Star-Fotograf Paul Ripke im Interview: Boateng? "Ich connecte mit der Bling-Bling-Generation"

Paul Ripke ist gut mit Bayern-Star Jerome Boateng befreundet.
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Paul Ripkes große Stunde schlug 2014 in Rio de Janeiro. Nachdem Oliver Bierhoff seinen flehenden Ruf erhörte, stand Ripke wenig später nach dem deutschen WM-Triumph plötzlich auf dem Rasen. Als einziger Fotograf illegal im Innenraum! Mit seinem Fotobuch "One Night in Rio" wurde Ripke berühmt. Im Interview mit SPOX und Goal spricht der 39-Jährige, der heute in Kalifornien lebt, über die Nacht seines Lebens.

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Dieser Artikel wurde im Juni 2020 veröffentlicht.

Außerdem erzählt Ripke, warum er Jürgen Klopp nicht austricksen konnte und warum ihn ein nett gemeintes Angebot Dirk Nowitzki komplett kalt ließ ...

Herr Ripke, früher haben Sie vor allem fotografiert, heute beschäftigen Sie sich beruflich außerdem mit Klamotten und Kochen, einen Podcast machen Sie auch noch. Sie erzählen im Endeffekt Geschichten, haben Sie über Ihre Berufsbezeichnung gesagt. Was war denn Ihre erste Sportgeschichte? Wie ist die Leidenschaft entstanden?

Paul Ripke: Tennis hat mich früh geprägt. Ich war vier Jahre lang Balljunge in der Damen-Bundesliga in Heidelberg. Steffi Graf hat in der Nähe gewohnt und bei uns im Klub trainiert. Es war cool, wenn sie mit Andrei Medvedev trainierte und ich auf dem Nebenplatz spielte. Es war auch faszinierend, weil ich einen menschlichen Blickwinkel auf den Weltstar Steffi Graf bekam. Sie hat um die Ecke beim Bäcker Brötchen geholt, diese menschlichen Geschichten haben mich interessiert. Und ich hatte generell meine Helden im Tennis. Ich war ein ganz großer Fan von Andre Agassi, auch Michael Chang fand ich immer geil. Ich mochte seinen Outsider-Style. Pete Sampras war dagegen nicht so mein Fall, er war mir zu kontrolliert. Ich habe alles verfolgt, Tennis war damals eine große Sache für mich.

Aber nicht nur Tennis, Sie sind als Jugendlicher im Nachwuchskader Ski gefahren. Hatten Sie das Zeug zum Star?

Ripke: Ich persönlich war bestimmt ein Jahr lang sicher, dass ich mindestens Olympiasieger im Skifahren werde. (lacht) Das war meine Vorstellung der Dinge. Leider sah die Realität etwas anders aus. Ich bin überhaupt nur zweimal in einen internationalen Vergleich gekommen. Und das auch nur, weil der dritte Allgäuer verletzt war und ich als Schwarzwälder so reingerutscht bin. Ich habe jedes Mal große Klatschen bekommen. Beim ersten Rennen war ich gleich mal Letzter. Mit Abstand. Ich musste auf die harte Weise erkennen, dass alle Italiener, Österreicher, Schweizer oder Liechtensteiner besser waren. Das war die eine Ohrfeige. Und die andere Ohrfeige hat mir Bastian Schweinsteiger verpasst. Er war drei Jahre jünger, aber erheblich schneller. Ich wurde von links, rechts, oben und unten überholt, das war mir irgendwann zu viel. Ich musste einsehen: Das wird nix. Aber hey, ich habe immerhin ein paar FIS-Jugendpunkte geholt.

Paul Ripke stand nach dem WM-Titel des DFB-Teams 2014 mit auf dem Rasen von Rio.
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Paul Ripke stand nach dem WM-Titel des DFB-Teams 2014 mit auf dem Rasen von Rio.

Paul Ripke: "Als ob du durch L.A. fährst und absolut jede Ampel steht auf Grün"

Stimmt es, dass Sie dann übers Hockey zum Fotografieren gekommen sind?

Ripke: So halb. Ein ganz entscheidender Moment war, als ich in Hamburg Hockeytraining gegeben habe. Das habe ich wirklich intensiv gemacht und ein Jahr lang alle weiblichen Jugendmannschaften im Hamburger Polo Club trainiert. Das hat richtig Bock gemacht und das wurde auch ganz gut bezahlt. Zu dem Zeitpunkt arbeitete ich schon als Fotograf, aber wie es so ist am Anfang - du verdienst erst mal sehr wenig Geld. Deshalb war das Hockeytraining für mich top. Eines Tages hat mich einer der Väter gefragt, ob ich festangestellter Fotograf in seiner Firma werden will. Gesagt, getan. Ich weiß noch, wie ich in Norderstedt auf den Parkplatz gefahren bin. Da gab es ein Schild, auf dem "Fotograf" stand. Das war das erste Mal, dass ich mit der Fotografie meinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Vorher hatte ich damit ein bisschen Ertrag, aber vor allem auch hohe Kosten.

Man könnte jetzt sagen: Der Rest ist Geschichte. Viele Jahre später sind Sie dadurch berühmt geworden, dass Sie nach dem WM-Finale 2014 zwischen Deutschland und Argentinien als einziger Fotograf - illegal - im Innenraum waren und Fotos machen konnten, die Ihr Leben veränderten. Wie blicken Sie heute auf diese "One Night in Rio" zurück?

Ripke: Am meisten freue ich mich darüber, dass Mario Götze dieses Tor gemacht hat. Inzwischen weiß ich und gestehe mir den Gedanken zu, dass ich da ganz gut performt habe und dass es nicht jeder so hingekriegt hätte. Ich darf ein bisschen stolz darauf sein, wie alles geklappt hat, wie ich auch im Anschluss das Buch selbst verlegt habe. Aber Fakt ist natürlich, dass das alles nie passiert wäre, hätte Mario Götze dieses Tor nicht geschossen. Ich habe mir diese Chance nicht selbst erarbeitet. Ich hatte Leute auf meiner Seite, die es massiv zugelassen haben, dass ich das alles überhaupt tun konnte. Deshalb bin ich da schon relativ demütig und denke mir: "Alter Schwede, ich hatte echt ein Schweineglück."

Es gibt dieses Bild mit den Elfmeterschützen, die Joachim Löw schon dabei war auszuwählen.

Ripke: Genau. Bevor Mario das Tor gemacht hat, hatte Jogi Löw schon angefangen, die Namen für das Elfmeterschießen auf einen Zettel zu schreiben. Er ist glaube ich bis zum dritten Namen gekommen, dann fiel das Tor und er hat den Zettel beim Jubeln rechts neben sich geschmissen. Ich habe das gesehen und ein Foto davon gemacht. Das ist eines dieser Bilder, die sich besonders eingeprägt haben. Aber was wäre passiert, wenn Mario das Tor nicht gemacht und wir das Elfmeterschießen verloren hätten? Es war der Moment in meinem Leben, als alles auf Go geschaltet wurde. Als ob du durch L.A. fährst und absolut jede Ampel steht auf Grün - das gibt es nur einmal im Leben.

Paul Ripke begleitete jahrelang als Fotograf das Mercedes-Team in der Formel 1.
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Paul Ripke begleitete jahrelang als Fotograf das Mercedes-Team in der Formel 1.

Paul Ripke: "Wenn Heidi Klum dich am Eingang am Handgelenk packt ..."

Zwischendurch sind Sie ja auch ein paar Mal rausgeflogen aus dem Innenraum.

Ripke: Es war schon risikoreich, das stimmt. Ich habe mich da so reinschlawinert und dreimal bin ich auch kurzzeitig wieder rausgeflogen. Aber was heißt rausgeflogen? Die Ordner packen dich und schieben dich ein bisschen zur Seite. Wichtig war immer, dass ich ihnen klargemacht habe, dass ich kein Flitzer bin. Das kriegt man hin. Und dann haben mir die Spieler ja geholfen. Wenn Bastian Schweinsteiger sagt, dass der Typ zu uns gehört, dann wird niemand etwas dagegen sagen. Egal, ob derjenige jetzt den nötigen Ausweis hat oder nicht. Ich habe etwas Ähnliches auch mit Heidi Klum auf der Met Gala erlebt. Ich kenne niemanden in meinem Umfeld, der krasser fotografiert wird als Heidi Klum auf der Met Gala. Wenn Heidi dich am Eingang am Handgelenk packt und sagt, du gehörst dazu, dann gehörst du dazu. Dann brauchst du keine Einladung, dann ist es auch egal, was du anhast. Da wird nicht mehr diskutiert. Mit Lewis Hamilton war es auch so. Ich habe vier Jahre lang mit ihm zusammengearbeitet und ich war nicht ein einziges Mal irgendwo offiziell angemeldet. Wozu auch? Ich kam mit Lewis im selben Auto oder Helikopter an, das reichte.

Noch mal zurück zur magischen Nacht von Rio. Wie ging es denn nach den Feierlichkeiten im Stadion weiter? Gab es irgendwann mal die Chance zur Reflexion?

Ripke: Nein, null. Der Film lief die ganze Zeit weiter. Man darf nicht vergessen, wie vogelwild das alles für mich war. Meine Anreise war so kurzfristig, dass ich nicht mal eine Zahnpasta dabei hatte. Ich hatte auch nicht mal ein richtiges Zimmer. Es gab nur eins für mich: Vollgas. Mein Telefon klingelte auch nonstop durch von dem Moment an, als man mich zum ersten Mal im Fernsehen sah und sich jeder dachte, was ich denn da mache. Absolut jeder, der mich kannte, hatte offensichtlich den Impuls, mich anzurufen. Alle Medien wollten auch sofort an die Fotos ran, selbst die Bunte und Gala haben im Zwei-Minuten-Takt versucht anzurufen. Aber ich konnte ja nicht rangehen. Ich konnte nicht eine Sekunde einen reflektiven Gedanken fassen, weil ich ja auch nichts verpassen wollte. Die Party ging natürlich lange und ich wollte dann auch der Erste beim Frühstück sein, um dort die Jungs mit dem Pokal zu sehen und Fotos machen zu können. Auf dem Rückflug von Rio habe ich die Fotos fertiggemacht und dort ist auch der Name für das Buch entstanden. One Night in Rio. Aber so richtig durchatmen konnte ich erst, als ich später im Flieger nach Mallorca saß, um dort den Familienurlaub fortzusetzen.

Wussten Sie da schon, dass Ihnen etwas Großes gelungen war?

Ripke: Ich war lange sehr vorsichtig. Man darf sich nicht zu früh freuen. Wir kennen diese Bilder vom Radsport auf der Zielgeraden, wenn ein Fahrer schon die Hände zum Jubeln hochreißt und dann noch abgefangen wird. Das habe ich in meinem Leben zu oft gesehen. Deshalb habe ich bis zu dem Tag gewartet, als das Buch herausgekommen ist und im Laden zu kaufen war. Erst dann habe ich zu mir gesagt: 'Wow, ich habe hier echt was geschafft und erreicht'. Ich hatte bis dahin auch kein einziges Foto herausgegeben und nichts gepostet. Das Höchste der Gefühle und die größte Ehre ist für einen Fotografen immer, wenn die Stars deine Fotos benutzen. Das Schönste an den Fotos ist die Erinnerung für die Spieler, die ich für sie festhalten durfte. Ich hatte damit nichts zu tun, ich war nur derjenige, der auf den Auslöser gedrückt hat.

Paul Ripke an der Seite von F1-Superstar Lewis Hamilton.
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Paul Ripke an der Seite von F1-Superstar Lewis Hamilton.

Paul Ripke: "Meine E-Mail an Oliver Bierhoff war etwas rotzig"

Was viele nicht wissen: Es kam ja nicht von ungefähr, dass Sie beim Finale dabei waren. Sie haben ja extra eine E-Mail an Oliver Bierhoff geschickt. Sie hatten es quasi geplant.

Ripke: Wie bei vielen Dingen im Leben sieht es im Nachhinein so aus, als ob da ein genialer Masterplan dahinterstecken würde. Es gab aber keinen Plan - schon gar keinen genialen. Ich habe nur versucht, dem Zufall ein bisschen nachzuhelfen und meine Hausaufgaben zu machen. Deshalb habe ich diese E-Mail abgeschickt. Ich habe in meinem Leben aber auch 430.000 E-Mails abgeschickt, die zu gar nichts geführt haben. Beim ersten Mal habe ich ja auch da eine Absage bekommen. Mein Glück war, dass der Glaube an den Titel nach dem berauschenden Halbfinale und in der damaligen Euphorie so gewachsen ist und es dadurch hieß: 'Lassen wir den Ripke das machen'. Ich wollte mit der Mail einfach alles tun, was in meiner Macht stand, um mir diesen Traum zu erfüllen. Alleine im Stadion zu sein, wenn Deutschland Weltmeister wird - wer träumt nicht davon?

Viel mehr geht nicht.

Ripke: Und ich durfte dann noch mit den Jungs arbeiten ... ich hätte alles dafür getan, wahrscheinlich hätte ich meine Kinder dafür umbenannt, wenn es sein muss. (lacht) Meine E-Mail an Oliver Bierhoff war auch etwas rotzig. So nach dem Motto: "Liegt es an meinem Bart? Ich rasiere mich gerne und trage eine Frisur eurer Wahl." Es war keine Business-Mail. Es war ein flehendes "Bitte, bitte, bitte", verpackt in die Aussage, dass ich alles dafür geben würde. Irgendwie hat sich Oliver Bierhoff davon berühren lassen. Es war in jeder Hinsicht einmalig. Ich war wohl der Erste, der so eine Mail geschickt hat und ich war dann der Erste, der von einem solchen Erfolg solche Fotos geschossen hat. Bis heute hat es das in der Form nicht mehr gegeben.

War es bitter, dass es danach nicht mehr lange beim DFB für Sie weiterging?

Ripke: Der DFB denkt immer in Zyklen. Und nach Rio war der Zyklus abgeschlossen. Ich war danach noch bei der Verabschiedung von Miro Klose und Philipp Lahm dabei, aber mit der Zeit war allen klar, dass es besser ist, nicht weiter zusammenzuarbeiten. Sie haben mich auch nicht rausgeschmissen, sie haben sich einfach nicht mehr gemeldet. Ich hätte mich gefreut, wenn sie angerufen hätten, aber ich war nie verbittert deswegen. Für mein Selbstwertgefühl war es wichtig, dass ich im Anschluss die Chance hatte, Nico Rosberg und Lewis Hamilton zu ihren WM-Titeln zu begleiten und den Triumph aus ihrer Sicht zu dokumentieren. Ich habe es nach Rio ein zweites und drittes Mal geschafft und mir selbst bewiesen, dass ich es auch mit anderen Leuten hinkriege. Spätestens dann konnte niemand mehr sagen, dass das alles jeder andere auch hätte machen können. Das war eine Genugtuung für mich.