FC Bayern München verliert die Tabellenführung: Ausgelaugt nach dreieinhalb Jahren Tuchel

Thomas Tuchel
© getty

Die Niederlage beim FSV Mainz 05 war der nächste Tiefpunkt des FC Bayern München - aktuell erkennt man den so stolzen Klub gar nicht mehr wieder. Trainer Thomas Tuchel und Thomas Müller zeigten sich ratlos, der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn attackierte die Mannschaft.

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Während seiner ziemlich traurigen Pressekonferenz nach dem 1:3 beim FSV Mainz 05 huschte immerhin einmal ein Lächeln über Thomas Tuchels Lippen - und zwar wegen eines bezeichnenden Versprechers. "Wir haben dreieinhalb Jahre", begann er, hielt kurz inne und schmunzelte. "Dreieinhalb Jahre ... so wirkt es. Wir haben dreieinhalb Wochen ohne freien Tag gehabt." Deshalb sei es nun "dringend notwendig, ein bisschen Abstand zu bekommen".

Nach dreieinhalb Wochen, in denen der FC Bayern zweieinhalb Titel verspielt hat, gab Tuchel seinen Spielern also drei Tage frei. Drei Tage, um Kraft zu tanken vor dem Bundesliga-Endspurt. Drei Tage, um die vergangenen dreieinhalb Wochen zu verarbeiten.

Los ging diese aus Münchner Sicht so katastrophale Phase Ende März in Leverkusen. Der FC Bayern verlor mit 1:2 und damit auch die Tabellenführung. Die Klub-Führung um den Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn reagierte, entließ kurz darauf Julian Nagelsmann und ersetzte ihn durch Thomas Tuchel. Was sich seitdem zutrug, geht als Anti-Trainerwechsel-Effekt durch.

Damals waren die Münchner noch in allen Wettbewerben vertreten, insgeheim hofften sie auf das Triple. Seitdem scheiterten sie im DFB-Pokal am SC Freiburg, in der Champions League an Manchester City und verloren die in der Bundesliga zwischenzeitlich zurückeroberte Tabellenführung wieder an Borussia Dortmund. Von seinen ersten sieben Pflichtspielen hat Tuchel drei verloren und damit genauso viele wie Nagelsmann im gesamten Saisonverlauf bis dahin. Präsentierte sich die Mannschaft unter Nagelsmann lediglich inkonstant, wirkt sie mittlerweile physisch und psychisch halbtot.

FC Bayern in Mainz: Das Schlimmste war die Körpersprache

Das Remis gegen die TSG Hoffenheim vergangene Woche und vor allem das 1:3 in Mainz stellten absolute Tiefpunkte der jüngeren Klubgeschichte dar. Die Münchner gingen durch Sadio Mané zwar wieder in Führung, fielen dann aber innerhalb kürzester Zeit komplett auseinander (drei Gegentore in 14 Minuten) und bäumten sich nicht einmal ansatzweise auf.

Traditionell läuft der FC Bayern unter Druck zur Höchstform auf. Nun aber ist es umgekehrt: Die Spieler scheinen förmlich einzubrechen. Oder sind sie nach zehn Meistertiteln am Stück vielleicht einfach satt und können in der Bundesliga nicht mehr an ihre Leistungsgrenze gehen? Aktuell erkennt man den so stolzen FC Bayern gar nicht mehr wieder.

Das Schlimmste an diesem Spiel in Mainz war nicht die sportliche Leistung an sich, sondern die begleitende Körpersprache und Ausstrahlung. So willen- und wehrlos wie während der Schlussphase hatte sich eine Mannschaft des FC Bayern sehr, sehr lange nicht mehr präsentiert. Wann überhaupt?

Eigentlich wären Führungsspieler gefragt, aber gerade die versprühten in Mainz statt Kampfeslust nur Kraftlosigkeit. Bezeichnend: Direkt nach dem 1:2 wechselte Tuchel ausgerechnet Kapitän Thomas Müller und dessen Stellvertreter Joshua Kimmich aus. Offenbar traute er ihnen keine Impulse mehr zu.

Müller und Tuchel stellten Ratlosigkeit zur Schau

Nach dem Spiel stellte Müller genau wie Tuchel bemerkenswert offen seine Ratlosigkeit zur Schau. Beide wirkten sie nicht kämpferisch, sondern resignativ. Auf die sportliche Entblößung folgte die verbale. "Heute habe ich einen Zustand festgestellt, dass wir nicht mehr die Kraft oder die Energie hatten, um zurückzukommen. Wir konnten die auch psychologisch nicht einfachen letzten Wochen, die Rückschläge nicht verkraften", sagte Müller und ergänzte: "Ich bin etwas ratlos."

Tuchel kam bei seinen Ausführungen immer wieder auf fehlende Energie und Konzentrationsprobleme seiner Spieler zurück, sein wohl am häufigsten verwendetes Adjektiv war "ausgelaugt". Tuchels Sätze klangen alarmierend, beispielsweise so: "Wir können uns nicht mehr aufbäumen. Es geht nicht. Ich weiß nicht wieso." Oder: "Wir sind nicht in der Lage, an unser Leistungsniveau heranzukommen, weder emotional noch spieltechnisch." Oder: Im "Moment sehen wir aus wie eine Mannschaft, die schon 80 Saisonspiele gemacht hat."

Waren das womöglich kleine Seitenhiebe gegen Vorgänger Nagelsmann? Immerhin wurde gelegentlich über dessen angeblich zu intensive Trainingseinheiten geklagt.

Bei seinen Ausführungen wählte Tuchel innerhalb kürzester Zeit schon die dritte Extreme der Kommunikations-Klaviatur. Auf die Schönrederei nach der 0:3-Pleite in Manchester ("hochzufrieden", "schockverliebt") folgte nach dem Hoffenheim-Spiel vergangenes Wochenende harte aber eher inhaltliche Kritik an der Mannschaft. Seine Aussagen in Mainz vermittelten nun Ratlosigkeit.

FC Bayern: Oliver Kahn attackiert die Mannschaft

Ähnlich ratlos, aber deutlich aufgewühlter und wütender wirkte unterdessen der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn bei seinen Ausführungen in der Mixed Zone. Gemeinsam mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic und Präsident Herbert Hainer hat er einen gehörigen Anteil an der verheerende Situation und steht deshalb mittlerweile angeblich selbst zur Disposition.

Vielleicht auch weil er diesen Druck spürt, schützte Kahn den neu installierten Trainer und seine Klub-Führung - und attackierte stattdessen die ohnehin heillos verunsicherte Mannschaft. "Was haben wir in dieser Rückrunde jetzt schon alles versucht? Gespräche, Spieler, Systeme, Taktik, Trainerwechsel", zählte Kahn auf. "Zum Schluss sind es elf Mann, die auf dem Platz stehen und sich für die Ziele dieses Klubs den Hintern aufreißen müssen."

Gewissermaßen hat Kahn damit ja recht. Aber gleichzeitig kann man auch hinterfragen, ob all diese von ihm aufgezählten, teils aktionistischen Versuche tatsächlich nötig und richtig waren. Hatten beispielsweise die von der Klubführung getätigten Transfers sowie vor allem der Trainerwechsel wirklich positiven Einfluss auf die Entwicklungen? Klar ist nur: Der härteste Gegner des FC Bayern im Titelkampf ist nicht der BVB - sondern der FC Bayern selbst.

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