Bayerns NLZ-Chef Jochen Sauer im Interview: "Wir brauchen einen roten Faden"

Der FC Bayern hat seinen Campus offiziell im August 2017 eröffnet
© getty

Der FC Bayern München hat für 70 Millionen Euro ein neues Nachwuchsleistungszentrum gebaut und Präsident Uli Hoeneß hat die Jugendarbeit zu einem zentralen Bestandteil der Zukunftsstrategie des Klubs ausgerufen. Chef des FC Bayern Campus ist Jochen Sauer. Der 45-Jährige spricht im Interview über den Ist-Zustand der Nachwuchsabteilung, das Fehlen seines Partners Hermann Gerland und die Zukunft der zweiten Mannschaft.

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SPOX: Herr Sauer, Sie haben im Mai Ihren Dienst beim FC Bayern angetreten, im August wurde der Campus eröffnet. Wie fällt Ihr Zwischenfazit nach etwas mehr als einem halben Jahr Arbeit aus?

Jochen Sauer: Wir sind auf einem guten Weg, haben aber auch noch viel Arbeit vor uns. Der Umzug von der kleinen, kompakten Infrastruktur an der Säbener Straße auf dieses große Gelände am Campus hat sehr reibungslos funktioniert - es sind zumindest keine größeren Vorkommnisse passiert. (lacht) Bei solch einem Projekt ist klar, dass man sich zu Beginn mit vielen Kleinigkeiten beschäftigen muss, insofern war es gut, dass ich schon am 1. Mai angefangen habe und mit Wolfgang Dremmler die Übergabe sehr gut regeln konnte. Außerdem konnte ich die Abläufe, das Personal und die Mannschaften kennenlernen.

SPOX: Sie haben von Dremmler die Leitung des NLZ übernommen, in einer Doppelspitze mit Hermann Gerland. Wie ist Ihr Aufgabengebiet definiert?

Sauer: Die komplette Administration, Organisation und der Betrieb der ganzen Anlage liegen bei mir. Hermann Gerland ist für den sportlichen Bereich verantwortlich. Allerdings war von Anfang an geplant, dass ich Teile im sportadministrativen Bereich übernehme, weil Hermann in erster Linie Trainer ist und sich intensiv um die Themen auf dem Platz und rund um die Mannschaften und Trainerteams kümmern muss.

SPOX: Von der Doppelspitze sind im Moment nur noch Sie übrig, weil Gerland bei den Profis als Co-Trainer von Jupp Heynckes fungiert. Wie wird Gerlands Fehlen aufgefangen?

Sauer: Hermann ist in der Regel mindestens zwei halbe Tage die Woche am Campus. Immer wenn die Profis nicht trainieren, ist er für uns unterwegs. Entweder er ist am Campus oder er kümmert sich an der Säbener Straße um die U23. Sein Fehlen ist im Moment kein Problem, weil wir uns in den ersten Wochen und Monaten über viele Themen schon intensiv ausgetauscht haben und auf einer Linie sind. Telefon und Email gibt es ja auch, wir sind in ständigem Kontakt. Es läuft sehr gut.

SPOX: Sie haben zur Eröffnung des Campus' gesagt, es sei essenziell, dass der Sportliche Leiter Dinge auf dem Platz überprüft. Wer macht das jetzt, wenn Gerland nicht da ist?

Sauer: Die Aufgabe kann er noch wahrnehmen. Wichtig ist, dass Hermann nah an den Mannschaften dran ist und das ist er. Die U23 sieht er intensiv an der Säbener Straße, teilweise trainieren Spieler ja auch bei den Profis mit und er sieht am Campus ausreichend Trainingseinheiten und Spiele.

SPOX: Gerland ist ein Praktiker. Wer kümmert sich um den sportlich-theoretischen Überbau beim FC Bayern, also um Themen wie Konzept, Trainingspläne etc.?

Sauer: Wir brauchen keinen Theoretiker, wir brauchen praktische Ansätze. Hermann hat klare Vorstellungen, wie unser Scouting und Training ablaufen sollen. Die Erarbeitung der einzelnen Inhalte ist dann eine gemeinsame Aufgabe. Da ich für Organisation und Struktur zuständig bin, gebe ich und die mitarbeitenden Kollegen dem Ganzen dann den geeigneten Rahmen und bringe unsere Ideen zu Papier. Daran können sich unsere Trainer und Spieler dann auch zukünftig orientieren.

SPOX: Wie sieht der personelle Langzeitplan des FC Bayern im Nachwuchs aus? Hermann Gerland ist schon 63.

Sauer: Darüber haben wir nicht gesprochen. Ich gehe davon aus, dass wir Kontinuität schaffen , um Dinge auf den Weg zu bringen. Aber es wäre anmaßend und unseriös hier anzufangen, einen Fünfjahresplan zu präsentieren und zu sagen: ‚So hat's jetzt zu laufen.' Es ist ja nicht so, dass hier alles so schlecht war, wie es manchmal dargestellt wurde. Die U17 ist Deutscher Meister geworden, die U19 war im Finale.

SPOX: Die Durchlässigkeit zu den Profis ist immer das große Thema...

Sauer: So ist es. Wir wussten, dass wir nicht bei Null anfangen, sondern dass eine gute Basis vorhanden und auch die Qualität hoch ist. Aber jetzt versuchen wir, die paar Prozentpunkte mehr rauszuholen, um der Erwartungshaltung gerecht zu werden, dass vielleicht wieder der eine oder andere Spieler mehr oben ankommt.

SPOX: Sie haben zuvor als Geschäftsführer bei RB Salzburg gearbeitet. In der Red-Bull-Welt gibt es in der Nachwuchsarbeit einen relativ klaren übergreifenden Plan. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Sauer: Inhaltlich kann ich relativ wenig mitnehmen, weil wir nichts kopieren wollen. Aber zwei Grundaspekte meiner Denkweise haben sich bei der Arbeit in Salzburg bestätigt. Erstens: Man braucht personell wie inhaltlich Kontinuität. Und zweitens braucht man eine klare Linie, die verfolgt wird und die wir nach einem halben Jahr auch nicht wieder infrage stellen sollten. Wir brauchen einen roten Faden für die Ausbildung, an dem sich alle orientieren und an dem entlang alle in eine Richtung arbeiten.

SPOX: Ist dieser rote Faden schon definiert?

Sauer: Wir sind im intensiven Brainstorming und im Austausch, um Leitplanken zu definieren, die uns näher an den Profibereich heran bringen. Die Fragestellung lautet: Was ist oben bei den Profis gefordert? Diese Verlinkung muss funktionieren.

SPOX: Ihr Vorgänger Dremmler war kein Freund des Wortes Ausbildung im Fußball. Er meinte im SPOX-Interview, man werde von Gott geküsst und dann sei man Fußballer. Wie stehen Sie dem Thema gegenüber?

Sauer: Das ist doch eine Frage der Begrifflichkeiten. Selbst wenn einer das natürliche Talent in die Wiege gelegt bekommen hat, kommen noch viele Aspekte dazu, um Profi zu werden. Hier meine ich gar nicht die Schule und die sonstige Persönlichkeitsentwicklung. Die athletische Komponente muss man entwickeln, man muss definieren, auf welcher Position ein Spieler seine Stärken ausspielen kann, dazu kommen Themen wie kognitive Fähigkeiten, Handlungsschnelligkeit, Reaktionsschnelligkeit, Beweglichkeit. Die Anforderungen erhöhen sich von Stufe zu Stufe, und der Verein muss darauf achten, dass sich der Spieler mitentwickelt auch wenn er ein Naturtalent ist.

SPOX: In welchen Bereichen sehen Sie das größte Potenzial im Nachwuchs des FC Bayern?

Sauer: Viele Dinge waren durch die Infrastruktur eingeschränkt, hier können wir jetzt schon deutlich besser arbeiten. Aber weder Hermann noch ich sind bisher lange genug dabei, um schon in jedem Detail sagen zu können, wo wir Potenzial für Verbesserungen sehen. Wir sind in der Analyse, beobachten die Abläufe in allen Bereichen wie Scouting, Athletiktraining oder Spielidee. Deshalb haben wir die Saison 2017/18 strukturell auch als Übergangssaison definiert, aber spätestens zur neuen Saison werden wir neue Impulse geben können. Da kommt dann auch wieder der rote Faden ins Spiel. Wie wollen wir Fußball spielen? Haben wir ausgewogene Kaderstrukturen? Können wir den Spielern die richtigen Entwicklungsschritte anbieten?

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