Wie erwartet - und doch anders

Carlo Ancelotti gab in weiten Teilen des Trainings den stillen Beobachter
© getty

Ruhig, überlegt, gentlemanlike - Carlo Ancelotti hält an seinem ersten Arbeitstag beim FC Bayern München, was man sich von ihm versprach. Dennoch scheint durch: Beim Meister ist einiges anders als zuletzt. SPOX hat den ersten Tag des Italieners begleitet.

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Für Carlo Ancelotti muss es sich angefühlt haben, als würde er nach Hause kommen - schließlich sagt man, München sei die nördlichste Stadt Italiens.

Dieses Attribut trägt die Stadt vor allem wegen ihrer Vielzahl italienischer Restaurants. Für Ancelotti ein geschätzter Vorzug seiner neuen Wahlheimat.

An seinem ersten Arbeitstag als Trainer des FC Bayern München erinnerten aber auch die Temperaturen an seine italienische Heimat: 32 Grad, strahlender Sonnenschein, bis zum späten Nachmittag kaum eine Wolke am Himmel. Da sollte die Gewöhnung an den neuen Arbeitsplatz umso leichter fallen.

Doch nicht nur der 57-Jährige muss sich an sein neues Umfeld gewöhnen. Auch Verein und Öffentlichkeit sind gefragt.

Vieles anders

Als Ancelotti um 11.04 Uhr erstmals den gut gefüllten Pressekonferenzraum der Allianz Arena betrat, war vieles anders als vor drei Jahren.

Bei der Vorstellung von Pep Guardiola gesellten sich Markus Hörwick, Matthias Sammer, Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge mit aufs Podium.

Für die Präsentation des italienischen Übungsleiters saßen nur Dieter Nickles, der nach der Trennung von Mediendirektor Hörwick die PK moderierte, und Karl-Heinz Rummenigge mit am Pult. Ein ziemlich verändertes Bild.

Komisch vor allem, weil die Entwicklungen um Hörwick und Sammer erst vor wenigen Tagen geschehen sind - und natürlich unter den Journalisten noch ein Thema waren.

Lob für Pep

Auch der Ablauf war ein anderer. Guardiola hatte sich einst dazu entschieden, alle Fragen auf Deutsch zu beantworten.

Ancelotti begann ebenfalls in der Sprache seines neuen Arbeitgebers: "Ich bin glücklich und stolz, hier zu sein. Ich möchte Bayern dafür danken. Ich fühle mich sehr gut, weil ich bei einem der besten Klubs der Welt bin. Ich denke, mein Freund Guardiola hat in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Wir haben eine fantastische Mannschaft. Wir versuchen, in allen Wettbewerben stark zu sein und sie zu gewinnen."

Anschließend gab er zu, sich noch im Lernprozess zu befinden und bat deswegen, die Fragen auf englisch oder italienisch zu stellen. Da für die anwesenden Journalisten ohnehin parallel übersetzt wurde, hätte Ancelotti auch durchweg italienisch sprechen können. Es hätte sich wohl sogar etwas organischer angefühlt.

Ein globaler Klub

Stattdessen beantwortete er teilweise italienische Fragen auf englisch. Zwischendurch mischte er auch ein wenig spanisch mit hinein. Dieser Sprachenmix sorgte im Publikum für etwas Verwunderung.

Alles ist eben doch nicht neu: Nach Guardiola ist man die mehrsprachigen Pressekonferenzen in München gewöhnt, Bayern wird auch unter Ancelotti ein globaler Klub bleiben.

Wenngleich die Atmosphäre der PK - auch durch die Überlagerung der Sammer-Thematik - bisweilen seltsam war, vom Auftreten und den Inhalten gab Ancelotti genau das Bild ab, das man von ihm erwarten konnte.

Ruhig, sachlich, überlegt

Er trug einen feinen Anzug, redete ruhig, sachlich und überlegt - natürlich nicht, ohne sein typisches Hochziehen der linken Augenbraue, wenn er den Fragen der Runde lauschte.

Ancelotti präsentierte sich durch und durch als Gentleman der alten Schule, als Trainer der Marke Ottmar Hitzfeld oder Jupp Heynckes. Bei all seinen Erfolgen mit Chelsea, Real, Milan oder PSG hat sich der Italiener seine Demut bewahrt, um immer wieder auch seinen Vorgänger herauszustellen: "Guardiola hat viel bewegt und ich möchte diesen Stil fortsetzen. Ich plane keine Revolution."

Im Anschluss an seine erste PK wurde dem Trainer nicht nur das Trikot seines neuen Vereins überreicht. Auf dem Rasen der Arena erhielt der 57-Jährige zu den Klängen bayrischer Blasmusik auch eine Lederhose. Weltverein trifft auf bayerische Tradition. Ancelotti wirkte dabei ein wenig überfordert. Deutlich wohler fühlte er sich beim Probesitzen auf der Trainerbank.

SPOX-Meinung zu Ancelotti: Mister, Champions League!

Endgültig in seinem Element

Erst am Nachmittag war er dann endgültig in seinem Element, um 16.34 Uhr betrat er gemeinsam mit seinem Trainerstab und der Mannschaft den Trainingsplatz an der Säbener Straße. Zahlreiche anwesende Fans beobachteten die Schritte Ancelottis.

Rot-graues Trainingsoutfit, eine Pfeife um den Hals, eine rote Basecap als Sonnenschutz auf dem Kopf - die er natürlich für die ersten Fotos abnahm. Ganz Gentleman eben.

Während der Aufwärm- und der ersten Passübungen gab Ancelotti den Beobachter. Die Arme mal hinter dem Rücken, mal vor der Brust verschränkt, schaute er sich seine neuen Spieler an und ließ seine Co-Trainer coachen.

Auf dem Platz stand mehr Prominenz, als es die Bayern nach großen Turnieren eigentlich gewohnt sind. Und dies aus verschiedenen Gründen: Entweder die Spieler waren aus ihren Nationalmannschaften zurückgetreten (Lahm, Alonso, Ribery), sie hatten die EM verletzungsbedingt verpasst (Badstuber, Martinez) oder waren gar nicht erst qualifiziert (Robben). Auch der abwanderungswillige Benatia nahm an der ersten Einheit teil.

Robben als Ansprechpartner

Besonders Arjen Robben, der bereits vor einer Woche ins Training eingestiegen war, wirkte motiviert und scheint schon jetzt ein wichtiger Ansprechpartner für Ancelotti zu sein. Immer wieder suchte der Italiener mit ihm das Gespräch - und war sogar zum Scherzen aufgelegt.

40 Minuten dauerte es, dann griff der neue Cheftrainer erstmals selbst ein. Er versammelte das Team um sich und erklärte die letzte Spielform. Diese leitete er als Schiedsrichter, so häufig wie Guardiola griff er jedoch bei weitem nicht ein, um Korrekturen vorzunehmen.

Es scheint, als wolle sich Ancelotti erst einmal ein genaues Bild von seinen Spielern machen, ehe er in die Detailarbeit geht.

Charme eines Schaulaufens

Abgesehen davon, dass ein erstes Training vor einem solch großen Publikum sicher nicht der Ort ist, um das taktische Gerüst für die gesamte Saison einzustudieren. Vielmehr hatte die Einheit in der sommerlichen Hitze den Charme eines Schaulaufens.

Besonders die Nachwuchsspieler, die die noch abwesenden elf EM-Fahrer, Arturo Vidal (Copa America) und Douglas Costa (Verletzung) ersetzten, schienen hoch motiviert, sich dem Neuen zu präsentieren.

Nach 65 Minuten pfiff Ancelotti sein erstes Bayern-Training ab. Noch ein kurzes Gespräch mit Kapitän Philipp Lahm, dann verschwand er in der Kabine. Autogramme gab er an seinem ersten Arbeitstag nicht, für diesen Job ließ er seinen Spielern den Vortritt.

Aber auch das war nicht verwunderlich. Nach seinem Sabbatjahr muss sich Ancelotti erst einmal wieder an den Trubel gewöhnen. Und der ist bei "einem der größten Klubs der Welt" immer groß.

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