziehung zu seiner Mannschaft aufzubauen. Nach dem Achtelfinal-Aus in der Champions League gegen Lyon war sein Ende besiegelt.

Polohemdenträger Sarri mag den Bossen nicht elegant genug gewesen sein, doch Pirlo hat den Beweis noch nicht angetreten, ob er auch anderen beibringen kann, Pässe so schön zu malen wie er selbst es konnte.

Andrea Pirlo bei Juventus: Zufall - und hoffen auf CR7

Pirlo trägt an der Seitenlinie natürlich Anzug zum Pirlo-Bart. Doch die Spielidee seiner Mannschaft schien in den ersten Spielen vor allem auf die Hoffnung auf Cristiano Ronaldos Geniestreiche zu fußen. Blöd nur, dass CR7 wegen mehrerer positiver Coronatests drei Liga- und beide bisherigen CL-Spiele verpasste. Kaum war er wieder zurück, gewann Juve in La Spezia.

Doch die überschwängliche Analyse der Repubblica ("Ronaldo genügt eine halbe Stunde, um Juve zu heilen. Er nimmt seine Mannschaft an die Hand und zieht sie zum Erfolg. Er ist für die Gegner tödlich") scheint dennoch ein wenig voreilig. Abgesehen davon: Wie spitze ist eine Spitzenmannschaft, wenn sie im Jahr 2020 so abhängig ist von einem einzigen Spieler? Völlig egal, ob dieser Spieler möglicherweise der beste der Geschichte ist?

Immerhin scheint Pirlo endlich seine bevorzugten Grundordnungen gefunden zu haben; Juve spielte zuletzt bei eigenem Ballbesitz im 3-5-2 und gegen den Ball im 4-4-2. Doch so richtig funktioniert das fluide Positionsspiel noch nicht, im Spielaufbau scheint das Prinzip Zufall zu regieren, in der Abwehr wirkte Juve so offen wie nie - und im Mittelfeld fehlt womöglich ein Spieler wie Pirlo. Einer, der Pässe auf den Rasen malen kann, einer, der Tempo und Rhythmus vorgibt und den Gegnern davonschleicht.

Sandro Tonali, den nicht nur Pirlo als seinen legitimen Nachfolger auserkoren hat, wechselte im Sommer aber nicht zu Juve und seinem Mentor Pirlo, sondern zum AC Milan von Zlatan Ibrahimovic. Wohl auch, weil bei Juve der vom FC Barcelona gekommene Arthur Melo die Planstelle im zentralen, defensiven Mittelfeld innehat. 72 Millionen Euro Ablöse ließ sich Juventus den 24-Jährigen im Sommer kosten. Aber nur auf dem Papier. Tatsächlich war Arthur unfreiwilliger Darsteller eines noch immer surreal anmutenden Dreieckgeschäfts in Zeiten der Krise. Arthur wurde mit Miralem Pjanic verrechnet, der im Gegenzug für 60 Millionen Euro Ablöse von Juventus zu Barca wechselte. Den realen Marktwerten der Spieler dürften beide Summen nicht mal annähernd entsprechen. Hinter dem Transfer stecken buchhalterische Tricks, um Eigenkapital (Barca) respektive Buchwerte zu generieren (Juve).

Andrea Pirlo bei Juventus: Umbruch mit Weston McKennie

Arthur jedenfalls konnte im Juve-Trikot noch nicht überzeugen, wirkt völlig verunsichert, vielleicht fehlt ihm auch ein wenig die Persönlichkeit, um eine Mannschaft wirklich anzuführen. Allein diese Personalie zeigt, was für eine Großbaustelle Pirlo übernommen hat.

Der Maestro muss jetzt zum Professore werden. Oder zum Bauingenieur. Positiv für sich verbuchen kann Pirlo, dass er den längst fälligen Umbruch beim italienischen Serienmeister eingeleitet hat.

Seine Startmannschaft beim 0:2 gegen Barcelona war im Durchschnitt 26 Jahre und 325 Tage alt, so jung war eine Juve-Mannschaft in der Champions League seit 2002 nicht mehr gewesen. Sicher, Ronaldo (35) und der zuletzt verletzte Giorgio Chiellini (36) werden den Schnitt in Budapest wieder heben, doch mit Adrien Rabiot (25), dem erwähnten Arthur (24), Matthijs de Ligt (21, derzeit verletzt) und Lichtblick Dejan Kulusevski (20) haben einige aus der U25-Fraktion einen Stammplatz sicher.

Dazu kommen Federico Chiesa (23), Rodrigo Bentancur (23) und der Ex-Schalker Weston McKennie (22), denen Pirlo immer wieder das Vertrauen schenkt. In Budapest dürfte McKennie eine der neuralgischen Positionen im Halbfeld des Mittelfelds bekleiden.

"Wir befinden uns im Aufbau. Das ist hier ein Langzeitprojekt", sagte Pirlo vor dem Spiel gegen Barca. Und noch scheint er auch die Zeit zu bekommen, sein Langzeitprojekt anzugehen. Einen Pirlo kritisieren auch die Chefankläger von der Gazzetta dello Sport und Co nicht so schnell.

Champions League: Die Tabelle der Gruppe G

Pl.Sp.SUNToreDiff.Pkt.
122007:1+66
221012:2+03
320112:4-21
420113:7-41