Baumjohann-Interview: "Vermisse diese Stimmung, auswärts schon beim Aufwärmen ausgepfiffen zu werden"

Von Michael Reis
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Als Kind schlief er in BVB-Bettwäsche, bei Schalke galt er als Jahrhunderttalent, beim FC Bayern fragte Louis van Gaal nur: "Alex, wer?" Alexander Baumjohann, 33, durchlebt eine turbulente Karriere, die ihn bis nach Brasilien und Australien geführt hat. Mit Sydney FC war er in der A-League Tabellenführer und auf Rekordjagd - bis zur Coronakrise.

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Im Interview mit SPOX und Goal spricht Baumjohann über die aktuelle Situation Down Under, seine Karriere, Trainer, die ihn besonders geprägt haben, und Begegnungen anderer Art.

Herr Baumjohann, die A-League in Australien hat am 23. März noch ein Spiel absolviert und erst dann als eine der letzten Ligen weltweit auf die Corona-Pandemie reagiert und den Spielbetrieb vorläufig eingestellt. Kam das zu spät?

Alexander Baumjohann: Es war für mich total überraschend, dass wir noch so lange gespielt haben. Beim Abschlusstraining zum Spiel in Brisbane wurde uns dann mitgeteilt, dass alles gestoppt wird. Für unser Team war es schade, weil wir als Tabellenführer auf Rekordkurs waren. Wir hätten nur noch zweimal gewinnen müssen, um rechnerisch Meister der regulären Saison zu sein und uns für die asiatische Champions League zu qualifizieren.

Wie erleben Sie die Situation in Australien?

Baumjohann: Hier ist zu Beginn ein bisschen Panik ausgebrochen. Da waren viele Regale leer und die Leute haben zehn Pakete Toilettenpapier gekauft. Mittlerweile sind auch die berühmten Sehenswürdigkeiten und Plätze gesperrt, wie zum Beispiel bei uns der Bondi Beach. Wir haben das große Glück, dass wir nett wohnen und eine große Terrasse haben.

Wie verbringen Sie die Tage und wie halten Sie sich fit?

Baumjohann: Die ersten Tage habe ich nach den anstrengenden Monaten zuvor erst einmal gar nichts getan. Aber wir haben unsere Trainingspläne, die wir nun von zu Hause aus abarbeiten. Es ist schön, viel Zeit mit der Familie zu verbringen und Dinge zu tun, die sonst zu kurz kommen.

Denken Sie an Ihre Familie in Deutschland?

Baumjohann: Wir vermissen unsere Familie und Freunde sehr und machen uns große Sorgen, dass es allen weiter gut geht. Aber in der heutigen Zeit können wir ja täglich mit allen über Facebook, WhatsApp oder FaceTime kommunizieren. Mein Frau (Tatiane Baumjohann, eine gebürtige Brasilianerin, die Red.) hat Angst, dass das Virus in Brasilien richtig ausbricht, da das Gesundheitssystem dort nicht so ausgebaut ist wie in Australien oder Deutschland.

Sie wollten Australien nach ihrem ersten Jahr verlassen. Wie kam es zum Sinneswandel?

Baumjohann: Mein erstes Jahr Down Under verlief nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Mir wurden bei den Western Sydney Wanderers Versprechungen gemacht, die nicht wirklich eingehalten wurden. Eigentlich sollte das Team konkurrenzfähig gemacht werden und um die Meisterschaft mitspielen. Am Ende sind wir Achter von zehn Teams geworden und haben damit sogar die Playoffs verpasst. Ich hatte dann schon mit dem Thema Australien abgeschlossen und Rückflugtickets gebucht. Eine Woche vor unserem Abflug kam der Anruf von Sydney FC. Wir haben uns dann mit Trainer Steve Corica getroffen und fast vier Stunden geredet.

Alexander Baumjohann: "Würde gerne in Broichs Fußstapfen treten"

Worüber spricht man da?

Baumjohann: Der Trainer hat mir sein System - und welche Rolle ich dort einnehmen sollte - sehr genau erklärt. Ich habe bislang in meiner Karriere eigentlich immer nur als alleiniger Spielmacher agiert. Bei Sydney FC wird mit zwei Sechsern, zwei Zehnern und zwei Stürmern gespielt. Sehr wichtig war auch, dass ich mit Sydney um Titel spielen kann. Mir wurde genau die Philosophie und der Zukunftsplan erklärt. Ich wollte sehr, sehr sicher sein, dass ich in meinem Alter noch einmal den richtigen Schritt wähle. Und jetzt bin ich einfach nur froh.

Kennen Sie den Film "Tom meets Zizou", über die Karriere von Thomas Broich?

Baumjohann: Nein, den habe ich leider noch nicht gesehen. Thomas ist aber eine Riesen-Nummer in Australien. Durch ihn wurde der australische Fußball in Deutschland erst richtig bekannt. Es gibt eigentlich niemanden, der schlecht über ihn redet. In seine Fußstapfen würde ich gern treten.

Haben Sie viel Kontakt zu anderen deutschen Spielern in der A-League, wie zum Beispiel Nicolai Müller (Western Sydney Wanderers) oder Matti Steinmann (Wellington Phoenix)?

Baumjohann: Wir spielen zwar in der gleichen Liga, aber es ist nicht so, dass wir uns einmal die Woche zum Schnitzel essen treffen. Ich habe regelmäßig Kontakt zu Patrick Ziegler, mit dem ich bei den Western Sydney Wanderers zusammen gespielt habe. Und unter mir im Haus wohnt der Schweizer Pirmin Schwegler, der ebenfalls bei meinem Ex-Klub spielt. Unsere Frauen sind mittlerweile sehr gut befreundet und wir unternehmen viel zusammen. Pirmin ist ein super Typ. Nur im Derby muss die Freundschaft ruhen. (lacht)

Alexander Baumjohann: Stationen seiner Karriere

ZeitraumVerein
Juli 2004 - Januar 2007Schalke 04
Januar 2007 - Juli 2009Borussia Mönchengladbach
Juli 2009 - Januar 2010Bayern München
Januar 2010 - August 2012Schalke 04
August 2012 - Juli 20131. FC Kaiserslautern
Juli 2013 - Juli 2017Hertha BSC
Juli 2017 - Januar 2018Coritiba FC
Januar 2018 - August 2018EC Vitoria
August 2018 - Juli 2019Western Sydney
seit Juli 2019Sydney FC

"Die Atmosphäre in den deutschen Stadien ist weltweit nicht zu toppen"

Ist das Derby ähnlich brisant wie das Duell im Revier?

Baumjohann: Ja, das ist schon ein wenig wie Schalke gegen Dortmund. Aber das hitzigste Spiel ist immer gegen Melbourne Victory, das 'Big Blue'. Das ist dann wie Dortmund gegen den FC Bayern. Da treffen die erfolgreichsten und reichsten Teams aufeinander. Da ist immer ausverkauftes Haus und die Medien berichten Tage vorher.

Was vermissen Sie aus der Bundesliga?

Baumjohann: Die Atmosphäre in den deutschen Stadien ist weltweit nicht zu toppen. In Brasilien sind auch viele Emotionen dabei. Aber ich vermisse diese Stimmung, wenn man auswärts schon beim Aufwärmen von den Fans ausgepfiffen wird. In Australien hat man da mehr Ruhe, weil die Zuschauer erst kurz vor dem Anpfiff auf die Plätze kommen.

Wenn Sie eine Entscheidung Ihrer Karriere rückgängig machen könnten, welche wäre das?

Baumjohann: Ich bin schon seit 2004 Profi und habe in dieser Zeit so viele Höhe und Tiefen erlebt. Da eine Sache herauszupicken, ist schwierig. Aber wenn ich mich festlegen müsste, hätte ich beim FC Bayern mehr Geduld haben müssen. Ich war jung, wollte mehr spielen. Unter Louis van Gaal war es aber brutal schwierig für mich.

Baumjohann über Bayern München: "Wollte nach den ersten Wochen wieder weg"

Wie war Ihr erster Kontakt mit ihm?

Baumjohann: Er kannte mich gar nicht. Er hat mich auch nicht zum FC Bayern geholt, das war Jürgen Klinsmann. Als ich mich beim ersten Training als Alex vorgestellt habe, fragte er nur: 'Alex, wer?' Ich nannte ihm dann meinen Nachnamen und er guckte ungläubig. Ich weiß bis heute nicht, ob es seine Psychospiele waren, oder ob er mich wirklich nicht kannte. Ich wusste da aber schon, dass es ein heißes Pflaster für mich wird, wenn der Trainer schon meinen Namen nicht weiß. Van Gaal hat mir in der Vorbereitung gesagt, dass ich davon ausgehen müsste, erst einmal in der zweiten Mannschaft zum Einsatz zu kommen. Da wollte ich eigentlich nach den ersten Wochen schon gleich wieder weg. Auch wenn ich wusste, dass ich nicht gleich Stammspieler werden würde, wollte ich nicht in der Regionalliga spielen.

Wusste nicht, wer er war: Louis van Gaal (2. von re.) fragte Alexander Baumjohann zur Begrüßung nur: "Alex, wer?"
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Wusste nicht, wer er war: Louis van Gaal (2. von re.) fragte Alexander Baumjohann zur Begrüßung nur: "Alex, wer?"

Welche Erinnerungen haben Sie sonst an den FC Bayern?

Baumjohann: Es hat mich insgesamt total gewundert, dass es so ein familiärer Klub ist. Da achtet wirklich jeder auf den anderen, egal ob Spieler oder sonstige Mitarbeiter. Der Verein kümmert sich um alles. Das habe ich so bislang noch nicht erlebt, da ist der FC Bayern wirklich das Nonplusultra. Wenn ein Spieler die Möglichkeit hat, für die Münchner zu spielen, muss man diese Chance wahrnehmen.

Also verstehen Sie den Wechsel von Schalkes Alexander Nübel nach München?

Baumjohann: Dieser Wechsel hat mich ein wenig überrascht. Denn als Torwart ist es etwas ganz anderes. Da hat man nicht viele Optionen, um zu spielen. Auf dem Feld wird immer mal rotiert. Und Manuel Neuer hat in den letzten zwei Jahren kaum an Qualität verloren. Er kann meiner Ansicht nach noch locker vier, fünf Jahre spielen.

Wie stehen Sie zu Ihrem Ex-Klub Schalke?

Baumjohann: Der Klub hat sich im Vergleich zu der Zeit, als ich dort damals in die U13 gekommen bin, schon sehr verändert. Aber Schalke ist immer in meinem Herzen und ich würde mir wünschen, dass sich der Verein wieder und regelmäßig fürs europäisches Geschäft qualifiziert.

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