Lucas Moura schießt Tottenham gegen Ajax ins Finale: Karma is a B****

Bis(s) zum Ende: Lucas Moura wurde mit drei Toren gegen Ajax Amsterdam zum Helden für Tottenham Hotspur.
© getty

Mit seinem Dreierpack schoss Lucas Moura beim Wahnsinn von Amsterdam Tottenham Hotspur ins erste Champions-League-Finale der Vereinsgeschichte. Dorthin, wo sein Ex-Klub Paris Saint-Germain so dringend möchte - und Moura deshalb aussortierte.

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Paris, im Februar 2018: Neymar ist stocksauer auf die Verantwortlichen von Paris Saint-Germain und macht seinem Ärger gegenüber Medienvertretern Luft. "Er hätte PSG niemals verlassen dürfen", sagt der brasilianische Superstar. "Er", damit war Lucas Moura gemeint. Sein "Fußball-Buddy", Neymars "Bruder" und kongenialer Mitspieler in der U20-Nationalmannschaft Brasiliens bei der Südamerikameisterschaft 2011.

Vom Hof gejagt hatten sie ihn beim nach großen Namen und dem Henkelpott lechzenden Scheichklub aus der französischen Hauptstadt. Weil die UEFA mit ihrem Financial Fairplay drohte, musste PSG im Winter 2018 einiges an personellem Ballast loswerden. Weil Moura angeblich Internas aus der Umkleidekabine ausgeplaudert hatte und auch, weil er nach dem Wechsel von Kylian Mbappe zu PSG ohnehin nur mehr zwischen Reservebank und Tribüne pendelte.

Der verunsicherte Flügelstürmer sprach hinterher von den "schlimmsten sieben Monaten" seines Lebens und flüchtete zu Tottenham in die Premier League. Knapp 30 Millionen Euro kassierte PSG im Winter 2018 für Moura von den Spurs. Milde Gaben für das, was sich etwas mehr als ein Jahr später ereignen sollte.

Moura schreibt Spurs-Geschichte: "Er verdient eine Statue"

Amsterdam, 9. Mai 2019: Christian Eriksen steht wie angewurzelt in den Katakomben der Amsterdamer Johan-Cruyff-Arena. So richtig weiß er gar nicht wohin mit sich und seinen Emotionen. Mit 3:2 und in allerletzter Sekunde hatten seine Spurs soeben das Halbfinal-Rückspiel gegen dieses furiose, junge, dynamische Ajax Amsterdam gewonnen. Zum ersten Mal in der Geschichte stehen die Spurs damit im Finale der Champions League.

Zu viel für den aufgrund ausbleibender Transfers viel kritisierten und als ewigen Zweiten abgestempelten Trainer Mauricio Pochettino, der kurz nach Schlusspfiff tränenreich auf dem Rasen in sich zusammengesackt war. Zu viel auch für Eriksen, der in Erklärungsnöte kam, als man ihn fragte, wie die Spurs dieses Comeback nach 0:2-Rückstand noch geschafft hätten.

"Wir hatten nur Glück", sagte Eriksen über ein Spiel, dass die junge Ajax-Mannschaft in der ersten Halbzeit wieder einmal dominiert hatte, dann jedoch eine "aberwitzige" (Eriksen) Wende nahm. Auch deshalb reihte der dänische Nationalspieler noch weitere Wörter aneinander. "Herz und Lucas Moura. So haben wir gewonnen."

Der habe eine Achterbahnfahrt in dieser Saison und auch in seiner Karriere hinter sich und sich diesen Tag verdient. "Jetzt muss man ihm zuhause in England eine Statue bauen", meinte Eriksen und hatte damit gar nicht mal so Unrecht. Jener Moura war es nämlich, der in diesem wilden, aberwitzigen Spiel drei Mal vor dem Tor von Ajax-Keeper Andre Onana auftauchte und drei Mal eiskalt vollstreckte.

Spurs erreichen Finale: "Bester Moment meiner Karriere"

Zum ersten Mal schlug der von Pochettino vom Flügelspieler zur zweiten Spitze umgeschulte Brasilianer nach 54 Minuten zu. Erst eine starke Ballverarbeitung- und Weiterleitung auf Dele Alli, dann der schnelle Antritt vorbei an Lasse Schöne, am Ende ein präziser Abschluss. Und fertig war der Funken Hoffnung, der angesichts der starken ersten Halbzeit des Amsterdamer Kollektivs schon fast zu verglühen drohte.

204 Sekunden später bat Moura die halbe Ajax-Defensive und besonders den hochgelobten Regisseur Frenkie de Jong zum Tänzchen und steckte den Ball durch dessen Hosenträger zum Ausgleich ins Netz. Aus dem Fünkchen war ein loderndes Feuer geworden. Hakim Ziyech hätte es ersticken können, doch landete sein Schuss zehn Minuten vor Schluss am Pfosten hinter Hugo Lloris und in der Nachspielzeit an dessen Fäusten.

Nuancen, die auch den Spurs zuvor beinahe zum Verhängnis wurden, als Jan Vertonghen einen Kopfball an die Latte setzte. "Da denkst du dir: 'Vielleicht ist heute doch nicht unser Tag'", sagte ein strahlender, aber immer noch verletzter Harry Kane hinterher. Der 8. Mai wurde aber doch noch zum Tag von Tottenham, dem Tag von Lucas Moura, gekrönt vom "besten Moment meines Lebens".

In der sechsten Minute der Nachspielzeit war er gekommen. Was er hinterher als "das größte Geschenk von Gott" an sich bezeichnete, war in dieser 96. Minute vielmehr ein Zuspiel von Dele Alli, das er staubtrocken zum Finaleinzug verwertete.

Lucas Moura kommt vor PSG ins CL-Finale: Karma is a B*tch

"Alle meine Spieler sind Helden", sagte ein völlig aufgelöster Pochettino nach dem Spiel: "Aber er ist der Superheld." Ein Superheld mit Anlaufschwierigkeiten. Gerade einmal 208 Premier-League-Minuten hatte Moura in der Rückrunde nach seiner Flucht aus Paris gespielt. "Fünf Monate der Anpassung", wie Moura rückblickend sagte.

Pochettino - ein Trainer, der sich durchaus mal etwas traut und Spieler auf ungewohnten Positionen einsetzt - testete den gelernten Rechtsaußen Moura in der Sommerpause als zweite Spitze. Experimente, die im Laufe dieser Premier-League-Saison zu einem Masterplan reiften, Moura zu einer zweikampfstarken und torgefährlichen Allzweckwaffe umfunktionierten und nun gegen Amsterdam in Abwesenheit des verletzten Torjägers Kane ihre Vollendung fanden.

Moura traf aus eben jener Position heraus dreifach. "Beschleunigen, dribbeln und Chancen kreieren sind die DNA meines Spiels", sagte Moura über sich selbst vor knapp einem halben Jahr, als er gegen Manchester United einen Doppelpack erzielte und anschließend Freudentränen vergoss.

Er selbst hat dafür gesorgt, dass er nur etwas mehr als ein Jahr nach dem "brutalen Schlag" in Paris mit den Spurs nun da steht, wo sein Ex-Klub seit Jahren mit all seinen Millionen und Superstars so dringend hin will, jedoch seit Jahren scheitert: im Finale der Champions League. Auf dem Weg dorthin hat er jetzt alleine mehr Tore in einem Halbfinale der Königsklasse geschossen als PSG. Beim bis dato einzigen Ausflug in die Vorschlussrunde 1994/95 blieben die Franzosen gegen den AC Milan in zwei Spielen nämlich ohne eigenen Treffer.

Das weckt Erinnerungen an eine etwas unflätige Redensart aus dem Englischen, deren Bedeutung nicht nur Neymar, sondern auch die PSG-Bosse sicherlich kennen: Karma. Das ist per Definition ein spirituelles Konzept, nach dem jede Handlung - physisch wie geistig - unweigerlich eine Folge hat. Und an diesem Abend galt für PSG: Karma is a B****.

Champions League: Die Halbfinalspiele im Überblick

Mannschaft 1Mannschaft 2HinspielRückspiel
FC LiverpoolFC Barcelona0:34:0
Ajax AmsterdamTottenham Hotspur1:02:3
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