Erik Stoffelshaus im Interview: "Keine Ergebnisse, keine Tabellen - das funktioniert!"

Erik Stoffelshaus' Karriereweg führte ihn bislang über Schalke nach Kanada und nach Russland.
© spox

Erik Stoffelshaus ist einer der heißesten Namen auf dem Sportdirektoren-Markt, sogar ManUnited soll die Fühler ausgestreckt haben. Auch für Schalke 04 wäre Stoffelshaus nach dem Aus für Christian Heidel mehr als interessant. Aber wer ist der 48-Jährige eigentlich? Ruhrpott-Junge, Boxer, Lehrer an einer Brennpunktschule, Abenteuer in Kanada und Russland - Stoffelshaus erzählt im großen Interview mit SPOX und Goal von seinem spannenden Lebensweg.

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Außerdem erklärt Stoffelshaus, warum der deutsche Fußball gut beraten ist, über den Tellerrand hinauszublicken und warum Kanada in der Nachwuchsförderung vieles besser macht.

Herr Stoffelshaus, bevor wir zum Fußball kommen, müssen wir über eine andere Leidenschaft von Ihnen sprechen: das Boxen. Sie waren ein erfolgreicher Amateurboxer in der Jugend.

Erik Stoffelshaus: Das stimmt. Als Kind des Ruhrgebiets bin ich zwar mit Fußball aufgewachsen, aber in meiner Heimatstadt Mülheim waren zwei andere Sportarten noch größer: Hockey und Boxen. Unser Boxverein ist deutscher Mannschaftsmeister geworden und hat die Massen in die Halle gelockt. Das war eine Attraktion damals. Ich habe mit neun Jahren angefangen und bin mit kleinen Unterbrechungen bis zum 18. Lebensjahr dabei geblieben. Ich bin in der Jugend auch deutscher Vizemeister geworden und hatte fünf Einsätze für die Nationalmannschaft. Beim Länderkampf in Polen habe ich einmal als einer von wenigen meinen Kampf gewonnen. Es war eine schöne und sehr lehrreiche Zeit.

Was haben Sie durchs Boxen gelernt?

Stoffelshaus: Disziplin. Jeder, der in einer Kampfsportart zuhause ist, wird bestätigen können, dass es nur mit eiserner Disziplin geht. Die Trainingsumfänge sind unglaublich hoch und das Abkochen vor Kämpfen ist wirklich brutal hart.

Gab es keine Gedanken an eine Profi-Karriere?

Stoffelshaus: Nein. Wir müssen bedenken, dass der Profiboxsport damals gar nicht so groß war. Er galt aufgrund des Klientels auch als etwas anrüchig. Graciano Rocchigiani war mit seinem ersten WM-Titel 1988 dann der Erste, der groß raus kam. So richtig gesellschaftsfähig wurde es erst durch Henry Maske und Axel Schulz.

Schauen Sie heute noch die Mega-Fights?

Stoffelshaus: Auf jeden Fall. Wenn ich an den Kampf von Canelo Alvarez und Gennady Golovkin denke, geht mir das Herz auf. Das ist großer Boxsport. Gerade Canelo ist überragend zum Zuschauen. Ich verfolge es intensiv, ich schaue mir aber auch immer noch Amateurboxen an, wenn sich die Gelegenheit ergibt.

Stoffelshaus: "Manu hat nicht mal gezuckt"

Wenn wir uns Ihren Werdegang anschauen, fällt auf, dass Sie zunächst mal Wert auf eine akademische Ausbildung gelegt haben.

Stoffelshaus: Nach dem Abitur habe ich eine ganz solide Ausbildung zum Industriekaufmann bei einem der größten Stahlkonzerne gemacht. Ich wollte mir ein Fundament schaffen und Schritt für Schritt eine Karriere aufbauen. Ich war wirklich super seriös unterwegs. (lacht) Ich habe aber auch damals schon gesehen, dass die Trainerschiene etwas für mich sein könnte. Ich entschloss mich, an der Ruhr-Uni Bochum Sport auf Diplom zu studieren. Parallel habe ich meine Trainerlizenzen im Fußball gemacht, ehe ich mich 1998 nach einem Tipp eines Kommilitonen bei Schalke als Jugendtrainer beworben habe. Und tatsächlich habe ich die Chance bekommen, die U11 zu trainieren und den Trainerjob von der Pike auf zu erlernen. Das war etwas Besonderes, weil du schon in der Altersgruppe mit großartigen Talenten konfrontiert wirst.

Was lernt man speziell im Kinderfußball?

Stoffelshaus: Es geht in diesem Alter natürlich um ganz andere Probleme und Aufgaben als im Senioren-Bereich. Da bist du auch der, der die Schuhe zubindet, das ist ganz normal. Du musst versuchen, eine altersgemäße Ansprache zu finden. Wenn wir auf Turnieren waren, kam es vor, dass ein Kind Heimweh bekommen hat. Dann ist das dein Thema. Es sind zwar sehr talentierte Jungs, aber in erster Linie sind es immer noch Kinder. Es war eine wunderschöne Herausforderung, aber eines Tages hat mich Bodo Menze, der Manager der Nachwuchsabteilung, aus dem Nichts gefragt, ob ich nicht auf die Geschäftsstelle wechseln und ihn unterstützen will. Auch wenn ich wusste, dass mir die Arbeit auf dem Trainingsplatz fehlen würde, habe ich es gemacht, weil mich der Blick auf das große Ganze interessiert hat. Außerdem war der Zeitpunkt perfekt. Es war die Zeit, als im deutschen Fußball der Umbruch eingeleitet wurde, durch das Talentförderprogramm, das Gerhard Mayer-Vorfelder noch initiiert hatte. Ich hatte die Chance, mit vielen Leuten innerhalb des DFB und aus anderen Leistungszentren zu sprechen und habe in dieser Zeit unglaublich viel gelernt. Ich bin Schalke heute noch dankbar, dass ich diesen Weg gehen durfte.

Sie haben in dieser Zeit viele Jungs erlebt, die später eine große Karriere machen sollten. Unter anderem Manuel Neuer. Wissen Sie noch, als Sie ihn das erste Mal gesehen haben?

Stoffelshaus: Ja, das weiß ich noch ganz genau. Das war beim Hallenturnier, es ging um die Stadtmeisterschaft. Manu war mit der D-Jugend dabei. Ich erinnere mich an einen Moment beim Warmmachen. Der damalige Coach hat Manu einen unfassbar strammen Dropkick auf Kopfhöhe gespielt und Manu hat nicht mal gezuckt. Er hat die Hände hochgerissen, den Ball abgefangen und ist abgerollt. Mit einer Coolness, die ich in diesem Altersbereich bis dato noch nicht gesehen hatte. Ich habe einen Kollegen mit fragendem Blick angeschaut und gesagt: Das gibt's doch gar nicht?! Das war sehr außergewöhnlich.

Stoffelshaus: "Rakitic hatte keine altersgemäße Persönlichkeit"

Sie haben dann auch in unterschiedlichen Funktionen den 19. Mai 2001 und die Saison 2006/07 miterlebt, als Schalke beide Male am Ende nicht Meister wurde.

Stoffelshaus: 2001 war ich von den Profis zwar zweit weg, aber ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn Sie mich darauf ansprechen. So eine Energie, wie sie damals im Stadion zu spüren war, hatte ich noch nie erlebt. Und dann wurde es zur größten sportlichen Tragödie, die ich je auf einem Fußballplatz gesehen habe. Das wünsche ich niemandem. In der Saison 2006/07 war es eine ganz andere Situation, weil wir es uns da selbst zuzuschreiben hatten. Die Niederlage in Bochum war der Knackpunkt. Da hatten wir eigentlich alles unter Kontrolle, aber warum auch immer haben wir das Spiel aus der Hand gegeben und plötzlich sind wir uns bewusst geworden, dass wir hier gerade die Meisterschaft verspielen. Die Lähmungserscheinungen waren greifbar. Das Derby haben wir dann auch verloren, uns ist auf der Zielgeraden der Saison der Sprit ausgegangen. Aber wir waren selbst schuld.

Sie waren zu dieser Zeit im Management tätig und zum ersten Mal an größeren Transfers beteiligt. Ein Name, der vielleicht heraussticht, ist Ivan Rakitic. Was können Sie über ihn erzählen?

Stoffelshaus: Der Transfer von Ivan war für mich tatsächlich speziell. Du weißt nie, wie sich ein junger Spieler entwickelt. Das kannst du nicht genau vorhersehen, da ist auch immer ein Stück Hoffnung dabei, wenn du ihn holst. Als ich Ivan damals aber vom Flughafen abgeholt habe, wusste ich sehr schnell, dass wir uns einen besonderen Jungen geangelt hatten. Ich habe noch nie so einen erwachsenen 18-Jährigen erlebt wie Ivan Rakitic. Ivan wusste genau, wohin er wollte. Er hatte einen klaren Plan. Er hatte einfach keine altersgemäße Persönlichkeit, er war enorm reif. Ich ziehe den Hut vor der Karriere, die er in der Folge gemacht hat.

2009 war Ihre Zeit auf Schalke vorbei und Sie haben erst mal auch keine andere Aufgabe im Profifußball übernommen. Warum nicht?

Stoffelshaus: Als Felix Magath nach Schalke kam, mussten viele Leute im Verein gehen, einer davon war auch ich. Für mich war es eine schwierige Situation, weil ich elf Jahre lang bei Schalke war und so viel Herzblut reingesteckt hatte, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, für einen anderen Verein zu arbeiten. Ich musste erst einmal eine Pause machen. Ergebnis meiner Gedanken war, dass ich zurück an die Uni gegangen bin, um meine Diplomarbeit zu schreiben. Diese Aufgabe war noch offen und ich hatte auch immer brav meine Studiengebühren bezahlt, war also nicht exmatrikuliert. (lacht) Ich habe meine Bücher wieder herausgekramt und meine Diplomarbeit angefangen. Thema: Die Nachwuchsförderung des FC Schalke 04 in Zusammenhang mit den Anforderungskritierien der DFL. Das war ja im Prinzip genau mein Thema. Das heißt nicht, dass ich es in einer Woche runterschreiben konnte, aber es hat total Spaß gemacht, die Akademie auf Schalke mit anderen Akademien zu vergleichen und herauszufinden, wo die Unterschiede liegen.