FC Bayern München spieltaktisch nur noch Mittelmaß: Ein bisschen Guardiola täte der Mannschaft gut

Von Stefan Rommel
Thomas Müller sieht die aktuelle Saison trotz Tabellenführung als große Herausforderung.
© getty images

Das Aus im DFB-Pokal gegen Zweitligist Holstein Kiel, die Gegentorflut in der Bundesliga, jetzt schon doppelt so viele Pleiten wie im gesamten letzten Jahr: Was ist da los beim FC Bayern München? Die Analyse einer Mannschaft, die immer noch mehr mit ihren wichtigsten Prinzipien bricht.

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Thomas Müller rannte mal wieder wie nur Thomas Müller es kann einem Ball hinterher: In Schlangenlinien, die Arme ausgebreitet und wild fuchtelnd, um den Mitspielern auch in dieser Situation noch letzte Anweisungen zu geben.

Dann spielte ein Innenverteidiger von Holstein Kiel den Ball an Bayern Münchens Müller vorbei und nun hätte die Jagd eigentlich erst so richtig beginnen sollen - aber ein Spieler in Rot war weit und breit nicht in Sicht in dieser Szene während des DFB-Pokalspiels bei Holstein Kiel, das in der Münchner Blamage mündete. Müller rannte vergeblich und als er sich ansah und das auch erkannte, hob er resignierend die Arme in die Luft.

Szenen wie diese gibt es derzeit häufig in Spielen des FC Bayern. Jener Mannschaft, die noch vor ein paar Monaten mit ihrem Kollektivgedanken und drei, vier fast in Perfektion ausgeführten Stilmitteln den europäischen Fußball dominiert hatte und den deutschen natürlich auch.

Und jetzt? Hagelt es nur so Gegentore, in der Bundesliga sind es 24 nach 15 Spielen, mehr als Augsburg oder Stuttgart, doppelt so viele wie Leipzig und so viele wie die Bayern zuletzt vor fast 40 Jahren zu diesem Zeitpunkt einer Saison kassiert haben. Die Bayern haben im Kalenderjahr 2021 schon doppelt so viele Pleiten eingefahren wie im gesamten Jahr 2020. Und wir schreiben erst den 15. Januar...

Da läuft etwas gewaltig schief und irgendwann können auch die Tore von Robert Lewandowski nicht mehr alles noch irgendwie retten. Die Bayern sind aus spieltaktischer Sicht allenfalls noch gehobenes Mittelmaß in der Bundesliga und wurden beim Pokalspiel in Kiel in der zweiten Halbzeit sogar von einem Zweitligisten phasenweise so aufgespielt, dass der Rekordmeister kaum noch den Ball hatte. Wie kann das alles sein? Der FC Bayern in der Taktikanalyse.

FC Bayern: Oft gesagt, aber wichtig - Spieler sind müde

Vorneweg: Auch die beste Taktik der Welt ist nur so gut wie die Spieler, die sie ausführen. Und ein großer Teil der Bayern-Stars hat derzeit mit teilweise erheblichen Problemen zu kämpfen. Die Spieler wirken weder körperlich noch geistig so fit, dass im Spiel über 90 Minuten ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration gewährleistet wäre. Die verschlafenen Startphasen mit acht Rückständen in Folge in Ligaspielen sind ein Zeichen, wie schwer die Mannschaft in die Gänge kommt und sich von in der Regel ausgeruhten Mannschaften überrumpeln lässt.

Im letzten Ligaspiel bei Borussia Mönchengladbach gingen die Bayern zwar 2:0 in Führung, verloren aber am Ende noch 2:3. In Kiel reichte eine zweimalige Führung nicht, Kiel glich in der fünften Minute der Nachspielzeit aus und erzwang so die Verlängerung und dann auch das Elfmeterschießen.

In den Endphasen der Spiele sind es nicht immer nur die Bayern, die wie eigentlich gewohnt noch eine Schippe drauflegen können. Die Mannschaft wirkt ausgelaugt und überspielt - was angesichts der Dauerbelastung seit Mai ohne eine echte Pause auch nur verständlich ist. Und das hat unmittelbare Folgen speziell für die Spezialbereiche des Flick-Fußballs.

FC Bayern: Das zerrissene Pressing

Nicht die Tormaschine in der Offensive oder die individuelle Klasse der Spieler waren Bayerns Markenzeichen in der letzten Saison, sondern die Arbeit gegen den Ball. Mit Flick kam die Schärfe zurück in Bayerns Pressing - davon ist in diesen Tagen aber allenfalls noch rudimentär etwas zu sehen. Die gruppen- und mannschaftstaktischen Abläufe sind nicht mehr sauber abgestimmt. Manche Spieler bewegen sich im hohen Tempo zum Ball, andere eher pflichtschuldig. Sobald ein Glied in der Kette beim Anlaufen ausfällt oder sich falsch verhält, ist die Pressingsituation kaputt - und genau das ist derzeit zu oft bei den Bayern zu sehen.

Die Mannschaft ist nicht in der Lage, den Gegner in höchstem Tempo unter Dauerstress zu halten und damit auch ohne Ball das Spiel zu kontrollieren. In Kiel war das in der ersten Halbzeit noch ordentlich, die Bayern hatten bis zum Gegentor totale Kontrolle. In der zweiten Hälfte kippte das Spiel, weil die Bayern auf die Bewegungen der Kieler Innenverteidiger keine Antworten fanden und der Gegner fast ungestört immer wieder die Tiefe anspielen konnte.

FC Bayern: Weder vertikal, noch horizontal kompakt

Die Bayern sind in diesen Phasen weder vertikal noch horizontal kompakt, der Block ist auseinandergerissen und auch schwächere Mannschaften finden Lücken vor und bespielen diese. Da kommt es auf die Sechser an, die nicht sauber abgestimmt sind in ihrem Aufrücken. Gegen Kiel waren es Joshua Kimmich und Corentin Tolisso, aber auch die Flügelspieler im 4-2-3-1 sind in der Pflicht, Situationen besser zu erkennen.

Leroy Sane und Jamal Musiala mussten von Trainer Flick ein paar Mal daran erinnert werden. Und so beginnt es mit der fehlenden Frische, mit der Leidenschaft im Anlaufen und führt sich dann fort bis in die Restverteidigung. Dass der FC Bayern von, bei allem Respekt vor Kiel, einem Zweitligisten fast eine komplette Halbzeit lang dominiert wird, ist bedenklich.

goAber auch Ausdruck einer Entwicklung, die sich seit Wochen anbahnt: In der Bundesliga gibt es eine gute Handvoll Teams, die aus taktischer Sicht und in ihren Abläufen besser funktionieren als die Bayern: Leipzig, Wolfsburg, Freiburg oder der VfB Stuttgart. Das zeigt sich insbesondere beim Pressing im geordneten Aufbau des Gegners.

FC Bayern: Das schlechte Gegenpressing

Die andere Königsdisziplin unter Flick leidet momentan fast genau so wie das geordnete Pressing. Es geht um Nachrücken und Zuordnen, wenn man ins Gegenpressing aufrückt, die zentralen Zutaten einer kompakten Formation. Und auch hier lassen die Spieler untereinander abreißen. Ein Teil geht zum Ball, baut Druck auf und kesselt den Ballführenden so ein, dass es kaum Anspielstationen gibt. Der andere Teil der Mannschaft rückt dann aber nicht mutig zum Ball nach und macht damit die letzten Ausweichmöglichkeiten für den Gegner zunichte.

Hier sind alle Spieler hinter dem Ball in der Pflicht, den Raum so zu verkleinern, dass es keinen Ausweg mehr gibt, eben Nachrücken und Zuordnen. Stattdessen freuen sich die Gegner darüber, dass die Bayern wie eine Mannschaft aus zwei Teilen agiert: Einem aktiven und einem passiven Teil.

Und die Schnittstelle dieser beiden Teile ist gewissermaßen die Fluchtmöglichkeit für den Gegner. Frühe Ballgewinne und damit automatisch auch Torgefahr gibt es momentan nur vereinzelt. Dafür umso größere Löcher, die der Gegner hinter dem aktiven Teil des Gegenpressings bespielen kann. Und das ist ein veritables Problem.

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