BVB und der Fluch der guten Tat: Das bedeutet die Saison für Borussia Dortmund

Lucien Favre verpasste in seinem ersten Jahr beim BVB die Meisterschaft nur knapp.
© getty

Die berauschende Hinrunde in der Bundesliga wurde für Borussia Dortmund zum Fluch der guten Tat. Im zweiten Halbjahr sackte beim BVB der Glaube an die eigene Stärke ab. Was ist aus der abgelaufenen Saison der Westfalen abzuleiten?

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Wenn man vor einer Saison einen Neustart auf allen Ebenen ausruft und dann wie Borussia Dortmund einen Traumstart in der Bundesliga folgen lässt, den man in diesem Tempo und vor allem der fußballerischen Art und Weise selbst nicht für möglich gehalten hatte, dann liegt man nicht nur wie bereits thematisiert vor dem eigenen Zeitplan.

Es hat dann eben auch etwas vom Fluch der guten Tat, denn die Wahrscheinlichkeit vergrößerte sich beim BVB in dieser berauschenden 42-Punkte-Hinrunde von Spieltag zu Spieltag, dass es wohl nicht auf ewig so weitergehen würde. Lediglich die Anzeichen fehlten, wann der Knick in der Saison für die Schwarzgelben kommen würde, schließlich zauberten sie ja überraschend starke Leistungen aufs Feld.

Ähnlich überraschend war dann nicht die Tatsache, dass ein Leistungseinbruch auch wirklich eintrat. Es war eher das Erstaunen darüber, wie deutlich er ausfiel. Dass der BVB sein erstes Saisonspiel ausgerechnet bei Aufsteiger Düsseldorf verlieren würde - geschenkt, dachte man sich damals am 16. Spieltag noch. Dass sich Punktverluste gegen deutlich schwächere wie formschwache Teams jedoch derart häufen würden, wie es in der Rückrunde der Fall war, verwunderte dann doch schwer. Am Ende waren es zehn Zähler, die Dortmund gegen die fünf Vereine auf den Tabellenplätzen 14 bis 18 liegen ließ.

Beim BVB sackte der Glaube an die eigene Stärke ab

Der Glaube an die eigene Stärke sackte in Dortmund besonders zwischen Anfang Februar und Anfang März ab. Nur ein Sieg aus acht Pflichtspielen stand da zu Buche, in Pokal und Champions League schied man aus. Die Drucksituation, nicht auch noch die Tabellenführung zu verspielen, die man letztlich an 21 von 34 Spieltagen innehatte, vergrößerte sich zusehends - und die Borussia verkündete im Anschluss an diese Dürreperiode erstmals auch öffentlich, die Schale nach Dortmund holen zu wollen.

"In der Rückrunde hat uns in gewissen Partien die Erfahrung gefehlt und vielleicht auch die Gier, dass jeder einzelne weiß: Dieses Jahr ist unheimlich viel drin", bilanzierte Kapitän Marco Reus nach Saisonende am vergangenen Samstag. Dass wieder die Bayern den Titel holten, lag für Reus an deren größeren Erfahrung im Umgang mit solchen Situationen: "Und sie zeigen vielleicht auch eine andere Mentalität auf dem Platz in bestimmten Spielen."

Mentalität - das war im ersten Halbjahr noch das vermeintliche Dortmunder Wort des Jahres. Gerade nach den vielen spät gewonnenen Spielen, in denen man zahlreiche knifflige Situationen lösen konnte und die damals den Flow des BVB am Leben hielten.

Favre fehlte in der Rückrunde teils das glückliche Händchen

2019 jedoch schaffte es die Borussia zu selten und nicht mehr in dieser Konstanz, mit Negativmomenten richtig umzugehen. Dann nämlich zeigte sich Dortmunds fehlende Abgezocktheit und Nervenschwäche. Der jungen Truppe von Trainer Lucien Favre unterliefen mit neun ligaweit die meisten individuellen Fehler, die zu Gegentoren führten - acht davon fabrizierte man in der Rückrunde.

Gerade der freundlich-kauzige Favre hatte nicht mehr dieses glückliche Händchen aus der ersten Halbserie und traf Entscheidungen, die mindestens fragwürdig waren. Beispielsweise beim schwer enttäuschenden Auftritt in München (0:5), als er den wiedererstarkten Mario Götze aus der Startelf und Reus von seiner Parade-Position auf der Zehn nahm.

Nicht nur in dieser Partie kamen die defensiven Schwächen zum Vorschein, die allen voran das Verteidigen von Standardsituationen betrafen. In dieser Hinsicht weist der BVB die Bilanz eines Absteigers auf (17 Gegentore). Einlassungen der Mannschaft, die Strategie in dieser Hinsicht zu überdenken, wies Favre zurück, wie Torhüter Roman Bürki verriet.

Entwicklung und Verbesserung stehen zweifelsohne fest

In Summe aller Ereignisse darf freilich nicht vergessen werden, dass die Borussia in dieser Spielzeit mehr gewonnen als verloren hat. Hätte Dortmund zweimal dieselbe Punktzahl wie in der schwächeren Rückrunde geholt, wäre man mit 68 Zählern immer noch auf Rang zwei gelandet.

Möglicherweise wäre es dramaturgisch sogar besser für alle Schwarzgelben gewesen, wenn sich der Ablauf von Hin- und Rückrunde tatsächlich verkehrt hätte und die Leistungsdelle bereits irgendwann im Herbst eingetreten wäre, so wie es beim FC Bayern der Fall war. So hätte man weniger Enttäuschung ob der verspielten Tabellenführung verspürt und die Entwicklung der Mannschaft wäre linearer vonstatten gegangen.

Dass eine positive Entwicklung und deutliche Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr - Dortmund holte 21 Punkte mehr als noch 2017/18 und fuhr mit 76 Zählern das drittbeste Ergebnis der Vereinsgeschichte ein - letztlich stattgefunden hat, steht aber natürlich zweifelsohne fest. Nun gilt es jedoch wie im letzten Sommer, vernünftige Schlüsse aus den Erfahrungen der abgelaufenen Spielzeit zu ziehen.

Wen holt der BVB, wer verlässt Dortmund?

Das Vierer-Team um Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Sportdirektor Michael Zorc, Lizenzspielerchef Sebastian Kehl und den externen Berater Matthias Sammer wird daher gefordert sein, die Struktur des Kaders so zu optimieren, dass man die Meisterschale nicht ein weiteres Mal dankend ablehnt, wie es Sammer kürzlich auf den Punkt brachte.

Fehlende "Erfahrung und Reife" nannte Sammer nach Dortmunds Pleite beim FC Augsburg im März als Gründe für die vorausgegangene Durststrecke. Man darf daher gespannt sein, wie die Verantwortlichen diesen Mangel im Kader beheben werden - zumal bereits vor einem Jahr angekündigt wurde, zwei Transferperioden zu benötigen, um die Mannschaft umzubauen.

Mit Thorgan Hazard (Gladbach) und Nico Schulz (Hoffenheim) stehen zwei Neuzugänge bereits so gut wie fest, auch Leverkusens Julian Brandt soll sich gegen einen Wechsel nach England und für den BVB entschieden haben. In der Abwehr könnten die Westfalen ebenfalls nachlegen, schließlich finden sich dort viele Fragezeichen: Bleibt Urgestein Marcel Schmelzer? Wechselt Raphael Guerreiro nach Paris zu Thomas Tuchel? Gibt sich Julian Weigl mit seiner neuen Rolle als Innenverteidiger zufrieden? Hat Ömer Toprak noch eine Zukunft in Dortmund?

So spannend, wie der BVB den Meisterschaftskampf hielt, so spannend dürften in Sachen Personalfragen die kommenden Wochen werden. Fest steht, und das bringt dieser Fluch der guten Tat eben auch mit sich: So spät wie in dieser Saison wird sich die Borussia nicht noch einmal dazu bekennen können, erneut die Meisterschaft anzustreben. Erst recht nach den Aussagen der Beteiligten am Samstag in Gladbach, es erneut mit dem FC Bayern aufnehmen zu wollen - "und am Ende dann hoffentlich auch Meister" zu werden, wie Reus sagte.

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