Massimo Mariotti vom FC Schalke 04 im Interview: "Dembele und sein Cousin waren drei Tage nicht erreichbar"

Massimo Mariotti, Ciro Immobile
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Und gleich im ersten Jahr Mario Götze trainiert. Wie war's?

Mariotti: Ich dachte mir: Was sind das hier für fantastische Kicker? Mario war unglaublich gut, absolut sensationell. Ich musste später immer schmunzeln, wenn Trainer von sich behauptet haben, sie hätten Mario entdeckt oder entwickelt, denn so einen Spieler kannst du als Trainer nicht verhindern. Mario war sehr intelligent und enorm bescheiden. Ihn musste man regelrecht pushen, damit er alles zeigt und die anderen nassmacht. Er konnte damals schon fast alle Sachen, die selbst gestandene Bundesligaspieler heute nicht können.

Bis 2011 hatten Sie diesen Posten inne - und wurden dann Co-Trainer von David Wagner bei der zweiten Mannschaft des BVB. Wie ist das geschehen?

Mariotti: Ich denke, ich habe mich als Jugendtrainer profiliert und bin dann einfach befördert worden. Leider musste ich recht schnell nach Saisonstart wieder aufhören, da mein Vater erkrankt war und ich bei ihm in Italien sein musste. Als ich zurückkam, bot mir die Borussia dankenswerterweise wieder die Stelle als U13-Trainer an. Das habe ich dann eine weitere Saison lang gemacht - bis mir ein Gespräch mit dem Dortmunder Platzwart Willi Droste den Weg zu meiner heutigen Aufgabe ebnete.

Erzählen Sie.

Mariotti: Der BVB suchte damals einen Dolmetscher für die Profis. Ich stand eines Tages mit Willi zusammen, wir haben eigentlich nur ein bisschen geflachst. Ich meinte: 'Mensch Willi, warum suchen die einen Dolmetscher? Da können sie auch mich nehmen, ich kann ja mehrere Sprachen.' Willi rief daraufhin bei Michael Zorc an, was ich aber nicht wusste - und am selben Abend saß ich schon in der Kabine und habe für Aubameyang übersetzt.

Wie denn das?

Mariotti: Ich saß um 14 Uhr in der Eisdiele und bekam einen Anruf von Michael Zorc, um 18 Uhr saß ich dann in der Kabine. An diesem Tag fand in Dortmund die Vorstellung der Mannschaft mit anschließendem Benefizspiel im Stadion statt. Ich weiß noch, wie mich Jürgen Klopp nach der Besprechung mit dem Team in seinen Raum holte und furztrocken meinte: 'Und, wie isses? Machst du's oder machst du's nicht?' (lacht)

Sie haben zugesagt und waren sofort gefordert: Nur wenige Tage später ging es ins Trainingslager in die Schweiz.

Mariotti: Genau. Ich musste erst einmal meine Teilnahme an einem Jugendfußball-Kongress in Portugal absagen. In Bad Ragaz habe ich mich noch einmal in Ruhe mit Michael Zorc zusammengesetzt. Für mich war das alles natürlich total spannend: Unter Jürgen Klopp für Top-Spieler wie Aubameyang oder Mkhitaryan und Sokratis zu übersetzen und sehr nah an der Mannschaft zu sein. Trotzdem wusste ich nicht wirklich, was überhaupt auf mich zukommen würde.

Auf einmal sah man Sie als Dolmetscher vor den TV-Kameras und Sie mussten simultan übersetzen - alles andere als eine leichte Aufgabe. Wie denken Sie an diese Startphase zurück?

Mariotti: Das erste Mal werde ich nie vergessen. Wir haben in Augsburg gespielt, Auba hat in seiner ersten Partie gleich drei Tore geschossen. Anschließend war natürlich ein riesiger Medien-Auflauf um ihn. Ich bin das dann relativ entspannt angegangen, habe aber schnell gemerkt, dass das gar nicht angebracht ist. Es schauen viele Leute zu, die jedes Wort interessiert. Und weil ich ja kein ausgebildeter Dolmetscher bin, war das schon immer ziemlich anstrengend. Man musste sich enorm konzentrieren, auch wenn gerade Auba und Mkhitaryan klar und deutlich mit ihrer Sprache waren. Ich habe den Spielern deshalb gesagt, dass sie keine drei Minuten am Stück sprechen sollen. Mit der Zeit gab es natürlich auch kritische Situationen, weil die Fragen kritisch waren. Da musste ich dann auch mal im Sinne des Spielers übersetzen...

Eine solche Situation trug sich am letzten Spieltag der Saison 2016/17 zu, als die Transfergerüchte um Aubameyang hochkochten. Am Sky-Mikrofon sagte er auf Italienisch, dass man sich in der kommenden Woche unmittelbar vor dem Pokalfinale zusammensetzen und über einen Wechsel beraten werde. Sie zögerten dann mit der Übersetzung.

Mariotti: Sky hat es im Anschluss übersetzen lassen, dass ich zu Auba sagte, ob er das wirklich so äußern möchte. Ich wollte ihn nur schützen, denn auch ich wollte Pokalsieger werden und keine Diskussionen im Vorfeld des Spiels zulassen. Einzig darum ging es mir. Auba war in dem Moment wohl auch etwas überrascht, daher meinte er ja dann auch, ich solle einfach sagen, was ich will - weil er wusste, dass es dann eine unverfängliche Antwort sein würde.

Nach zwei Jahren als Dolmetscher unter Klopp ging es für Sie unter Thomas Tuchel zunächst in die von Zorc verantwortete Scouting-Abteilung. Wieso das?

Mariotti: Ciro Immobile hatte den Verein verlassen und Thomas Tuchel sprach mit Auba und Mkhitaryan Englisch. Daher brauchte es keinen Übersetzer mehr. Ich habe mich nebenher weiterhin ein, zwei Mal die Woche um Auba gekümmert, Mkhitaryan stand dagegen schnell auf eigenen Füßen. Die meiste Zeit war ich deshalb bei Sven Mislintat und Chefscout Heiner Finke für die U23 und hin und wieder für die Profis unterwegs. Ich habe mir Spiele in der Regionalliga angeschaut, bin aber auch ins Ausland gereist. Dan-Axel Zagadou habe ich beispielsweise in Frankreich beobachtet, Ousmane Dembele in Venedig mit der französischen U-Nationalmannschaft. In Tuchels zweitem Jahr kamen dann Dembele und Raphael Guerreiro zum BVB und ich wurde wieder gebraucht.

Um die Amtszeit von Tuchel beim BVB gibt es viele Kontroversen, nicht jeder verstand sich gut mit ihm. Wie sind Sie mit ihm klargekommen?

Mariotti: Mir gegenüber war er immer extrem freundlich und fair, ich hatte nicht den Hauch eines Problems mit ihm. Ich durfte bei jeder Sitzung mit dabei sein und viel bei der Trainings- und Spielvorbereitung helfen. Dafür war er auch immer sehr dankbar. Wir haben uns zudem ständig über Fußball unterhalten. Bei ihm habe ich richtig viel mitgenommen, er ist ein absolut überragender Trainer.

Wie empfanden Sie Klopp?

Mariotti: Man musste hellwach sein und sich sputen, wenn man gebraucht wurde. Auf dem Trainingsplatz und beim Spiel war er ein Löwe, danach nahm er dich aber in den Arm und alles war wieder gut. Er hat mich sogar beim 5-gegen-2 oder beim Abschlussspiel mit 10-gegen-10 mitspielen lassen und sich immer kaputtgelacht: 'Boah Massimo, heute kannst du richtig was, aber das brauchst du jetzt nicht mehr. Früher hättest du das gebraucht, aber da konntest du nix.' Rhetorisch wie immer überragend. (lacht) Bei einem Spiel gegen Hannover hat er sogar mal vergessen mir zu sagen, was ich Mkhitaryan übersetzen soll. Dann hat er ihm auf Deutsch irgendetwas zugerufen, aber Mkhitaryan hat das natürlich nicht verstanden. Plötzlich guckte er mich an und schrie: Massimo, was zum Teufel hast du ihm denn gesagt? Er hatte im Eifer des Gefechts einfach vergessen, dass er mit mir noch gar nicht gesprochen hatte.

 

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