Erneuter Protest der Hannover-Ultras: Die Gräben bei 96 sind so tief wie noch nie

Die Ultra-Szene in Hannover ist sich einig: Martin Kind ist das Problem, nicht die 50+1-Regelung.
© getty

Bei Hannover 96 brennt wieder die Luft. Sportlich gesehen steht der Aufsteiger trotz der Heimniederlage gegen Borussia Mönchengladbach immer noch hervorragend da, von der Abstiegszone ist man weit entfernt. Der Streit zwischen den Ultras und Präsident Martin Kind geht nun jedoch in die nächste Runde - und könnte ein weiteres Opfer fordern.

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Das 0:1 gegen Gladbach hatte Niclas Füllkrug vergleichsweise gut verkraftet. Gegen einen solchen Gegner dürfe man auch mal verlieren, merkte er nach dem Spiel an, schließlich habe man selbst ein paar gute Chancen ausgelassen. Außerdem hätte es einen Strafstoß für 96 geben müssen.

Als er vom Sky-Reporter jedoch auf die Fanproblematik angesprochen wurde, war es schnell vorbei. "Zu dem Thema sage ich nichts mehr." Was sollte er auch sagen? Es bestünde nur die Gefahr, es sich entweder mit der Vereinsführung, oder aber den organisierten Fans zu verderben.

Zur Vereinsführung gehört Manager Horst Heldt. Und der hatte nach kuriosen 90 Minuten durchaus etwas zum Thema zu sagen. Fragt sich nur, wen er damit genau meinte. "Es kotzt mich hier alles an", schimpfte er. "Wir beschäftigen uns mit allem anderen, nur nicht mit Fußball", insofern sei die Niederlage vielleicht auch verdient. Sprach's und rauschte ab, bevor es eine Nachfrage hätte geben können.

Hannover 96: Stimmungsboykott wegen Präsident Kind und 50+1

Was war passiert? Schon über ein halbes Jahr brodelt der Streit zwischen Hannovers Präsident Martin Kind und den Ultras. Kind will nach 20 Jahren ehrenamtlicher Arbeit die Mehrheit an der ausgegliederten Kapitalgesellschaft des Profivereins übernehmen. Möglich macht dies ein "Schlupfloch" in der 50+1-Regelung, das schon Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp nutzte. Stimmt die nötige Mehrheit der übrigen Klubs zu, könnte Kind eine Art Alleinherrscher in Hannover werden.

Und mit seinen Millionen - und denen anderer Investoren - Hannover auf höherem Level konkurrenzfähig machen? Möglich. Für die Ultras ist 50+1 sakrosankt, Kind trotz seiner Verdienste um den Verein eine absolute Hassfigur - schließlich hatte der schon im Sommer erklärt, dass er sie nicht im Stadion haben wolle. Deshalb boykottierte die Nordkurve die gesamte Hinrunde über die Stimmung im Stadion. Schweigen als Protest - Anti-Kind-Banner natürlich inklusive.

Die Ablehnung der Kind-Pläne sei legitim, hatte Heldt im Januar betont - und sich selbst und die Vereinsführung in die Pflicht genommen. "Unsere Aufgabe ist, uns damit auseinanderzusetzen, das haben wir in der Vergangenheit nicht so gut gemacht", sagte er im Doppelpass auf Sport1. Man müsse aufeinander zugehen. Schließlich wurde eine Podiumsdiskussion für den 26. Februar angesetzt, die Ultras setzten ihren Boykott im Gegenzug für das Heimspiel am 22. Spieltag aus.

Hannover-Ultras vs. Verein: "Kindisches Lügenballett"

Am Donnerstag folgte der Rückschritt. Der Verein sagte die Podiumsdiskussion ab: Drei der fünf Fanvertreter hatten entweder Stadionverbot oder gegen 96 geklagt, damit sei keine zielgerichtete Diskussion möglich. Andere Vertreter hätten die Ultras nicht benannt, deshalb werde es am 12. März nun einen Info- und Dialogabend geben.

Die Ultras reagierten auf ihrer Website mit scharfen Attacken: Ein "kindisches Lügenballett" sei das, der Verein habe ihnen "ins Gesicht gespuckt" und seinerseits ihre Forderungen - die Beantwortung eines Fragenkatalogs und die Rücknahme abgelehnter Mitgliedsanträge - nicht erfüllt. "Von daher klappen wir ab heute das Visier wieder runter."

Und so herrschte in der Kurve gegen die Fohlen wieder eisiges Schweigen - sieht man mal von "Kind muss weg!" und anderen, noch weniger schmeichelhaften Rufen ab. Die übrigen Fans reagierten ihrerseits mit "Ultras raus!"-Rufen, die Hardcore-Anhänger sprechen also beileibe nicht für alle 96-Fans.

Dieter Schatzschneider: "Ultras sind keine Fans"

Man müsse ohnehin zwischen Fan und Ultras trennen, echauffierte sich Vereinslegende Dieter Schatzschneider schon vor Anpfiff: "Die Ultras sind definitiv keine Fans. Es bleiben auch viele Leute weg, weil sie das blödsinnige Geschreie über Martin Kind nicht mehr hören wollen. Die stören bei uns im Stadion und in ganz Deutschland." Auf Twitter entbrannten schon während der Partie Diskussionen zwischen der "Pro-Stimmung"- und "Anti-Kind"-Fraktion. Das Publikum ist gespalten.

Was sich auch auf die Mannschaft auswirkt, wie Trainer Andre Breitenreiter nach dem Spiel zugab: "In der ersten Halbzeit hat man die Verunsicherung gespürt, weil die Stimmung auf den Rängen negativ ist" - und die sei "so negativ gewesen wie noch nie." Dass der sportliche Erfolg des Teams in den Hintergrund geraten ist, sei "sehr schade".

"Kotzt mich an": Hat Heldt keine Lust mehr auf Hannover?

Und wie geht es weiter? Die Fronten zwischen Verein und Ultras sind erneut derart verhärtet, dass der Stimmungsboykott gut und gerne bis Saisonende anhalten könnte - mindestens. Sollte man sich nicht aufeinander zubewegen, verspricht auch der Gipfel in zwei Wochen keine Besserung. Wenn es überhaupt dazu kommt.

Martin Kind, der zwischenzeitlich sogar unter Polizeischutz stand, wartet derzeit erst einmal ab. Seinen Antrag auf die Ausnahmegenehmigung hatte er Anfang Februar überraschend ruhen lassen, so kam es nicht zur Abstimmung. Umgekehrt kündigte die Liga an, in den kommenden Monaten eine Grundsatzdebatte zu führen. Kind ist schließlich nicht der einzige, der eine Lockerung von 50+1 begrüßen würde.

Kommt es in der Debatte nicht zum von ihm gewünschten Ergebnis, könnte er dennoch eine Abstimmung über seinen Antrag erzwingen - und bei negativem Ausgang klagen. Lieber wäre es ihm aber mit Sicherheit, wenn er in den Augen der Fans nicht der alleinige "Schuldige" an einer neu strukturierten Fußballlandschaft in Deutschland wäre.

Zunächst einmal muss er sich ohnehin um seinen Manager kümmern. Der angekotzte Heldt wollte seinen Frust zwar als "keinen Vorwurf in keine Richtung" verstandnen wissen, aber seine Zukunft ist einmal mehr fraglich. Dass der 48-Jährige bei anderen Vereinen hoch im Kurs steht, ist schon lange kein Geheimnis mehr.

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