Uli Borowka im Interview: "Wenn Werder Bremen absteigt, kommen fürchterliche Jahre"

Uli Borowka (r.) macht sich große Sorgen um Werder Bremen.
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Nach dem 1:3 gegen den 1. FSV Mainz 05 am 33. Spieltag steht Werder Bremen mit zwei Punkten Rückstand auf Relegationsplatz 16 kurz vor dem Abstieg. Werder-Legende Uli Borowka (58), der insgesamt 328 Spiele für Grün-Weiß absolvierte, legt im Interview mit SPOX und Goal den Finger in die Wunde.

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Kaderplanung, Mentalität der Spieler, Fitness - aus Sicht von Borowka alles zweitklassig. Seiner Meinung nach hätte sich der SVW von Trainer Florian Kohfeldt schon vor Monaten trennen müssen.

Herr Borowka, haben Sie das Spiel von Werder gegen Mainz 05 am Samstag gesehen?

Uli Borowka: Ja, und mir hat das Herz geblutet, wie schon in den letzten Monaten auch. In den letzten Spielen, in denen es um die Existenz des Vereins ging - und die Konkurrenz Federn ließ - waren das außerordentlich schlechte Leistungen. Bei Werder stehen keine Männer mit Charakter auf dem Platz.

Es ist also eine Frage der Mentalität?

Borowka: Natürlich. Über die ganze Saison schon. Ich will das gar nicht daran festmachen, dass man sich mit dem einen oder anderen Spieler vielleicht verpokert hat. Aber dass so viele Spieler Totalausfälle sind, ist für mich schwer nachvollziehbar. Können Sie mir ein Spiel nennen, in dem Maximilian Eggestein eine durchschnittliche Leistung gebracht hat?

Hätte man früher die Reißleine ziehen müssen?

Borowka: Das habe ich schon im Dezember gesagt. Spätestens nach dem 0:5 gegen Mainz 05. Es ist ja insgesamt auch nicht besser geworden. Man hört seit Wochen und Monaten immer nur die gleichen Aussagen. Was Niklas Moisander als Kapitän von sich gibt, ist wirklich unterirdisch schlecht. In erster Linie sollte man Leistung bringen und dann reden, aber bei Werder reden alle nur und bringen keine Leistung. Was das für den Verein und für die Region bedeutet, das können die Spieler gar nicht nachvollziehen. Und Milot Rashica war nicht verletzt und hat gegen Mainz trotzdem nicht gespielt.

Uli Borowka trug von 1987 bis 1996 das Trikot von Werder Bremen.
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Uli Borowka trug von 1987 bis 1996 das Trikot von Werder Bremen.

Er war zuletzt außer Form.

Borowka: Wenn wir nach Form aufstellen, wäre es schon schwierig gewesen, elf Mann auf den Platz zu bringen. Das ist Fakt. Spieler wie Yuya Osako oder Davie Selke legen alle eher biederes Zweitliganiveau an den Tag. Leistungsmäßig ist das nicht mehr als 2. Liga und deshalb steht Werder auch da unten. Wir reden von Mainz. Von Augsburg. Von Köln. In Paderborn wurde gewonnen, aber auch nur deswegen, weil die das schlechteste Bundesligaspiel seit zwei Jahren gemacht haben.

Es gab nach der Corona-Zwangspause immerhin ein Aufbäumen.

Borowka: Das hat damit zu tun, dass man gegen Freiburg, auf Schalke oder in Mönchengladbach Mannschaften angetroffen hat, die katastrophal waren. Dass man mit 28 Punkten nach 33 Spieltagen noch die Chance auf die Relegation hat, wann gab es das zuletzt? Gefühlt vor einhundert Jahren. Aber noch einmal zu Rashica ...

Die Stationen in der Karriere von Uli Borowka

DauerVerein
1981-1987Borussia Mönchengladbach
1987 - Januar 1996Werder Bremen
Januar - Juli 1996SV Tasmania
Juli 1996 - Januar 1997Hannover 96
Januar - Juli 1997Widzew Lodz
Juli 1997 - Januar 1998FC Oberneuland

Borowka über Rashica auf der Bank: "Arsch in der Hose haben"

Ja?

Borowka: Ich habe gelesen, dass Florian Kohfeldt ihn nicht von Beginn an gebracht hat, um ihm "den Druck zu nehmen". Ganz ehrlich: Wenn jemand, der allem Anschein nach vom Kopf her mit dem Verein schon abgeschlossen hat, diesem Druck nicht standhält und sich den Arsch für seinen Verein aufreißt, dann ist es in der Liga zappenduster. Solche Dinge dürfen nicht im Vordergrund stehen. Da muss man den Arsch in der Hose haben, sich in den letzten Spielen für seinen alten Verein zu zerreißen!

Wie lässt sich die Krise erklären: Liegt es an der Kaderplanung, an Kohfeldt?

Borowka: Die Kaderplanung haben mehrere Leute zu verantworten, wie überall. Dass man dabei in die falsche Tonne gegriffen hat, ist erst Monate später aufgefallen. Wobei: Dass ein Ömer Toprak aus Verletzungsgründen nicht spielt, das hätte man vielleicht vorher wissen müssen. Oder dass man bei Selke nicht von zehn Toren ausgehen kann. Dazu war die Mannschaft vor der Corona-Krise nachweislich nicht fit, in keinster Weise. Durch die Corona-Krise hat man an Fitness aufgeholt, aber dennoch: Diese massiven Abwehrschwächen, diese massiven läuferischen und defensiven Defizite, das hat auch etwas mit Trainingsgestaltung zu tun. Herr Kohfeldt hat aus meiner Sicht schon vor längerer Zeit den Zugriff auf die Mannschaft verloren. Das hat sie auch gegen Mainz wieder gezeigt.

Noch ist offen, ob man mit ihm in die 2. Liga gehen würde.

Borowka: Ach, da muss man ehrlich sein: Das geht doch gar nicht mehr. Der Verein ist vor die Wand gefahren, das ist doch Fakt. Ob man jetzt eventuell noch mit Glück die Relegation erreicht, hängt nur daran, ob Düsseldorf in der Lage ist, das Spiel bei Union Berlin noch wegzuschenken. Sonst würde ja auch ein 12:0 gegen Köln nicht helfen. Man hat es nicht mehr in der eigenen Hand, man hat es zum x-ten Mal weggeschenkt. Weggeschmissen. Sich nicht dagegen aufgebäumt, als Mensch, als Typ mit Charakter. Ich habe in den letzten Monaten nie den Eindruck gehabt, dass das Team das umsetzt, was wirklich wichtig ist und worauf es ankommt: Leidenschaft, Einsatz, Ehrgeiz, Vorbildfunktion. Davon ist Werder sehr weit weg.

Liegt das nur an Kohfeldt?

Borowka: Wie viele Vereine, die vor Werder standen, haben den Trainer getauscht? Viele. Und sie sind alle in der Liga geblieben. Aber man darf nicht vergessen: Von 100 Dingen sind 99 falsch gelaufen. Dafür ist nicht nur Herr Kohfeldt zuständig, sondern das Trainerteam, der Sportmanager, der Aufsichtsrat - alle sitzen in einem Boot. Es wurden ja zum Beispiel auch neue Psychologen geholt. Aber ich sehe da nichts, gar nichts. Nicht einen Ansatz, der gefruchtet hat.

Borowka: Werder-Abstieg wäre "finanzielles Desaster"

Noch könnte sich der Verein über die Relegation retten ...

Borowka: Auch wenn der Klassenerhalt irgendwie gelingt, sollten die Personen am Ruder so fair sein und so viel Charakter haben und sagen: "Okay, ich mache den Weg frei. Vielleicht ist es besser, wenn andere ans Ruder gehen." In welcher Position auch immer. Man muss im Sinne des Vereins denken.

Wäre ein freiwilliger Rücktritt Kohfeldt zuzutrauen?

Borowka: Wenn es zum Abstieg kommt, muss er in meinen Augen einen anderen Weg einschlagen. Das wäre für alle Beteiligten besser. Den richtigen Zeitpunkt hat er aber längst verpasst. Herr Kohfeldt hat ja oft gesagt, dass er den Verein liebt. Vielleicht hätte er dann vor ein paar Monaten ehrlich zu sich selbst sein können und sagen: "Da sind einige Sachen falsch gelaufen. Ich erreiche die Mannschaft nicht mehr." Die Mannschaft spielt seit Monaten so, dass ich absolut das Gefühl habe, dass es einen Riss gegeben hat und sie ihm nicht mehr folgt. Das heißt nicht, dass er kein feiner Kerl ist. Aber hier ist Profisport im Gange, es geht um Existenzen.

Könnte ein Abstieg auch etwas Gutes haben?

Borowka: Nein. Der Abstieg wäre ein finanzielles Desaster. Wir wissen alle, dass Werder nicht auf Rosen gebettet ist und es seit Jahren immer wieder finanzielle Probleme gibt. Das ist das Eine. Sportlich gesehen wäre es der Super-GAU. Werder ist keine Mannschaft wie Freiburg, Bielefeld oder Paderborn. Der Klub hätte ein massives Problem, sich in der 2. Liga zu behaupten und sofort oben mitzuspielen. Deshalb wäre ein Abstieg für mich das Schlimmste überhaupt. Ich glaube: Wenn Werder absteigt, müssen wir uns auf fürchterliche Jahre einstellen.

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