So viel mehr als Mentalität: Das macht Joshua Kimmich zum unverzichtbarsten Spieler für den FC Bayern und die Nationalmannschaft

Hansi Flick rotierte gegen Köln kräftig - aber auf Jo Kimmich konnte er nicht verzichten.
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Joshua Kimmich: Weit mehr als Mentalität

Kimmich ist weit mehr als Mentalität, der gebürtige Schwarzwälder führt nicht nur mit Wille und Stimme, sondern schon auch mit seinen Füßen. Kimmich ist auf zwei Positionen auf seine Art ebenso komplett wie Weltklasse. Als Rechtsverteidiger zog er gerne in die Mitte und kurbelte in seinem Offensivdrang mit vielen flachen Pässen das Kombinationsspiel mit an. Im Lauf der Jahre perfektionierte er auch seine Flanken und Assistfähigkeiten.

Unheimlich pressingresistent, passsicher und scheinbar ähnlich wie sein früherer Mitspieler Xabi Alonso mit einem 360-Grad-Blick gesegnet war Kimmich dagegen schon immer.

Fähigkeiten, die ihn auf jeder Position zum geborenen Spielmacher machen - aber im zentralen Mittelfeld natürlich am besten zur Geltung kommen.

Kimmich ist quasi immer anspielbar, was seinen Mitspielern natürlich auch hilft, wenn sie mal unter Druck geraten. Mit ihm auf dem Platz ist Bayern pressingresistenter. Im Gegenzug fordert Kimmich den Ball aber auch immer ein. Er ist Tempo- und Rhythmusgeber seiner Mannschaften, er kann mit einem Pass die gegnerischen Schnittstellen aushebeln, kann Chancen kreieren, Tore vorbereiten und Tore schießen.

Von den sechs in dieser Saison im zentralen Mittelfeld der Bayern eingesetzten Spielern war Kimmich mit Abstand am häufigsten am Ball (BL: 518, CL: 268), spielte mit Abstand die meisten Pässe (BL 402, CL 204) und kreierte die meisten Chancen (BL: 12, CL: 10).

In der vergangenen Saison kreierte übrigens kein anderer Spieler in der Königsklasse so viele Chancen wie Kimmich: Auf 28 kam der Bayer, auf 27 Kevin de Bruyne, der mit Manchester City aber im Viertelfinale die Segel streichen musste. Thomas Müller auf Platz drei kreierte 25 Torchancen.

Diese Saison kreierte Kimmich auch schon wieder zehn Chancen, nur Lionel Messi mit 13 herausgespielten Torchancen ist in dieser Statistik erfolgreicher. In der vergangenen Saison kam Messi insgesamt nur auf 17 kreierte Chancen.

Über das gesamte Jahr 2020 gesehen konnte kein Spieler Kimmich das Wasser reichen. Er kommt auf 26 kreierte Chancen, de Bruyne auf 23, Müller auf 22, Messi auf 20.

Joshua Kimmich: Seine Daten 2020/2021 im Vergleich

Ballberührungen, Pässe, kreierte Chancen Bundesliga:

Name

Spiele

Pässe

Erf. Pässe %

Ballberührungen

Chancen kreiert

Goretzka, Leon

7

307

88.93

393

5

Kimmich, Joshua

6

402

89.8

518

12

Javi Martínez

6

208

91.35

252

1

Musiala, Jamal

6

73

84.93

125

0

Tolisso, Corentin

5

199

88.44

246

3

Roca, Marc

1

0

0

0

Ballberührungen, Pässe, kreierte Chancen Champions League:

Name

Spiele

Pässe

Erf. Pässe %

Ballberührungen

Kreierte Chancen

Kimmich, Joshua

3

204

87.25

268

10

Javi Martínez

3

47

89.36

60

2

Tolisso, Corentin

3

170

85.88

202

3

Goretzka, Leon

2

70

92.86

94

0

Musiala, Jamal

1

2

100

2

0

Roca, Marc

0

0

0

0

Joshua Kimmich: Mit ihm spielt Bayern riskanter

Doch Kimmich kreiert nicht nur mehr Torchancen, er spielt den Ball generell sehr häufig ins letzte Spieldrittel und in den Strafraum. Selbst da ist er deutlich auffälliger und aktiver als Leon Goretzka, dem nominellen, etwas offensiver agierenden Chefdynamiker im Kader des FC Bayern. Kimmich ist nicht nur Spielmacher, sondern auch offensiver Ideen- und Impulsgeber Nummer eins.

47-mal passte Kimmich in der Bundesliga in dieser Saison schon in den Strafraum, Goretzka kam da auf neun Pässe, Tolisso auf acht. In der Champions League sieht das Bild nicht minder eindeutig aus (Kimmich mit 28 Pässen in den Strafraum, Tolisso 6, Goretzka 4). Das zeigt, dass er weit mehr als ein Spielmacher aus der Tiefe ist und erklärt womöglich, wieso sich Flick gegen Bremen für eine Systemumstellung entschied. Da mit Tolisso der Spieler, der noch am ehesten an Kimmichs Werte herankommt und über ähnliche Charakteristiken verfügt, ebenfalls verletzt fehlte, wollte Flick die fehlenden offensiven Fähigkeiten wohl mit zwei Achtern auffangen.

Zumal Kimmich auch der torgefährlichste Mittelfeldspieler der Bayern ist. In dieser Saison kam er wettbewerbsübergreifend auf drei Tore und sieben Vorlagen. Leon Goretzka steht bei vier Toren und drei Vorlagen. Seine letzte - jene zu Comans 1:1 gegen Bremen - war, Zufall oder nicht, eine Art Kopie von Kimmichs Halbfeldflanke auf Coman im Champions-League-Finale von Lissabon.

Selbst wenn Kimmich nicht auf dem Rasen ist, ist er Vorbild.

Mit Kimmich auf dem Rasen agieren die Bayern aber auch riskanter. Denn Kimmich ist zwar ein exzellenter Balldieb, nur Goretzka erobert in der Bundesliga mehr Bälle als er (Kimmich 50, davon sehr gute acht im letzten Drittel, Goretzka 57, zehn im letzten Drittel), doch Kimmich verliert den Ball auch häufig (85). Die anderen im zentralen Mittelfeld eingesetzten Spieler können da nicht mal annähernd mithalten.

Auch daher war es an sich keine schlechte Idee von Flick, ohne Kimmich das Mittelfeld nominell etwas offensiver aufzustellen und in der Defensive auf den resoluten Martinez zu setzen. Doch spätestens nach der frühen Verletzung von Hernandez waren diese Überlegungen obsolet. Bayerns ohne Kimmich ohnehin schon fragile Achse brach endgültig.

Toraktionen, Ballbesitz Bundesliga:

Name

Schüsse

Vorlagen

Tore

Ballbesitz erlangt

Ballbesitz verloren

Ballbesitz erlangt letztes Drittel

Goretzka, Leon

7

2

1

57

48

10

Kimmich, Joshua

4

4

1

50

85

8

Javi Martínez

1

0

0

15

22

2

Musiala, Jamal

4

0

2

11

34

3

Tolisso, Corentin

5

0

0

17

30

4

Roca, Marc

0

0

0

0

0

0

Toraktionen, Ballbesitz Champions League:

Name

Schüsse

Vorlagen

Tore

Ballbesitz erlangt

Ballbesitz verloren

Ballbesitz erlangt letztes Drittel

Kimmich, Joshua

4

3

1

19

45

1

Tolisso, Corentin

4

0

1

13

32

3

Javi Martínez

1

2

0

5

6

0

Goretzka, Leon

2

0

2

5

12

0

Musiala, Jamal

0

0

0

1

0

1

Roca, Marc

0

0

0

0

0

0

Joshua Kimmich: Wie soll Flick sein Fehlen auffangen?

Kimmich hat sich in den vergangenen Jahren zum kompletten Spieler entwickelt, seine Handlungsschnelligkeit und außergewöhnliche Spielintelligenz sind einzigartig. Die Defizite (Schnelligkeit, Größe) sind nahezu ausradiert.

Durch Kimmichs Ausfall schmerz auch ein anderer Verlust noch mehr. Nämlich der von Ballstreichler Thiago, dessen Abgang nach Liverpool zwar bisher einigermaßen aufgefangen werden konnte, aber der eben schon fehlt. Jetzt mehr denn je, da mit Kimmich der Spielmacher aus der Tiefe nicht zur Verfügung steht.

Logischte Variante: Corentin Tolisso, sofern fit, übernimmt Kimmichs Planstelle als Quarterback. Oder Flick versucht es doch mal mit Marc Roca als alleinigem Sechser und fängt dessen fehlenden Offensivmut, den Flick bemängelte, mit Tolisso und Goretzka auf den Achtern auf. Vor allem, sollte Hernandez weiter ausfallen und Martinez wieder in der Viererkette aushelfen müssen.

Erste Chance: Mittwoch in der Champions League gegen Red Bull Salzburg. Mit einem Sieg können die Münchner bereits am vierten Spieltag den Sieg in der Gruppe A einfahren. Beim lange mühsamen und viel zu hoch ausgefallenen 6:2 im Hinspiel waren Kimmichs Vorlagen zum 3:2 und 4:2 der Öffner zum Kantersieg.

Nun müssen sie es ohne ihn richten. Mindestens acht Spiele lang. So viele Spiele stehen bis zum Jahreswechsel an, so lange wird Kimmich wohl mindestens fehlen, was auch bedeutet: Mindestens acht Spiele Ernstfall.

Kimmich wäre zwar zuzutrauen, dass er selbst einem kaputten Meniskus durch Training und Willenskraft zur schnelleren Heilung zwingen kann, doch die Bayern haben angekündigt, ihm die branchenübliche Zeit zur Genesung zu geben. Er soll ja auch dauerhaft wieder fit werden. Dafür brauchen sie ihn zu dringend.

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