Liverpool-Trainer Jürgen Klopp exklusiv: Wie er die Mentalität für den Champions-League-Triumph schuf

Von Neil Jones
Jürgen Klopp gewann 2019 die Champions League mit dem FC Liverpool.
© getty

Als der FC Liverpool am 1. Juni Europas Thron erklomm, hätte Jürgen Klopp eigentlich wie entfesselt auf den Kabinentischen tanzen müssen. Mit seinen Spielern feiern, die Sau raus lassen, den Druck einer ganzen Saison endlich in eine rauschende Party kanalisieren. Eigentlich.

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"Den Moment, als wir die Champions League gewannen, feierten wir nicht zusammen in der Kabine", blickte Klopp im exklusiven Interview mit SPOX und Goal auf den 2:0-Finalerfolg gegen Tottenham in Madrid zurück und führte aus: "Es war nicht so, dass ich nicht wollte. Aber ich war einfach zu erschöpft."

Erst später, so der 52-jährige Deutsche weiter, habe er die Bilder von der Siegesfeier seiner Spieler im TV gesehen. "Das Alles habe ich nur gehört, ein paar Meter entfernt in der Trainerkabine. Ich war vollkommen fertig - und dennoch: Als ich da saß, war ich richtig glücklich für die Jungs."

Eine der wichtigsten Komponenten auf dem Weg der Reds zu Europas Krone war der Teamgeist. Jener hatte sich laut Klopp vor allem aus Rückschlägen wie der Endspielpleite gegen Real Madrid ein Jahr zuvor entwickelt.

"In jeder Beziehung, jeder Freundschaft, jedem Verhältnis zu einem Arbeitskollegen oder was auch immer ist es stets entscheidend, wie es ist, wenn es mal nicht so gut läuft. Und diese Momente haben uns immer enger zusammengeschweißt", betonte Klopp. "Wir haben das Finale verloren, sogar drei Finals. Und die Jungs konnten sich trotzdem noch gegenseitig in die Augen schauen."

Die Entwicklung, die das Team seit seinem Amtsantritt in Liverpool im Oktober 2015 genommen hat, beeindruckt Klopp besonders: "Als ich hierher kam, sagte ich, dass niemand diese Mannschaft mag, nicht einmal die Mannschaft selbst", sagte er lachend. "Das war die Realität, aber heute ist es komplett anders. Es geht um Entwicklung, um Zeit, um Geduld, die du mit den Jungs hast."

Jürgen Klopp: "Meine Jungs haben dieses Talent"

Mentalität war dabei stets eines der Zauberworte im Klopp'schen Kosmos. Mentalität, ohne die etwa die unfassbare Aufholjagd im Halbfinale gegen den FC Barcelona niemals möglich gewesen wäre. Klopp erklärt seinen Ansatz auch hier mit dem Kollektivgedanken: "Wie lange kann ich mich am Rand eines Berges mit einem Finger festhalten, wenn ich damit nur mein eigenes Leben retten will? Keine Ahnung, vielleicht zehn Sekunden? Wenn ich aber meinen kleinen Sohn dabei habe, könnte ich dort wohl für drei Tage hängen. In meiner Vorstellung zumindest. Ich würde es für ihn tun, nicht für mich selbst."

Je mehr man realisiere, führt Klopp aus, was man für andere Menschen tut, desto leichter falle es, Grenzen zu überwinden. "Und meine Jungs haben dieses Talent", erklärt er. "Sie würden am Rand des Berges vier Jahre lang füreinander hängen, keine Frage." Eine Einstellung, die der frühere BVB-Coach ganz bewusst einimpft: "Wenn ein Spieler kein fußballerisches Talent hat, kann ich aus ihm keinen großartigen Spieler machen. Aber die Mentalität, glaube ich, haben alle Menschen einfach in sich drin."

Auch bei den Transfers, die Liverpool unter Klopp getätigt hat, habe indes das Thema Entwicklungspotenzial eine große Rolle eingenommen: "Wir hatten nur zwei Neuzugänge, bei denen wir dachten: 'Okay, die müssen ein absoluter Volltreffer sein'. Das waren Ali (Alisson Becker, d. Red.) und Virg (Virgil van Dijk, d. Red.)." Bei Giorginio Wijnaldum beispielsweise, der 2016 aus Newcastle kam, oder Andy Robertson, den man 2017 aus Hull holte, sei das anders gewesen: "Sie waren gerade abgestiegen und kamen nach Liverpool. Sie waren für uns leicht zu bekommen, aber eben keine offensichtlichen Transfers für die Öffentlichkeit. Wir mussten mit diesen Spielern arbeiten, mit allen von ihnen."

Am 1. Juni im Wanda Metropolitano zu Madrid standen sowohl Wijnaldum als auch Robertson in Liverpools Startelf. Und waren später auch mittendrin, beim Siegesrausch in der Kabine, den Klopp verpasste. "Ich will nicht mehr die gleichen Dinge tun wie zu meinen Jugendzeiten, nicht mehr überall mittendrin sein", sagt er. Und nahm sich daher eine kurze Auszeit. Im wohl größten Moment seines bisherigen Trainerdaseins.

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