Jadon Sancho beim BVB: Zuckerbrot und Peitsche gegen die Krise

Von Stefan Petri
Jadon Sancho ist beim BVB weit von der Form des Vorjahres entfernt.
© getty

Von guten Leistungen war Jadon Sancho bei Borussia Dortmund in den vergangenen Wochen weit entfernt. Gegen Bayern München wurde der 19-Jährige von Lucien Favre schon in der ersten Halbzeit ausgewechselt. Dazu kommt: Auch abseits des Platzes bekleckert sich Sancho derzeit nicht mit Ruhm.

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Fast schien es, als würde Favre seinen Jungstar doch schützen wollen, als er zur frühen Auswechslung Jadon Sanchos gegen Bayern München befragt wurde. "Er war zwei Tage verletzt und konnte nicht trainieren", setzte der Übungsleiter bei der Pressekonferenz am Samstagabend an. Nur eine einzige Trainingseinheit habe der 19-Jährige vor dem Spitzenspiel absolvieren können, das sei diesem anzusehen gewesen.

Hätte Favre es dabei belassen, er hätte eine öffentlich Diskussion um Sancho und dessen Leistungen in den letzten Wochen womöglich im Keim erstickt. Die Millionen Zuschauer rund um den Globus, die erstaunt registrierten, wie der nach Marktwert vielleicht teuerste Spieler der Bundesliga nach gerade mal 36 Minuten den Platz verlassen musste, hätten ihre Antwort gehabt: klassischer Fall von "angeschlagener Spieler im Spitzenspiel zu früh gebracht".

Dabei beließ es Favre jedoch nicht. Er überlegte, zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf und offenbarte schließlich den wahren Grund für Sanchos frühen Abgang: "Er war einfach nicht gut genug." Und, hätten wir das auch geklärt: "Er war nicht verletzt."

Auswechslung gegen Bayern: Höchststrafe für Jadon Sancho

Verletzt - oder zumindest angeknackst - war also maximal Sanchos Stolz, als ihm Favre mit der frühen Auswechslung die sportliche Höchststrafe verpasste. Verdient hatte er sich weitere Einsatzminuten allerdings auch nicht (Spox-Note: 5,5): 13 Ballverluste in 36 Minuten, neun von zwölf Zweikämpfen verloren - und weitere Zweikämpfe schlicht und ergreifend verweigert, wie nach seinem Ballverlust, der dem 0:1 vorausging. Im Duell mit Alphonso Davies war Sancho klar zweiter Sieger.

Das passte ins Bild der letzten Wochen: In Sachen Leistung hat der Engländer, der die Bundesliga in der vergangenen Saison im Sturm eroberte und längst einen dreistelligen Millionenbetrag wert ist, deutlich abgebaut.

Jadon Sanchos Statistiken: Schwache Zweikampfbilanz, weniger Treffer

Kaschiert wird das durch die immer noch sehr ordentliche Anzahl von Scorerpunkten, die Sancho auf dem Konto hat. Neun sind es derzeit, drei Tore und sechs Assists. Davon kam in den letzten vier Einsätzen aber nur eine Vorlage gegen Freiburg dazu. In sechs Einsätzen in Champions League und Pokal stehen kein Treffer und eine Vorlage zu Buche.

Geht man bei den Statistiken etwas mehr in die Tiefe, fällt das Zeugnis wechselhaft aus. Die Opta-Daten bescheinigen Sancho im Vergleich zum Vorjahr sogar an etwas mehr Torschüssen beteiligt zu sein. Dabei schließt er öfter selbst ab und legt seltener vor als noch 2018/19. Die Passquote ist leicht gestiegen.

Deutlich gefallen sind die Zweikampfwerte (von 49 auf 43 Prozent) und die Chancenverwertung (von 41 auf 16 Prozent) - was dazu führt, dass Sancho seltener trifft, obwohl er öfter abzieht. Kurz gesagt: Die schwierigen Abschlüsse, die im letzten Jahr den Weg ins Netz fanden, tun es bislang nicht.

Ist Sancho der schnelle Ruhm zu Kopf gestiegen?

Ohnehin sind es nicht die nackten Zahlen, die den Verantwortlichen beim BVB Bauchschmerzen bereiten. Sancho macht mehr und mehr den Eindruck, als sei ihm der rasante Erfolg in jungen Jahren zu Kopf gestiegen. Zu oft bewegt sich seine Körpersprache zwischen lustlos und aufreizend lässig. Er ist in der Rückwärtsbewegung schwächer geworden und hat zu viele Leerlaufphasen zwischen den Geniestreichen, die er immer noch liefert - die aber längst nicht über alles andere hinwegtäuschen.

Mangelhaft ist Sanchos Einstellung nicht nur auf dem Rasen. Wie der kicker in seiner Montagsausgabe berichtete, bescheinigt man dem Teenager im Verein mittlerweile einen "Hang zur Arroganz". Anstatt sich an die Regeln zu halten, nehme er sich wiederholt Freiheiten.

Sah man über die eine oder andere Verfehlung im vergangenen Jahr noch väterlich hinweg - nur einmal wurde er wegen wiederholten Zuspätkommens zur U23 strafversetzt -, ist der Geduldsfaden bei Favre und Manager Michael Zorc mittlerweile deutlich ausgefranst. Wo sich Star-Auftritte und Starallüren lange die Waage hielten, wird das Verhältnis mittlerweile bedrohlich einseitig.

Wie bekommt der BVB Sancho wieder in die Spur?

Um es wieder zurechtzurücken, spielt der BVB auf der ihm zur Verfügung stehenden Klaviatur, von Zuckerbrot bis Peitsche. Nachdem Sancho im Oktober verspätet von der Nationalmannschaft zurückkehrte, suspendierte ihn Favre für das Spiel gegen Mönchengladbach, zudem gab es eine saftige Geldstrafe. Gleichzeitig äußerten die Verantwortlichen Verständnis für dafür, dass der Jungstar "seine Grenzen austeste", wie es Zorc formulierte: "Jadon ist eigentlich ein anständiger und guter Junge, aber er ist natürlich noch sehr, sehr jung. Er ist sehr schnell groß geworden."

In der Tat spielte sich Sanchos Aufstieg vom ausgeliehenen Jugendspieler zum Shootingstar, Leistungsträger und schließlich Nationalspieler in Rekordzeit ab. Diese Prozesse in so jungen Jahren vernünftig zu reflektieren und einzuordnen, ist keine leichte Aufgabe. Deshalb ist man in Dortmund willens, ihm seine Fehltritte zu verzeihen - so er denn daraus lernt. Allen ist klar: Um die gesteckten sportlichen Ziele zu erreichen, braucht es einen Sancho in Topform. Doch dieser Lernprozess blieb zuletzt aus.

Haben der schnelle Ruhm und das öffentliche Interesse der großen Premier-League-Klubs Sancho den Kopf verdreht? Sein Vertrag läuft noch bis 2022, dass er diesen erfüllt, ist nahezu ausgeschlossen.

Womit man beim BVB übrigens kein Problem hat. Mit einem Bein steht Sancho bereits im Flieger, ob der nun in Richtung London, Manchester oder Liverpool abhebt. Er darf nur nicht so spielen.

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