George Weah beim FC Chelsea: Weltfußballer beim falschen Klub

George Weah hat 2000 für den FC Chelsea gespielt.
© getty

George Weah feierte am 12. Januar 2000 ein sensationelles Debüt für den FC Chelsea. Dabei hatte die Milan-Legende und alternde Weltstar, heute Staatspräsident Liberias, eigentlich ganz woanders sein wollen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Es gibt Fußballer, die selbst nach einem halben Jahr in der Mannschaft noch vehement und oft auch mit einiger Berechtigung Eingewöhnungszeit für sich beanspruchen.

Und dann gibt es diese großen Persönlichkeiten des Balls, die sich mitten in der Saison bei ihren neuen Kameraden vorstellen, die Stollenschuhe festschnüren - und sofort der Bauchnabel der Welt sind.

Xabi Alonso legte im August 2014 etwa so ein sprachlos machendes Debüt für den FC Bayern München hin, als die Real-Legende auf Schalke, ohne ein einziges Mal mit den Pep-Guardiola-Bayern trainiert zu haben, sofort Chef und Taktgeber im Mittelfeld war.

Mehr als 14 Jahre vorher war den Zuschauern in London wegen eines anderen Traumdebüts kollektiv der Mund offengeblieben. Am 12. Januar 2000 machte sich rund 30 Minuten vor dem Ende des Premier-League-Derbys zwischen dem FC Chelsea und Tottenham Hotspur beim Stand von 0:0 George Weah im blauen Trikot mit dem Autoglass-Schriftzug bereit für sein Debüt an der der Stamford Bridge.

Keine 90 Minuten vor Spielbeginn war erst die Spielgenehmigung für den ehemaligen Weltfußballer gekommen, nur ein paar Stunden vorher hatten der AC Milan und Chelsea die letzten Formalitäten für den Leihvertrag über sechs Monate erledigt. "George hatte ungefähr 30 Minuten, um sich seinen neuen Teamkollegen vorzustellen", wie sein neuer Trainer Gianluca Vialli nach der Partie nonchalant anmerkte. Doch George Weah, heute Staatspräsident Liberias, musste sich schon im Jahr 2000 bei keinem mehr groß vorstellen.

George Weah ist der einzige Weltfußballer aus Afrika

Fünf Jahre zuvor war Weah als erster (und bis heute auch einziger) Spieler aus dem afrikanischen Kontinent zum Weltfußballer gewählt worden. Nun war er zwar schon 34 und beim AC Milan sogar nur noch Stürmer Nummer vier hinter Oliver Bierhoff, Andrey Schevchenko und Jose Mari, doch er strahlte mit jeder Faser seines Seins noch immer Kraft, Energie und Selbstbewusstsein aus, die personifizierte Torgefahr.

Drei Minuten vor Schluss chippte Dennis Wise den Ball im Strafraum von der rechten Seite in die Mitte, Weah räumte auf dem Weg zum Kopfball ein paar Spurs-Verteidiger aus dem Weg, sprang im richtigen Moment hoch, erwischte den Ball genau da, wo er ihn erwischen musste. 1:0, die Messe war gelesen.

Gar nicht so schlecht für einen, der an diesem 12. Januar 2000 eigentlich am liebsten noch in Italien gewesen wäre. Oder wenigstens in Frankreich. Oder wenn es denn unbedingt London sein musste, dann doch bitte lieber ein paar Meilen weiter nördlich in Islington, beim FC Arsenal und seinem alten Trainer Arsene Wenger.

George Weah hatte eigentlich nicht zum FC Chelsea wechseln wollen

Das alles hatte Weah mit der Nonchalance und Lässigkeit eines echten Weltstars freimütig bei seiner Vorstellungs-Pressekonferenz zwischen Vertragsunterzeichnung und Mannschaftskollegenkennenlernen bekannt gegeben.

"Ich wollte in Italien bleiben und zur AS Roma wechseln, aber Adriano Galliani (damals Milan-Geschäftsführer, die Red.) wollte keinen Konkurrenten stärken. Insofern haben sie [bei Milan] mein Leben ruiniert", erzählte Weah. Auch ein Wechsel zu Olympique Marseille wäre möglich gewesen. Und es kam noch besser: "Man hat mir gesagt, dass Arsenal mich gerne verpflichtet hätte. Und ich hätte liebend gerne noch mal für Arsene Wenger gespielt."

Doch immerhin: Chelsea habe sich am meisten um ihn bemüht. Und das kam so: "Marcel (Desailly, die Red.) hat mich spät abends angerufen, gegen 22 Uhr, ich lag schon im Bett. Marcel meinte, dass es gut wäre, wenn ich bei Chelsea unterschreiben würde und dass mir London gefallen würde."

Chelsea sollte sich glücklich schätzen, dass George Weah gekommen war

Die Reporter staunten nicht schlecht.

Doch es zeigte eben auch die Dimension dieses Wechsels: Nicht George Weah, der alternde Weltstar, musste glücklich sein, dass er nach einer Halbserie zum Vergessen bei Milan noch einmal bei einem englischen Spitzenklub gelandet war. Nein, der FC Chelsea, ein Klub mit drei amtierenden Weltmeistern (Didier Deschamps, Marcel Desailly und Frank Leboeuf) in seinen Reihen, musste sich glücklich schätzen, dass George Weah sich für ihn entschieden hatte.

Weah kam zu einer Zeit nach England, als die Serie A zwar, zunächst ohne es richtig wahrzunehmen, den Nimbus der absolut besten Liga der Welt schon verloren hatte, die Nachfolge aber noch nicht ganz geklärt war: In Spanien erfand Real Madrids Präsident Florentino Perez gerade die Galacticos, der FC Barcelona befand sich zwar ein wenig in der Sinnkrise, dafür sorgten Deportivo La Coruna und der FC Valencia für Furore.

In Deutschland verlor Bayer Leverkusen die Meisterschaften erst am letzten Spieltag an den FC Bayern, der ansonsten noch das Trauma des Last-Minute-Tods gegen Manchester United verarbeitete. In England wiederum war auch einigen Protagonisten vielleicht noch nicht so richtig bewusst, wie stark die Premier League und deren Klubs bereits waren.

George Weahs Wechsel zu Chelsea sorgte für Euphorie

Nach den Pionieren Jürgen Klinsmann (1994 zu Tottenham), Ruud Gullit (1995 zum FC Chelsea) und Dennis Bergkamp (1995 zum FC Arsenal), waren auch durch die besondere Atmosphäre bei der Football's-Coming-Home-EM 1996 zahlreiche Legionäre auf die Insel gekommen.

Und Chelsea war, schon drei Jahre vor dem Verkauf an Roman Abramowitsch, die internationalste Mannschaft von allen: 1999/2000 standen unter dem italienischen Trainer Gianluca Vialli neben den drei französischen Weltmeistern unter anderem sechs Italiener (darunter der geniale Spielmacher Gianfranco Zola, Torwart Carlo Cudicini und der spätere Chelsea- und Bayernbezwingertrainer Roberto di Matteo), der Uruguayer Gustavo Poyet, der Norweger Tore Andre Flo und der Rumäne Dan Petrescu im Kader.

George Weah spicht als Präsident Liberias vor der UN-Generalversammlung
© imago images
George Weah spicht als Präsident Liberias vor der UN-Generalversammlung

Langsam veränderte sich auch der Fußball auf der Insel: Kick'n'Rush war nicht mehr einzige Glaubenslehre. Bei Chelsea etwa predigten Spielertrainer Ruud Gullit (1996 bis 1998) und danach Vialli schnelles Kurzpassspiel. Das brachte dem Klub 1997 den FA-Cup, 1999 Platz drei in der Liga und sollte in der Saison 1999/2000 Chelsea bei der ersten Teilnahme bis ins Viertelfinale der Champions League führen.

Weah kam also alles andere als in eine Mannschaft voller Blinder. Und doch sorgte die Ankunft des Torjägers doch noch mal für einen Extraschub. "Wir waren alle so aufgeregt, ihn bei uns in der Mannschaft zu haben", erinnerte sich später Poyet. "Er war Jahre zuvor der beste Spieler der Welt gewesen, hatte diese Power in seinem Spiel und war immer für Tore gut. Es gab keinen Zweifel, dass er nach England passen würde", sagte Poyet zu The Athletic.

Sturmpartner benannte seine Katze nach George Weah

Am meisten freute sich aber vielleicht der Stürmer, der eigentlich dafür verantwortlich gewesen war, dass Weah geholt wurde. Stürmer Chris Sutton war im Sommer für die horrende Ablösesumme von 10 Millionen Pfund aus Blackburn gekommen - und total gefloppt. Nur ein Tor stand im Januar in seiner Bilanz. Doch statt auf der Bank fand sich Sutton auch nach Weahs Ankunft meist auf dem Rasen wieder. "Ich spiele sehr gern mit Chris. Er ist ein echter Stürmer, wir versuchen, einander zu helfen auf dem Platz", sagte Weah.

Das klappte eher leidlich. Am Ende der Saison stand bei Sutton noch immer eine 1 in der Torbilanz. Weah traf insgesamt fünfmal, dreimal in der Premier League, dazu kamen zwei Tore im FA-Cup, den Chelsea schließlich auch gewann. "Chris hat mir geholfen, dass ich mich wieder jünger fühle", befand Weah dennoch. Sutton benannte später eine Katze nach seinem Chelsea-Kumpel, dem ehemaligen Weltfußballer.

Nach der Saison trennten sich die Wege wieder: Sutton wechselte für sechs Millionen Pfund zu Celtic Glasgow, wo er seinen Torinstinkt wiederfand. Weahs Leihvertrag wurde nicht verlängert. Der Stürmer sorgte noch einmal für Aufsehen, als er mit einem Rolls Royce zur Vertragsunterschrift beim damaligen Aufsteiger Manchester City vorfuhr. Weah unterschrieb für zwei Jahre, blieb drei Monate, löste im Oktober 2000 den Vertrag auf und ging doch noch nach Frankreich zu Olympique Marseille. Da hatte er ja schließlich schon im Januar sein wollen. Unter anderem.

Artikel und Videos zum Thema