Amputierten-Fußballer Christian Heintz im Interview: "Leverkusens Platzwart hatte Angst um seinen Fünfmeterraum"

Christian Heintz verlor mit 26 Jahren sein rechtes Bein.
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Christian Heintz verlor 2010 mit 26 Jahren bei einem Autounfall sein rechtes Bein. Das Fußballspielen wollte der Fan des 1. FC Köln dennoch nicht aufgeben und begann so 2012 mit dem Amputierten-Fußball, einer Abwandlung der Sportart, in der auf dem Kleinfeld mit jeweils sieben Spielern pro Team gekickt wird - auf Krücken.

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Mittlerweile ist Heintz Kapitän der deutschen Amputierten-Fußball-Nationalmannschaft und hauptamtlicher Mitarbeiter bei "Anpfiff ins Leben e.V.", einem 2001 von Dietmar Hopp und Anton Nagl gegründeten Verein, der gemeinnützig junge Sportler und Menschen mit Amputation dabei unterstützt, sich bestmögliche Perspektiven für ihre private und berufliche Zukunft zu schaffen. In seiner Funktion dort reist er durch die Republik und ganz Europa, um den Amputierten-Fußball bekannter zu machen und für Inklusion zu werben.

SPOX hat mit Christian Heintz über den Stand der Inklusion in Deutschland, seine persönliche Lebensgeschichte und Dirk Nowitzki gesprochen.

Zuletzt sah man Sie bei Champions for Charity, einem Benefiz-Spiel der Dirk-Nowitzki-Stiftung. Wie war es, mit Stars wie Nowitzki, Jens Lehmann und Stefan Kretzschmar zu kicken?

Christian Heintz: Es war eine riesige Erfahrung - allen voran Dirk Nowitzki mal kennenzulernen und ihn als authentischen und bodenständigen Typen zu erleben, auch wenn die Kamera aus ist. Es war ein riesiger Adrenalinschub für mich, bei diesem Spiel mitkicken zu können. Ich hatte mir eigentlich noch vorgenommen, ein Fallrückzieher-Tor zu machen, aber das hat leider nicht hingehauen. (lacht) Aber dafür hatte ich ja die Aktion kurz vor Schluss gegen Hansi Gnad (ehem. deutscher Basketballspieler, Anm. d. Redaktion) - den habe ich vernascht! (lacht) Im Ernst: Es war ein Riesenevent und wenn ich damit wieder die Gelegenheit nutzen konnte, den Amputierten-Fußball und das Thema Inklusion im Sport ein Stück weit voran zu bringen, es in den Köpfen der Menschen zu platzieren und dort die eine oder andere Barriere zu lösen, dann war es ein Erfolg.

Sie waren dort der Einzige auf Krücken - vermissen Sie es manchmal, mit zwei Beinen zu kicken?

Heintz: Ganz am Anfang, das war im Jahr 2012, war ich zum ersten Mal beim Training und habe oft, wenn der Ball auf mein rechtes Bein kam, mit dem Beinstumpf ausgeholt und wollte schießen. Im Kopf war noch verankert, dass das Bein da ist. Zu der Zeit habe ich es schon das ein oder andere Mal wehmütig vermisst, ja. Aber im Laufe der Jahre nicht mehr, auch durch die tollen Erlebnisse in der Folge habe ich das Schicksal angenommen und versuche, jeden Tag das Beste daraus zu machen. Ich werde manchmal gefragt, ob ich mein Bein gerne zurückhaben möchte. Wenn ich wählen könnte zwischen Bein zurück und dem Leben von früher oder Bein ab und wie es jetzt ist - dann würde ich immer wählen, wie es jetzt ist. Kurz gesagt: Ich will mein Bein gar nicht zurückhaben, weil es ein cooles Leben ist, das ich führen darf. Bei all meinen Begegnungen und Erlebnissen sind die zwei ‚D's meine ständigen Begleiter: Dankbarkeit und Demut.

Christian Heintz ist Amputierten-Fußballer
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Christian Heintz ist Amputierten-Fußballer

Christian Heintz: "Das war meine Eintrittskarte zurück ins Leben"

Wie kam es überhaupt zu dem Unfall?

Heintz: Es war ein selbstverschuldeter Unfall. Ich war alleine im Auto und zu schnell unterwegs. Es war Februar, etwas glatt und ich bin die Kurve zu schnell gefahren und gegen einen Baum geprallt. Alles war gebrochen. Arme, Beine, ein Lungenflügel war außerdem eingefallen. Ich hatte eine Überlebenschance von nur zehn Prozent. Nach einer Woche Koma bin ich aufgewacht und es ging Schritt für Schritt bergauf, nur das rechte Bein war sehr mitgenommen. Es war zwar noch dran, aber Fakt war, dass ich es nur noch als Stelzbein hätte behalten können. Es hätte ohne jegliche Funktion versteift werden müssen, weil es so demoliert war. Es war natürlich eine harte Entscheidung damals, aber ich habe mich für die Amputation entschieden, um mit einer Prothese wieder mehr Lebensqualität zu haben. Diesen Schritt habe ich bis heute nicht bereut, weil ich das Leben, das sich seitdem ergeben hat, angenommen habe und das fühlt sich gut an.

Sie haben die Zeit danach schon angesprochen. Sind Sie damals in ein Loch gefallen?

Heintz: Absolut, komplett! Das habe ich jetzt etwas übersprungen. Für mich war ja klar, egal ob mit steifem oder amputiertem Bein, Fußballspielen, den Sport, den ich seit dem vierten Lebensjahr ausgeübt habe, werde ich nicht mehr machen können. Es war eine beschissene Phase, in der ich auch depressiv geworden bin. Aber: Schon zwei Tage nach der Amputation kam meine Mutter freudestrahlend ins Krankenzimmer und hatte einen Flyer vom Amputierten-Fußball dabei. Der lag in der Klinik im Aufenthaltsraum. Ich habe ihn mir mit nach Hause genommen, er war meine Eintrittskarte zurück ins Leben. Der Flyer hat mir gezeigt, dass ich meiner Leidenschaft, dem Fußballspielen, irgendwann wieder nachgehen kann. Mit dieser Aussicht, wieder kicken zu können, bin ich auch nach und nach wieder aus dem Loch herausgekommen.

Gab es also nie den Moment, an dem Sie an Ihrem Schicksal verzweifelt sind?

Heintz: Ich bin wirklich überrascht über mich selbst, aber so einen Moment hatte ich ehrlich nie. Ich war früher immer ein positiver Mensch und habe diese positive Einstellung nach der Amputation auch relativ schnell wieder zurückgewonnen.

Christian Heintz im Steckbrief

geboren16. Dezember 1983 in Adenau
BerufProjektleiter Aktion Mensch Stiftung bei "Anpfiff ins Leben e.V."
BehinderungAmputation des rechten Unterschenkels
SonstigesKapitän der deutschen Amputierten-Fußball-Nationalmannschaft

Der Fußball als Chance, sich zurückzuarbeiten

Fußball war da sicherlich eine Hilfe und auch die Chance, sich wieder beweisen zu können.

Heintz: Es war wichtig für mich, sagen zu können: "Hier, schaut Leute, ich bin kein Krüppel, ich kann immer noch kicken." Sich da Selbstbestätigung und auch Bestätigung von außen zu holen, war schon wichtig und hat natürlich auch gutgetan.

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