Der BVB und die Erwartungshaltung: Dortmunds dauerhaftes Dilemma

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Bei Borussia Dortmund bemängelt man eine vermeintlich überzogene Erwartungshaltung. Der BVB steckt diesbezüglich in einem Dilemma, das man sich zum Teil auch selbst zuzuschreiben hat. Was ist zu tun, um dieser Kontroverse zu entkommen?

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Nach und nach klatschten die Spieler von Borussia Dortmund in kleinen Gruppen noch schnell Beifall in Richtung ihrer mitgereisten Fans, dann machten sie sich zügig vom Acker. Das war verständlich, schließlich wäre es für sie kein Vergnügen gewesen, die von derbsten Ballermann-Rhythmen begleitete Bierduschen-Orgie des FC Bayern aus nächster Nähe mitzuerleben.

Nur BVB-Trainer Marco Rose stand noch am Spielfeldrand und sprach bei Sky über Dortmunds achte Niederlage in München am Stück. Der 45-Jährige schloss mit einem Fazit, das er schon mehrfach gezogen hatte und längst unabhängig vom Ausgang dieser Partie am 31. Bundesliga-Spieltag geworden ist: "Es ist in der Summe eine wenig zufriedenstellende Saison für uns."

Damit hat er zweifelsfrei Recht. Die voraussichtliche Vizemeisterschaft und die damit verbundene siebte Champions-League-Qualifikation in Folge können kein Trostpflaster für das sein, was Dortmund in den Pokalwettbewerben ablieferte. Ein zweiter Platz in der Liga wird vom BVB schlicht erwartet - weil die Westfalen in Deutschland eindeutig die zweitbesten finanziellen wie strukturellen Voraussetzungen besitzen.

"Für den zweiten Platz klopft dir keiner mehr auf dem Westenhellweg in Dortmund auf die Schulter", hatte der scheidende Sportdirektor Michael Zorc unter der Woche gegenüber der Funke Mediengruppe allerdings bemängelt. "Diese Stimmung ist eine Gefahr für den Klub und seine 800 Mitarbeiter. Wir müssen davon wegkommen, dass man als gescheitert gilt, wenn man nicht Meister wird." Dies werde nämlich ohnehin der "Normalfall" sein, betonte Zorc: "Und wir müssen dennoch die Möglichkeit haben, Zufriedenheit zu erreichen."

BVB und das Dilemma mit der Erwartungshaltung

Was im Verein nicht nur Zorc längst gegen den Strich geht, ist die angeblich überzogene Erwartungshaltung, mit der sich der BVB seit Jahren konfrontiert sieht. Dortmund steckt diesbezüglich in einem dauerhaften Dilemma, das man sich zum Teil auch selbst zuzuschreiben hat.

In den vergangenen Jahren hat der BVB im Vergleich mit den Bayern stets gerne mit dem Ruf des Außenseiters kokettiert und gefühlt bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf verwiesen, dass der Rivale deutlich mehr Geld zur Verfügung hat, man aber dennoch angreifen möchte, sollte er eine schwache Saison hinlegen. Heute ist jedoch festzuhalten, dass die letzte Dortmunder Meisterschaft zehn Jahre zurückliegt und die vergangenen Spielzeiten bis auf eine Ausnahme (2018/19) meist nicht darauf hindeuteten, dass der BVB wirklich dazu in der Lage ist, schwächelnden Bayern - so wie sie es in dieser Saison durchaus waren - auf die Pelle zu rücken.

Hinzu kommen die Verschiebungen im Fußball im Allgemeinen und der Bundesliga im Speziellen in den vergangenen zehn bis 15 Jahren. Diese haben zusammen mit dem seit 2010 sportlich wie wirtschaftlich stark aufstrebenden BVB eine Statik geschaffen, die sehr oft sehr vorhersehbare Resultate zeitigt. Überspitzt könnte man sagen: Durch diese Gemengelage wird in Dortmund der zweite Platz mittlerweile genauso routiniert zur Kenntnis genommen wie in München die Meisterschaft.

BVB: Euphorie nur wegen Platz zwei? Utopisch!

Das Dortmunder Publikum fordert gegen die Mehrzahl der Gegner Siege ein, weil ihr Verein gegenüber dieser Mehrzahl übermächtig ist. Gelingen die Siege, werden sie mittlerweile eher erleichtert als euphorisch aufgenommen. Kommt es dagegen zu unerwarteten Punktverlusten, ist die Stimmung schnell im Keller - weil man mehr erwartet und sich im vermeintlichen Duell mit den Bayern ein weiteres Mal auf der Verliererstraße sieht.

Dass also einzig wegen eines zweiten Platzes grundsätzlich Euphorie rund um den BVB herrscht, ist utopisch geworden, und es würde verwundern, würde dies jemanden bei der Borussia überraschen. Dass Rose sein Fazit so ziehen musste, wie er es zog und die Dortmunder in diesem Jahr von reichlich Ernüchterung sowie Unzufriedenheit begleitet wurden, liegt in erster Linie am kläglichen Abschneiden in CL, EL, DFB-Pokal und weiteren Spielen, die die Borussia teils krachend verlor.

Was kann der Verein also tun, um dieser Kontroverse zu entkommen? "In meinen Augen fehlt dem BVB eine mutigere Selbsteinschätzung", sagte Ex-Spieler Ilkay Gündogan bei Sport1. "Es wird viel darüber geredet, dass die Bayern die besseren wirtschaftlichen Voraussetzungen hätten, aber Dortmund schafft es seit Jahren, regelmäßig die größten Talente Europas zu überzeugen und auch gestandene Spieler, wie zuletzt Emre Can oder Niklas Süle im kommenden Sommer, für sich zu gewinnen. Natürlich geht es auf lange Sicht auch darum, diese Spieler halten zu können, aber mit diesen Voraussetzungen und der Strahlkraft kann man gut und gerne angreifen."

BVB braucht eine Mannschaft, die Begeisterung entfacht

Das ist gewiss ein lohnenswerter Ansatz, der jedoch dringend von identitätsstiftenden Maßnahmen flankiert werden müsste. Der Verein benötigt ein frisch entfachtes Feuer, wie es bereits während der Ära von Jürgen Klopp loderte und nach innen wie außen wirkte. Dies geht an diesem Standort vor allem mit bodenständigen, engagierten Spielern, die verstanden haben, wie dieser spezielle Verein tickt und einem Trainer, dessen Spielstil von hoher Intensität, permanenter Leistungsbereitschaft und enormer Leidenschaft geprägt ist.

Vergegenwärtigt man sich die Aussagen der Verantwortlichen während der vergangenen Wochen, stimmt es dezent positiv, dass dieser Mangel erkannt wurde. "Ich will hier lauter Jungs haben, die aber mal so richtig Bock auf diesen Verein haben, sich zerreißen", sagte beispielsweise Zorc-Nachfolger Sebastian Kehl in der SZ. Ein weiteres Indiz sind Roses warme Worte für Nachwuchsspieler wie Tom Rothe, Jamie Bynoe-Gittens oder Lion Semic, die zuletzt ihre ersten Profi-Minuten gesammelt haben und künftig stärker in die erste Mannschaft integriert werden.

Was Dortmund unabhängig von den eingefahrenen Verhältnissen in Fußball-Deutschland kurz- wie langfristig entwickeln muss, ist eine Mannschaft, die vor allem konstant Begeisterung und darüber neue Identifikation entfacht. Dass es dazu Kantersiege gegen schwächere Teams braucht, wäre ein Irrglaube. Vielmehr ist es auch weiterhin absolut möglich, dass in Dortmund ein zweiter Platz oder ein 1:0-Erfolg gegen einen Underdog wie beispielsweise Bielefeld gefeiert wird.

Das passiert aber nicht, wenn er wie vor ein paar Wochen geschehen durch ein blasses Auftreten der Mannschaft zustande kommt und diese über den gesamten Saisonverlauf nur wenig ausstrahlt, was das emotionale Konstrukt Borussia Dortmund im Kern ausmacht.

BVB: Die finalen Spiele der Saison von Borussia Dortmund

DatumWettbewerbGegner
Samstag, 30.04., 15.30 UhrBundesligaVfL Bochum (Heim)
Samstag, 07.05., 15.30 UhrBundesligaSpVgg Greuther Fürth (Auswärts)
Samstag, 14.05., 15.30 UhrBundesligaHertha BSC (Heim)