Ex-Nationalspieler Malik Fathi im Interview: "Du kannst Außenstehenden kaum erklären, wie groß das Thema Druck im Fußball ist"

Neue Rolle: Co-Trainer Malik Fathi (2. von li.) neben seinem Cheftrainer Zecke Neuendorf und zwei Spielern der zweiten Mannschaft von Hertha BSC.
© Imago Images/Matthias Koch
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Hilft es, Profi gewesen zu sein für die Arbeit als Trainer?

Fathi: Technisch und taktisch habe ich über Jahrzehnte auf einem Top-Level gespielt und weiß, wo man ansetzen kann und wo kleine Fehler versteckt sein könnten. Da kann ich natürlich meine Expertise einbringen. Ich war ja kein dummer Fußballer, habe schon verstanden, was von mir gefordert wurde. Und ich habe mich schon als Spieler sehr beschäftigt mit der Erwartungshaltung von außen und ebenso mit der eigenen. Es ist nicht einfach, wenn 60.000 Zuschauer im Stadion nach deinem Erfolg gieren und dich das Publikum zu Hause am Fernseher dabei mit Superzeitlupen begleitet. Ich habe Verständnis für die Spieler, weiß, was motivational und emotional da in ihnen vorgeht. Diese Expertisen kann ich als Trainer einbringen. Aber ich stehe trotzdem noch ganz am Anfang. Ich habe als Trainer noch keine Expertise, was die Übungen oder den Führungsstil angeht. Das sind Sachen, die ich lernen muss.

Stichwort Erwartungshaltung: Was ist für einen jungen Spieler im Übergang zum Profibereich schwieriger: Die eigene oder die von außen?

Fathi: Grundsätzlich eher die Erwartungshaltung von außen, mit der jeder anders umgeht. Manche denken von Anfang an von sich, sie seien die Größten. Und dann gibt es welche, die sich die ganze Zeit hinterfragen und von außen besser gesehen werden als selbst. Aber am Anfang der Karriere ist es noch recht simpel. Am Anfang wird ja von den Fans und Medien schon ein normaler Pass fast gefeiert. Je höher das Niveau steigt, desto höher werden die Erwartungen. Das Niveau immer wieder zu bestätigen, das ist die Kunst, das ist das Schwierige. Konstanz ist fast das wichtigste Thema im Fußball.

Wie war das bei Ihnen zu Beginn Ihrer Karriere? Sie feierten 2003 mit 20 Jahren Ihr Debüt bei Hertha, kamen in eine Mannschaft, die den Anspruch hatte, in die Champions League zu kommen, sich am Ende aber nur knapp rettete.

Fathi: Ich habe in der Rückrunde 13 Spiele gemacht unter Hans Meyer, da war die Erwartungshaltung und Konstanz genau das Thema. Es lief nicht so dolle, aber wir jungen Spieler wurden nicht für die Krise verantwortlich gemacht. Wir waren halt die Jungen. Der Druck war für mich also auszuhalten. Als ich dann aber recht schnell 100 Bundesligaspiele gemacht hatte, als Leistungsträger galt und 2006 Nationalspieler wurde, da war das mit dem Druck schon eine ganz andere Hausnummer.

Fathi: "... da greifst du dir nicht einen Kevin-Prince Boateng!"

Bevor wir das Thema Druck vertiefen: Sie haben ein paar Jahre vor Kevin-Prince Boateng, Chinedu Ede, Patrick Ebert, Ashkan Dejagah Ihr Debüt gegeben. Wie war das für Sie, als schließlich diese goldene Hertha-Generation zu den Profis kam?

Fathi: Es war schon eine besondere Zeit, dass so viele aus der eigenen Jugend den Sprung schafften. Ich wurde immer ein bisschen als Kapitän der Jungen gesehen. Und ich hatte schon das Gefühl, dass die Führungsetage wollte, dass ich positiv auf die Jungs einwirke, als es zu Problemen kam. Aber ich war nur ein, zwei Jahre älter. Da greifst du dir nicht einen Kevin-Prince Boateng, der fußballerisch schon brutal komplett war in dem Alter, und sagst ihm, wo's langgeht! Bei solchen Dingen geht es ja immer auch um Erfahrungsaustausch. Ich bin nicht auf Streife gegangen oder sowas.

Seltenes Vergnügen: Herthas Jungstars Ashkan Dejagah (von li.), Kevin-Prince Boateng und Christian Gimenez gratulieren Torschützen Malik Fathi. Fathi galt damals als "Kapitän der Jungen".
© Imago Images/Contrast
Seltenes Vergnügen: Herthas Jungstars Ashkan Dejagah (von li.), Kevin-Prince Boateng und Christian Gimenez gratulieren Torschützen Malik Fathi. Fathi galt damals als "Kapitän der Jungen".

Die Gruppe wurde damals auch als "Ghettoboys" tituliert.

Fathi: Patrick Ebert und Jerome Boateng kamen glaube ich nicht aus dem Ghetto, Sofian Chahed und ich auch nicht, wir sind schon wohlbehütet aufgewachsen. Aber natürlich wurden wir alle in einen Topf geworfen. Doch das war mir ziemlich egal. Ich konnte es ja nicht ändern. Man wird ja gern in Schubladen gesteckt, also kann man auch damit spielen, ein bisschen ironisch damit umgehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Fathi: Ich hatte damals zum Beispiel auch einen Mustang und einen Range Rover, habe aber schnell gemerkt, dass das auch nur Autos sind. Also bin ich mit dem Fahrrad zum Training gekommen. So ein bisschen Out-of-the-Box-Denken war schon immer meins. Ich mag Luxus und finde, dass man ihn genießen sollte, wenn man ihn sich leisten kann. Aber genauso wichtig ist mir, auch mal Urlaub auf dem Zeltplatz zu machen.

Zurück zum Thema Druck: Per Mertesacker hat 2018 sehr drastisch beschrieben, was für körperliche Folgen der Druck für ihn hatte, wie er sich vor Spielen immer wieder übergeben musste ...

Fathi: Ich fand das mutig von ihm. Es ist schwierig, über Druck zu reden. Du wirst ja gut bezahlt als Profi, du hast relativ geringe Arbeitszeiten. Da kannst du Außenstehenden kaum erklären, wie groß das Thema Druck ist.

Malik Fathi: "Profis leben einen Traum. Aber der Traum ist nicht nur positiv"

Dann erklären Sie doch mal!

Fathi: Viele junge Spieler haben schon so eine Schwere drin, wenn du dich mit ihnen unterhältst. Da ist eine Angst vor der Aufgabe, Angst vor dem Scheitern. Der Mechanismus ist ja extrem: Heute gewinnst du, dann bist du der Geilste. Und wenn du verlierst, bist du eine Flasche, ein Nichts. Solche Reaktionen gehen tief in einen rein. Du wirst als Profi ja nie für deine ganze Arbeit beurteilt, sondern immer nur für die 90 Minuten, die du unter dem Brennglas stehst. Oder sogar nur wegen einer einzelnen Szene. Du kannst so gut trainiert haben wie du willst, kannst Extra-Training machen, dich perfekt vorbereiten: Machst du während des Spiels einen Fehler, heißt es dennoch sofort: Der verdient Millionen, so ein Versager! Dem gerecht zu werden, das ist Druck. Ja, wir haben den geilsten Job der Welt, das sage ich selbst ja auch. Fußballer müssen sich bewusst sein, was für ein privilegiertes Leben sie haben. Du musst aber auch den Erwartungen gerecht werden, du musst das Niveau wieder und wieder bestätigen. Profis leben einen Traum. Aber der Traum ist nicht nur positiv. Wenn es nur um Fame und Geld gehen sollte im Leben: Wieso drehen dann beispielsweise so viele Stars in Hollywood durch?

Wie kann man Spieler davor schützen, durchzudrehen?

Fathi: Jede Mannschaft hat mittlerweile Sportpsychologen oder arbeitet mit Mentaltrainern zusammen. Ich sehe da konzeptionell aber noch viel Luft nach oben. Der Fokus liegt oft noch auf dem kurzfristigen Erfolg oder auf kurzfristige Linderung der Probleme. Aber es sollte darum gehen, schon bei Jugendspielern eine gewisse Stärke aufzubauen, um später mit den Dingen umgehen zu können, die einen da erwarten.

Was gäbe es da für Techniken?

Fathi: Man muss dahin kommen, die Konzentration auf das Spiel an sich zu legen und die ganzen Dinge, die von außen kommen, auszublenden. Das geht über Fokustraining, über Konzentrationsübungen. Oder indem man immer wieder einfach mal die Frage stellt, was man am Fußball so toll findet. Die Spieler sollen das Gefühl beschreiben, wie es ist, einen Zweikampf zu gewinnen oder eine Vorlage zu geben. Die schönen Dinge sollen im Fokus sein und nicht das Schlechte, das passieren könnte. Wichtig ist auch, die Entspannung zu schulen, sei es durch Meditation, Yoga oder was auch immer einem dabei hilft, die Dinge einfach anzunehmen. Damit man sich nicht nur über das definiert, was am Spieltag passiert. Nur weil ich schlecht gespielt habe, bin ich ja immer noch ein guter Mensch. Das muss ich begreifen. Da kann man ansetzen. Ich fände es cool, wenn das in den Jugendakademien schon Thema wäre. Aber: Der Fußball ist jetzt schon megakomplex, die Frage ist, wie man das auch noch draufpacken kann.

Muss man als Profifußballer vielleicht verstehen, dass man am Ende auch nur einem Job nachgeht?

Fathi: Nein, das hört sich für mich zu kalt an. Fußball ist etwas Besonders. Fußball ist ein hochenergetisches, hochemotionales Spiel, das so viele Menschen bewegt. Es geht darum, zu lernen, dieses Besondere beizubehalten und sich so zu optimieren, dass man nicht am Druck kaputt geht.