Karim Onisiwo vom 1. FSV Mainz 05 im Interview: "Von meiner Mutter wegzulaufen war mein positiver Schicksalsmoment"

Karim Onisiwo spielt seit Januar 2016 für den 1. FSV Mainz 05.
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Karim Onisiwo spielt schon seit Anfang 2016 für den 1. FSV Mainz 05. Bis er in der Bundesliga ankam, legte der 30-Jährige eine sehr beschwerliche Reise auf dem Weg zum Profi hin, die den Stürmer zwischenzeitlich bis in die 4. Liga Österreichs führte.

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Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Onisiwo über seine irre Entdeckung, die Lehre zum KfZ-Mechaniker, einen Kader-Rauswurf, die Kündigung seines damaligen Beraters und seinen Absturz in die Landesliga.

Der österreichische Nationalspieler erzählt zudem von einem Rechtsstreit vor seinem Wechsel nach Mainz, Arschtritte von Trainer Bo Svensson und seinem Traum von der Premier League.

Herr Onisiwo, Sie gehören in der Bundesliga der seltenen Spezies Spieler an, die nie eine Akademie oder ein Nachwuchsleistungszentrum durchlaufen haben. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wo Sie heute stünden, wäre das der Fall gewesen?

Karim Onisiwo: Nein. Natürlich lernt man in einem NLZ viel früher Dinge wie Passspiel, Ballannahme, Übersicht, Taktik, all diese Feinheiten. Mir fehlte diese professionelle Ausbildung. Da ich schon mit 17 in den Profifußball kam, habe ich mir dort aber andere Komponenten angeeignet, die mir später halfen: das Körperliche, das Durchsetzungsvermögen, der unbedingte Wille. Ich würde diesen härteren Weg, den ich gegangen bin, nicht gegen den üblichen eintauschen wollen.

Sie sollen kurz nach Ihrem sechsten Geburtstag von einem Fußballtrainer in Wien beim Kicken im Park entdeckt worden sein, anschließend meldeten Ihre Eltern Sie 1998 beim Favoritner AC an. Stimmt das?

Onisiwo: Das mit dem Park nicht. Ich ging damals irgendwie schlecht gelaunt von einem Arzttermin mit meiner Mutter nach Hause. Dann bin ich ihr davon- und über eine rote Ampel gerannt, weil keine Autos kamen und ich nicht warten wollte. Das sah mein zukünftiger Trainer von der anderen Seite aus, ich bin ihm quasi in die Arme gelaufen. Er wollte gerade zum Verein gehen, das Gelände war direkt daneben. Als er mich sprinten sah, hat er mich angehalten und gesagt: Wir trainieren heute Nachmittag, komm' doch mal vorbei!

Er hat Sie zuvor also nicht mit Ball am Fuß gesehen?

Onisiwo: Nein. Ich ging dann auch tatsächlich am selben Tag dort ins Training und habe eigentlich zum ersten Mal so richtig gegen einen Ball getreten. Er meinte anschließend, ich habe etwas Besonderes, weil ich so schnell bin und so viel Energie habe. Von meiner Mutter wegzulaufen war sozusagen mein positiver Schicksalsmoment, dem habe ich viel zu verdanken. (lacht)

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar unterhielt sich mit Karim Onisiwo im Trainingslager in Grassau.
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SPOX-Redakteur Jochen Tittmar unterhielt sich mit Karim Onisiwo im Trainingslager in Grassau.

Bei diesem Wiener Stadtteil-Klub blieben Sie drei Jahre lang. Am Ende spielten Sie in Ihrer Jugend für fünf weitere Teams: Rapid und Austria Wien, den 1. Simmeringer SC, den SC Team Wiener Linien und den First Vienna FC. Wie kam es, dass Sie im Alter von zehn bereits nach einem Jahr bei Rapid zu Rivale Austria gegangen sind?

Onisiwo: Ich habe mich dort nicht wohlgefühlt. Damals stand bei mir der Spaß und das Zusammensein mit meinen Freunden im Vordergrund. Im Umkreis von Wien gibt es aber so viele Klubs, meine Kumpels waren letztlich total verstreut. Mir war zwar klar, dass ich mich bei Rapid von vielen Freunden etwas lösen muss, allerdings habe ich dort nicht so viel Anschluss gefunden. Es ist einfach nicht so gelaufen, das hat mir dann deutlich weniger Spaß gemacht. Mir war schnell klar: Ich muss hier wieder weg. Bei der Austria, wo ich ja auch David Alaba kennengelernt habe und sich eine innige Freundschaft entwickelte, war es dann deutlich angenehmer und harmonischer.

Dort blieben Sie drei Jahre und galten als hoffnungsvolles Talent. Doch 2005 entschieden Sie sich, den Klub wieder zu verlassen. Warum?

Onisiwo: Mein nächster Schritt wäre gewesen, für ein paar Jahre Teil der Austria-Akademie zu werden. Die lag allerdings etwas außerhalb von Wien. Ich habe mich mit meinen Eltern und der Familie zusammengesetzt und lange überlegt, ob ich das wirklich machen will. Letztlich habe ich mich dagegen entschieden. Anschließend wurde mein Onkel immer wichtiger für mich.

Inwiefern?

Onisiwo: Er hat mich schon zuvor zu vielen Spielen und Turnieren gefahren. Mit ihm habe ich dann zusätzlich zum Vereinstraining jeden Tag Einzeltraining im Park gemacht. Ich habe wirklich sehr viel mit ihm trainiert, um zu kompensieren, dass ich nicht in der Akademie war. Da ging es vor allem um meine technischen Fähigkeiten. Wir haben viele Hütchen aufgestellt und enge Passformen trainiert, damit ich all das intus habe, bevor ich in den Erwachsenenfußball komme. Dort werden diese Dinge ja nicht mehr explizit trainiert, das muss man dann bereits können.

Dieser Richtungswechsel bedeutete schließlich, dass Sie den steinigen Weg gewählt haben und mit 17 Jahren beim First Vienna FC unter anderem unter Peter Stöger schon sehr früh den Seniorenbereich kennengelernt haben. Dort trafen Sie zwar regelmäßig für die U17 und U19, ganz oben konnten Sie sich aber nicht durchsetzen. Warum?

Onisiwo: Ich hab dort mit 17 zwar meinen ersten Profivertrag unterschrieben und die gesamte Woche auch bei der ersten Mannschaft trainiert. Das Abschlusstraining absolvierte ich aber immer bei der U19 und habe dort dann auch gespielt. Ganz oben war einfach alles dicht für mich. Man hat auf Spieler gesetzt, die älter waren und mehr Erfahrung mitbrachten. Als junger Kerl hat damals eine starke Saison in der U19 noch nicht zu einer solchen Explosion von Perspektive und Marktwert geführt, wie man es heute kennt.

In dieser Zeit haben Sie nach Ihrem Schulabschluss eine Lehre zum KfZ-Mechaniker begonnen, diese aber nach nicht einmal einem Jahr wieder abgebrochen.

Onisiwo: Weil nach etwas mehr als einem Jahr plötzlich der Profivertrag bei Vienna im Raum stand. Ich musste mich entscheiden: weiter KfZ-Ausbildung oder Profifußballer? Natürlich habe ich da nicht lange überlegt, aber gerade meine Mutter war nicht besonders erfreut, dass ich das Risiko Profifußball ohne abgeschlossene Ausbildung eingehe. Es war ja alles andere als klar, ob ich es schaffe und mich dort durchsetze.

Wie kam es, dass Sie sich für diese Ausbildung entschieden haben?

Onisiwo: Ich habe mich immer schon für Autos interessiert, aber vor allem wegen Videospielen wie Need for Speed oder The Fast and the Furious. Das lag daher irgendwie nahe, denn sonst hatte ich eigentlich nur Fußball im Kopf.

Welche Fähigkeiten haben Sie sich davon bis heute bewahrt?

Onisiwo: Reifenwechsel kann ich noch, aber die würde ich dann ehrlich gesagt lieber noch einmal nachziehen lassen.

Was war die geilste Karre, die Sie je fuhren und was ist Ihr Traumauto?

Onisiwo: Ich liebe amerikanische Autos. Als ich nach Mainz wechselte, habe ich mir einen Traum erfüllt und einen Mustang GT gekauft. Der hat eine Fünf-Liter-Maschine, blubbert richtig schön und macht einfach viel Spaß. Und zum Glück lag er in der Preisspanne, die ich mir gerade so noch leisten konnte. (lacht)

Karim Onisiwo: Seine Karriere im Seniorenbereich im Überblick

VereinZeitraum
First Vienna FC2008-2011
SC Ostbahn XI (Leihe)2010-2011
TSV Neumarkt2011
SV Straßwalchen2012
SV Austria Salzburg2012-2014
SV Mattersburg2014-2016
1. FSV Mainz 05seit 2016