Klopps Co-Trainer Peter Krawietz im Interview: "Wir sind teils massiv benachteiligt worden"

Peter Krawietz ist langjähriger Co-Trainer von Jürgen Klopp.
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Peter Krawietz ist langjähriger Co-Trainer von Jürgen Klopp und steht mit dem FC Liverpool am Samstag im Champions-League-Finale gegen Real Madrid (20.45 Uhr im LIVETICKER).
 

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Seite 1: Krawietz über das Stahlbad Premier League, ManCitys neuen Fußball und Schiris

Im Interview spricht Krawietz über Manchester Citys neue Form von Fußball, Benachteiligungen von Schiedsrichtern, seine Argumente für den Videobeweis, den Wechsel von Philippe Coutinho und das Endspiel gegen die Königlichen.

SPOX: Herr Krawietz, für Sie ist es nach 2013 mit dem BVB das zweite Champions-League-Endspiel Ihrer Karriere. Wie viele Karten für die Partie in Kiew haben Sie denn besorgen müssen?

Peter Krawietz: Wir haben diesmal ein anderes Konstrukt gewählt. Da die Hotelpreise in Kiew unglaublich explodiert und 3000 Euro pro Nacht keine Seltenheit sind, haben wir unsere Freunde zu einer Party nach Liverpool eingeladen. Meine Frau hat im Dezember Geburtstag, und als wir im Januar alle für ein Fest möglichen Termine durchgegangen sind, blieb nur der 25. Mai übrig. Jetzt wird daraus eben eine Champions-League-Finalparty - und ich habe die Sache mit den Karten galant umschifft. (lacht)

SPOX: Liverpool ist am letzten Spieltag der Premier-League-Saison die erneute Qualifikation für die Königsklasse geglückt. Fehlte gerade nach dem 5:2-Halbfinalsieg im Heimspiel gegen Rom zuletzt ein bisschen der Fokus, weil das große Spiel über allem steht?

Krawietz: Nein, da würde ich nicht mitgehen. Die Gründe waren ausschließlich sportlicher Natur. Besonders nach der letzten Länderspielpause erwischte uns das Verletzungspech erheblich. Uns sind innerhalb von ein paar Tagen vier, fünf Leistungsträger weggebrochen. Dadurch gerieten wir in eine Situation, die das Belastungsmanagement und die Spielrotation nahezu unmöglich gemacht hat. Wir mussten speziell in den Ligaspielen ein bisschen basteln und Spieler einsetzen, denen teilweise die hundertprozentige Fitness und Spielpraxis fehlte oder sie auf Positionen einsetzen, die sie zwar spielen können, auf denen sie aber keine Gewohnheiten hatten. Das hatte also nichts mit Nachlässigkeit zu tun. Umso zufriedener und stolz sind wir, es am Ende unter die Top vier geschafft zu haben.

SPOX: Im letzten SPOX-Interview kurz nach der Ankunft des neuen Trainerteams sagten Sie, man wolle sich nun erst einmal die bestehenden Abläufe anschauen. Nach jetzt drei Spielzeiten - welche Dinge wurden letztlich am stärksten verändert?

Krawietz: Mittlerweile haben wir schon an ein paar Stellschrauben gedreht. Das sind normale Anpassungsprozesse aufgrund unserer gemachten Erfahrungen. Der Aufwand hier ist massiv, daher versuchen wir, unsere organisatorischen Abläufe so gut es geht zu optimieren. Wir reagieren zum Beispiel auf die dauerhafte Belastung, indem wir Hotelaufenthalte auf ein Minimum reduzieren, um die Zeit zu Hause sowie die Möglichkeit der Regeneration auszudehnen. Die größte Umstellung ist sicherlich das Thema Ernährung. Wir haben Ernährungsberater unter der Leitung von Mona Nemmer dazu geholt. Dort wird nun sehr gezielt für jeden Einzelnen und die Gruppe gearbeitet, um diesem Thema gerecht zu werden.

SPOX: Wie bewerten Sie die englische Liga, sind Sie da zu neuen Erkenntnissen gekommen?

Krawietz: Im Grunde nicht. Die Premier League ist und bleibt ein Stahlbad. Sie ist eine tolle und intensive Schule für Spieler wie Trainer. Hier werden alle Formen von Fußball praktiziert, die man so antreffen kann. Es gibt technisch starke Mannschaften wie Manchester City, Arsenal oder Tottenham und Teams, die extrem direkt und mit maximaler Intensität spielen. So hat man Spieltag für Spieltag eine große Herausforderung zu bewältigen, weil man sich auf die vielfältigen Herangehensweisen der Teams einstellen muss. Dazu ist die Spannung sehr groß, auch wenn ManCity in dieser Saison eine neue Form von Fußball entwickelt hat, die über allem stand.

SPOX: Was ebenfalls neu sein wird in der kommenden Saison, ist die Einführung des Videobeweises, der in der Bundesliga für reichlich Gesprächsstoff gesorgt hat. Wie stehen Sie dazu?

Krawietz: Ich bin ein großer Fan des Videobeweises, auch wenn es in Deutschland etwas problematisch abgelaufen ist. Das ist ein neues System, das man lernen muss und bei dem Dinge im Prinzip neu definiert werden müssen. Das sollte jetzt mit Sicherheit weiter verbessert werden. Für mich geht es dabei aber vor allem darum, die kapitalen Fehlentscheidungen zurücknehmen zu können.

FC Liverpool: Der Weg ins Champions-League-Finale

RundeGegnerHinspielRückspiel
GruppenphaseFC Sevilla2:2 (H)3:3 (A)
GruppenphaseSpartak Moskau1:1 (A)7:0 (H)
GruppenphaseNK Maribor7:0 (A)3:0 (H)
AchtelfinaleFC Porto5:0 (A)0:0 (H)
ViertelfinaleManchester City3:0 (H)2:2 (A)
HalbfinaleAS Rom5:2 (H)2:4 (A)

SPOX: Das hat in Deutschland leider auch nicht vollumfänglich geklappt.

Krawietz: Das stimmt. Wenn ich jedoch sehe, wie Erzgebirge Aue nun massiv davon betroffen war: Mit Torlinientechnik und Videobeweis wären solche Fehlentscheidungen schlichtweg ausgeschlossen. Das ist der wichtigste Punkt, den uns diese Techniken liefern können. Es braucht Verbesserungen und eine eindeutige Regelung, aber eigentlich ist der Videobeweis ein Muss. Deshalb ist es für mich unverständlich, weshalb er in einer speziellen Liga wie der Premier League erneut um eine Saison hinausgezögert wurde.

SPOX: Liverpool hat in der abgelaufenen Saison auch die eine oder andere fragwürdige Entscheidung akzeptieren müssen. Es gibt ja zum Beispiel den Fakt, dass Tottenham Hotspur beim Auswärtsspiel in Anfield mehr Elfmeter zugesprochen bekam, als der FC Liverpool in der gesamten Saison.

Krawietz: So ist es. Wir haben uns zum wiederholten Male gegen alle Widerstände durchsetzen müssen und sind teilweise massiv benachteiligt worden. Das hat uns aktiv Punkte gekostet und brachte uns in eine Situation, die wir zusätzlich als Hürde empfunden haben. Der erwähnte Fakt spricht eine eindeutige Sprache und ist in der Form eigentlich gar nicht hinzunehmen. Was da schief läuft, ist selbst mit dem größten Verständnis nicht mehr zu erklären.

SPOX: Ein englisches Dauerthema ist die fehlende Winterpause. Wie gehen Sie in Liverpool mittlerweile vor, um die hohe Belastung so gut es geht zu überstehen?

Krawietz: Man muss seinen Kader breiter aufstellen, um das auf mehrere Schultern zu verteilen - das ist die einzig mögliche Lösung. Das haben wir vor der Saison versucht, und es hat bis März ganz gut funktioniert, doch dann hat der Verletzungsteufel zugeschlagen. Anschließend merkte man schnell, dass wir unser hohes Niveau nicht mehr halten konnten.

SPOX: Weil man letztlich einfach zu viele Spiele zu absolvieren hat?

Krawietz: Natürlich, insbesondere in den Cup-Wettbewerben mit den dort geltenden Regelungen. Die sind der Killer. Ab einem bestimmten Zeitpunkt der Saison kann man regelrecht dabei zusehen, wie die Top-Spieler mit einem Energielevel herumlaufen, das es ihnen nicht mehr ermöglicht, die beste Leistung abzurufen. Für jeden Verein, der sich diesen vollumfänglichen Belastungen stellen darf, ist das wahnsinnig schwierig zu regeln. Im Grunde genommen müsste auch da jemand auf die Idee kommen, eine neue Regelung zu finden. Es gibt meines Wissens immerhin Pläne, eine Art Winterpause oder zumindest ein spielfreies Wochenende für jede Mannschaft einzuführen, indem man einen kompletten Spieltag über zwei Wochenenden verteilt.

SPOX: Liverpool landete wie im Vorjahr auf Rang vier, mit einem Punkt weniger als 2016/2017. Wie sah die Analyse der Vor-Saison aus, welche Erkenntnisse haben Sie aus dem letzten Jahr gezogen?

Krawietz: Die zwei essentiellen Punkte waren: Wir wollten uns durch eine Verbreiterung des Kaders stabilisieren, um in dem geforderten Rhythmus konstantere Leistungen abrufen zu können. Darüber hinaus rückten wir das Zusammenwachsen als echtes Team in den Fokus, denn dort schlummerte noch großes, ungenutztes Potential. Ein gutes Beispiel ist das Hinspiel gegen Tottenham nach unserem 7:0-Sieg in Maribor. Da waren die Jungs drei Tage später im Kopf nicht bereit für ein Spitzenspiel in der Premier League, und wir verloren mit 1:4. Das hat sich mittlerweile wirklich sehr verbessert, wir haben auf diesem Gebiet einen großen Entwicklungsschritt gemacht.

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