FC Bayern: Sieben Erkenntnisse zur Sieben-Tore-Gala bei Tottenham Hotspur

Von Dennis Melzer
Joshua Kimmich erzielte gegen die Spurs eins von sieben Tore der Bayern.
© getty

Der FCB siegt an einem denkwürdigen Abend mit 7:2 bei Tottenham Hotspur. Passend zur Toranzahl fasst SPOX und Goal sieben Erkenntnisse des Spiels zusammen.

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Nein, die vier riesigen Anzeigetafeln im futuristischen Neubau an der White Hart Lane im Norden Londons waren nicht defekt. Neben dem Wappen des Auswärtsteams, namentlich Bayern München, prangte in weißer Schrift auf blauem Grund eine 7. Das änderte sich auch nach kollektivem Augenreiben nicht.

Sieben Tore hatte der deutsche Rekordmeister im Champions-League-Gruppenspiel bei Vorjahresfinalist Tottenham Hotspur erzielt und dem englischen Spitzenklub eine nahezu beispiellose Klatsche zugefügt. SPOX und Goal fassen in Anlehnung an die Trefferanzahl sieben Erkenntnisse eines denkwürdigen Abends zusammen.

1. Der FC Bayern meldet sich auf internationaler Bühne eindrucksvoll zurück

Das Ausscheiden gegen den FC Liverpool zu Beginn des Jahres nagte lange an den Verantwortlichen des FC Bayern. Monatelang haderte man, ging immer wieder auf die mannigfaltigen Gründe ein. Falsche Taktik, individuelle Fehler, das Übliche eben. Der mediale Tenor, der sich seit der 1:3-Pleite zudem hartnäckig hielt: Die Münchner gehören nicht mehr zu Europas Hautevolee.

Eine Wahrnehmung, die nach dem eindrucksvollen Auftritt gegen den Endspielteilnehmer der Vorsaison nun endgültig zu den Akten gelegt werden dürfte. Sieben Tore auf der Insel, bei den traditionell defensivstarken Spurs, sind eine echte Ansage an die restlichen Spitzenteams, die stets als Favoriten auf den Henkelpott gelten. "International war das auf jeden Fall ein Ausrufezeichen", befand dementsprechend Torwart Manuel Neuer im Anschluss an die Partie. Dem ist nichts hinzuzufügen.

2. Serge Gnabrys Sternstunde in der alten Heimat

Serge Gnabry erzielte in der 53. Minute sein allererstes Champions-League-Tor überhaupt. 35 Minuten später standen derer vier zu Buche. Und das ausgerechnet in seiner alten Heimat, wo er jahrelang für den FC Arsenal kickte. Nach Abpfiff schnappte sich der Mann des Abends selbstverständlich das Spielgerät als Souvenir. Das ist seit vielen Jahren Usus, wenn einem Akteur das Kunststück gelingt, mindestens drei Treffer zu erzielen. "Den Ball habe ich mir gesichert", sagte der FCB-Held bei DAZN und verriet: "Er wurde zwar zwischendurch zu den Fans geschossen, aber ich habe ihn wiederbekommen. Vielen Dank dafür."

Für die Lobeshymnen auf den Flügelflitzer waren allerdings die anderen verantwortlich. "Das war eine Sternstunde der gesamten Mannschaft, aber natürlich ganz besonders für Serge. Das war wirklich ganz fantastisch", schwärmte Trainer Niko Kovac, ehe Joshua Kimmich seinem Kumpel sogar körperliche Zärtlichkeiten in Aussicht stellte und bei Sky erklärte: "Der kriegt vielleicht noch einen Kuss auf die Stirn, bevor es ins Bett geht. Das war brutal heute."

3. Robert Lewandowski: Die personifizierte Effektivität

Lange sah man von Robert Lewandowski in der ersten Hälfte kaum etwas. Dann überspielte der Pole kurz vor dem Seitenwechsel einfach mal den gestandenen Innenverteidiger Jan Vertonghen mit der Hacke, nur um die Kugel Sekunden in Weltklassemanier aus der Drehung ins Netz zu befördern.

Lewandowski besorgte das 2:1 zur Pause, das den Gastgebern offenbar einen schweren Schlag versetzte und avancierte somit - wieder einmal - zum "Gamechanger". Später durfte sich der effektive Torjäger vom Dienst ein weiteres Mal in die Torschützenliste eintragen.

Mittlerweile kommt Lewandowski auf 56 Treffer in der Königsklasse und zog nebenbei dank seines abermaligen Doppelpacks mit Niederlande-Legende Ruud van Nistelrooy gleich. In der noch jungen Saison stehen nach zehn Pflichtspielen satte 14 Buden zu Buche. Obwohl an diesem Abend auch die Kollegen ungewohnt effizient agierten, lässt sich festhalten: Lewandowski trägt zurecht den Beinamen "Lebensversicherung."

4. Joshua Kimmich setzt Statement nach Rummenigge-Aufforderung

"Wenn man kritisch ist, muss man die Flagge in die Hand nehmen und nach oben halten. Dann muss er auch große Leistung liefern. Den Anspruch muss er jetzt haben." Mit diesen Worten hatten Karl-Heinz Rummenigge auf die kritischen Aussagen Joshua Kimmichs reagiert, der nach dem 3:2 in Paderborn unter anderem beklagt hatte, dass die Bayern ihrem "Anspruch hinterherlaufen" würden.

Rückblickend muss man sagen, dass Rummenigges Forderung von Kimmich umgesetzt wurde. Zu einem Zeitpunkt, als die Spurs kurz zuvor das 1:0 erzielt hatten und darauf drängten, sogar ein weiteres Tor nachzulegen, fasste sich der Nationalspieler ein Herz und traf sehenswert zum bis dato schmeichelhaften Ausgleich. Sportdirektor Hasan Salihamidzic sagte in der Mixed Zone, als er auf die Thematik angesprochen wurde: "Er ist ein Junge mit einer Top-Einstellung. Er will jedes Spiel gewinnen." Er schob nach: "Joshua hat die richtige Antwort gegeben."

Etwas zurückhaltender gerierte sich Kimmich selbst im Gespräch mit Sky: "Ich wollte einfach nur der Mannschaft helfen, das hatte überhaupt nichts mit ihm (Rummenigge, Anm. d. Red.) zu tun. Ich hätte das Tor auch so erzielt, das hat nicht den Ausschlag gegeben." Dennoch: Kimmich beansprucht, Führungsspieler zu sein, tut seine Meinung immer wieder offen kund. In Tottenham ging er selbst voran - so wie vom Vorstandsboss gefordert.

5. 30 schwache Minuten

Tatsächlich war trotz des herausragenden Ergebnisses nicht alles perfekt im Bayern-Spiel. Zu Beginn der Partie hatten die Münchner nämlich mit dem schnellen Umschaltspiel der Hausherren große Mühe und letztlich eine Prise Glück, dass die Lillywhites kein Kapital aus ihrer Führung und ihrer Druckphase nach Kimmichs Tor schlugen.

Die FCB-Defensivreihe wirkte anfangs schwerfällig, auf der Sechs stimmte die Feinabstimmung zwischen Kimmich und Corentin Tolisso nicht. Die Folge: Viele Ballverluste im Mittelfeld ermöglichten den schnellen Angreifern um Harry Kane, Dele Alli und besonders Heung-Min Son immer wieder Räume. Einzig Manuel Neuer und mangelnden Kaltschnäuzigkeit der Spurs war es aus Sicht der Bayern zu verdanken, dass nach einer halben Stunde 1:1 stand.

"Wenn man in England spielt, muss man erst einmal dagegenhalten", sagte Kovac. Genau das fehlte dem Coach allerdings, wie er bei DAZN weiter ausführte: "Aber wir haben immer nur verschoben. Wenn man aus der Kette heraustritt, muss man diese danach wieder schließen. Das haben wir nicht gut gemacht."

Neuer hatte ebenfalls Schwächen ausgemacht: "Wir waren in der ersten Halbzeit nicht dominant. Da hatte Tottenham die eine oder andere gute Chance und hätte zur Pause führen können." Chef-Mahner Kimmich befand: "Wir sind relativ glücklich in die Pause gekommen, mit einem 2:1. Das hat nicht so ganz den Spielverlauf der ersten Halbzeit wiedergegeben. Die zweite Halbzeit war phänomenal." Eine treffende Analyse.

6. Manuel Neuer bestätigt seine starke Form

Manuel Neuer möchte nichts mehr von der unsäglichen, glücklicherweise abgeebbten Ter-Stegen-Causa wissen. "Ich habe einmal etwas gesagt, danach habe ich mich nur auf mich konzentriert." Ganz offensichtlich, denn anstatt den verbalen Kleinkrieg, der in Uli Hoeneß' Attacken gegen den Barca-Keeper seinen Höhepunkt fand, weiter zu führen, lässt der 33-Jährige Taten sprechen.

So auch gegen Tottenham. Neuer vereitelte in der ersten Halbzeit gleich mehrere gegnerische Chancen und glänzte mit einer Weltklasse-Parade gegen Christian Eriksens Fernschuss beim Stand von 2:4. Seine kurze Selbsteinschätzung nach dem Duell mit den Engländern: "Ich spiele in den letzten Wochen immer gut", sagte Neuer. "Ich konzentriere mich einfach nur auf meine Leistung."

7. Benjamin Pavard, der stille Königstransfer

Es waren die Lucas Hernandez' und Coutinhos dieser Welt, die den großen Medienhype im Sommer auslösten, während Benjamin Pavard mit einer verhältnismäßig ruhigen Zeremonie in der bayrischen Landeshauptstadt empfangen wurde. Heimlich, still und leise hat sich der Franzose bislang aber als echter Königstransfer entpuppt.

Pavard verbucht bei den Bayern die meisten Pflichtspielminuten und lieferte auch in London wieder einmal ab. Zunächst als Rechtsverteidiger aufgeboten, musste der ehemalige Stuttgarter aufgrund der Verletzung David Alabas im zweiten Durchgang auf die ungewohnte linke Abwehrseite rücken - und zeigte gleich, dass er keine Anpassungsschwierigkeiten hat. Mit einem sehenswerten Doppelpass schickte Pavard seinen Kollegen Gnabry auf die Reise, der zum Solo-Lauf ansetzte und das 3:1 erzielte.

Auch die relevanten Statistiken lesen sich hervorragend: 80 Prozent gewonnene Zweikämpfe und mit 91,8 Prozent die beste Passquote aufseiten der Gäste. "Er zeigt schon nach ein paar Wochen, dass er einer der besten Transfers werden wird, die wir je gemacht haben", wurde Pavard jüngst von Uli Hoeneß geadelt. Macht der Defensivmann so weiter wie bisher, könnte man eines Tages sagen: Hoeneß hatte Recht.

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