SPOX: Wie groß war anfangs die Sehnsucht nach der Heimat?
Schmidt: Ich bin ehrlich: Als ich hier meinen Dreijahresvertrag unterschrieb, habe ich die ersten 16, 17 Monate am Kalender zu Hause einzeln durchgestrichen. Ich hatte vor allem an freien Tagen extremes Heimweh und war froh, wenn die Monate weniger geworden sind. Nach einem Jahr dachte ich: ich werde den Vertrag auf jeden Fall erfüllen, danach haue ich aber wieder ab nach Hause. Familie, Wintersport, die Natur, das heimische Vereinsleben - das fehlte mir alles.
SPOX: Wer oder was hat Ihnen durch diese Phase geholfen?
Schmidt: Die bloße Zeit und ein guter Rat meines Kumpels Raphael Wicky, der früher in der Bundesliga spielte. Er meinte, ich solle nicht blauäugig sein, es benötige einfach eineinhalb bis zwei Jahre, sich zu lösen. Das stimmte auch. Nach eineinhalb Jahren bin ich an einem freien Wochenende während der Länderspielpause erstmals in Mainz geblieben. Damit fing es an, dass ich allmählich merkte, in Deutschland angekommen zu sein.
SPOX: Was ist denn typisch deutsch für Sie?
Schmidt: Ich finde zum einen die Sprache sehr schwierig. Bei euch habe ich erlebt, wie schön eigentlich die deutsche Sprache ist und wie wenig wir in der Schweiz davon nutzen. Typisch deutsch ist für mich aber vor allem die Direktheit und Offenheit in Gesprächen - besonders, was Kritik angeht.
SPOX: Wie meinen Sie das?
Schmidt: In der Schweiz würde man erst lange um den heißen Brei reden, in Deutschland wird einem einfach knallhart ins Gesicht gesagt, was passt und was nicht. Und dann ist das Thema auch erledigt. In der Schweiz wird weniger gehandelt. Dort diskutiert man erst einmal drei Monate, dann gibt es eine Volksabstimmung und ein, zwei Jahre später wird dann langsam etwas umgesetzt.
SPOX: Als Ihr Mentor Thomas Tuchel in Mainz aufhörte, waren Sie einer der möglichen Nachfolgekandidaten. Hatten Sie damals auf den Job geschielt?
Schmidt: Ich spürte, dass ich eine Chance habe, weil eine gewisse Wertschätzung für meine Arbeit da war. Ich habe auch in die Richtung gearbeitet, dass ich für diesen Job einmal ein Thema werden könnte.
SPOX: Sprich: Sie waren enttäuscht, als nichts daraus wurde?
Schmidt: Nein. Ich habe das sportlich weggesteckt und als Herausforderung akzeptiert. Meine Motivation war in der Folge sehr groß. Wir qualifizierten uns mit der U23 für die Relegation um den Drittligaaufstieg, ich wollte das unbedingt packen. Damit habe ich ein Ausrufezeichen gesetzt und konnte künftig in einer professionellen Liga arbeiten.
SPOX: Tuchel-Nachfolger Kasper Hjulmand hat sich nicht lange beim FSV gehalten - und Sie wurden sozusagen im zweiten Anlauf Cheftrainer. Was wäre gewesen, wenn man Sie nach Hjulmands Aus nicht gefragt hätte?
Schmidt: Keine Ahnung. Mein Vertrag lief Ende Juni 2015 eh aus und ich war nach allen Seiten offen. Christian Heidel und ich haben uns natürlich frühzeitig zusammengesetzt, um auszuloten, wie es mit mir weitergeht. Wir haben die finale Entscheidung dann immer wieder vertagt - und auf einmal war ich dann Cheftrainer. Wäre das nicht so gekommen, hätte ich mich entweder in Deutschland umgeschaut oder vielleicht auch eine andere Aufgabe beim FSV übernommen.
SPOX: Wie war es denn dann, auf einmal vor einer "richtigen" ersten Mannschaft mit gestandenen Profis zu stehen?
Schmidt: Ich habe mir beim Einstand drei, vier Stichworte aufgeschrieben und dann einfach ad hoc eine kleine Rede rausgehauen. Ich war auch nicht nervös. Die Spieler kannten mich ja gut, da ich zuvor als Assistent von Thomas und seinem Co-Trainer Arno Michels bereits in die Spiel- und Gegneranalyse involviert war, in die Trainingslager reiste und häufig bei den Profis mit auf dem Platz stand. Man kannte mich, ich kannte die Abläufe. Das Selbstverständnis war also bereits da.
SPOX: Sie haben jetzt rund acht Monate als Bundesligatrainer auf dem Buckel. Ihr Zwischenfazit?
Schmidt: Die Intensität ist um ein Vielfaches gestiegen. Allerdings betrifft das weniger die Arbeit als Trainer, sondern eher die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Da geht es um interne wie externe Abläufe, die die Woche zu einhundert Prozent ausfüllen. Das sprengt bisweilen den Rahmen und man merkt, warum ein Job als Bundesligatrainer nach außen lange nicht so wirkt, wie es den eigentlichen Tatsachen entspricht.
SPOX: Die reine Trainerarbeit ist also gleich geblieben?
Schmidt: Gewissermaßen schon. Ich will damit sagen, dass das gesamte Profil dieses Berufs einfach sehr anspruchsvoll ist. Das wiederum betrifft in erster Linie die reine Trainerarbeit. Die Analyse des Trainings oder der Spiele ist aufgrund der großen Masse an Daten sehr umfangreich. Man muss all diese Informationen aufnehmen, sich in die unterschiedlichen Daten einlesen, die wichtigen Videoszenen anschauen. Es reicht ja nicht, wenn der Assistenztrainer zu mir sagt, dass wir drei Kilometer mehr gelaufen sind. Ich muss wissen, wer wo mehr gelaufen ist, wo sich Verbesserungen ergeben haben oder mit wem ich eine Einzelsitzung abhalten sollte. Viel Stoff, aber auch unglaublich spannend. Die Bundesliga ist ein Traumjob auf dem Schleudersitz.
SPOX: Was bereitet Ihnen noch die größten Schwierigkeiten, wenn Sie sich in der "Blase Bundesliga", wie Sie es einmal bezeichneten, aufhalten?
Schmidt: Die Begleiterscheinungen des Geschäfts. Es umgibt einen ja ein permanenter Hype. Ich bin dabei zu lernen, unwichtige Themen auch einmal an mir abprallen zu lassen, mich hin und wieder etwas abzuschotten und selbst zu schützen. Ich lebe jetzt in dieser Blase, aber ich möchte Mensch bleiben. Es ist mir sehr wichtig, in der Lage zu sein, mir auch meine Freiheiten nehmen zu können, um ein normaler Mensch zu bleiben.
SPOX: Die Berge weit weg, dazu ein zeitintensiver Job - wie schalten Sie vom Stress ab?
Schmidt: Ich hole mir die Berge, wenn ich sie brauche und tanke dort neue Kraft. Die Berge haben für mich, der über 40 Jahre seines Lebens in einem Tal in den Alpen verbrachte, einen enorm hohen Stellenwert, mit dem ich vor allen Dingen Freiheit verbinde. Dann fahre ich schnell nach Hause, wandere in die Höhen und sauge alles auf, weil ich weiß: das war es jetzt wieder für die nächsten paar Wochen. Einen echten Ersatz dafür habe ich in Mainz nicht. Ich gehe jetzt halt öfter spazieren. (lacht)
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