Eishockey-WM - Kommentar zum DEB-Team: Kein Märchen, kein Wunder, Qualität!

Das DEB-Team hat bei der WM in Lettland das Halbfinale erreicht.
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Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft hat bei der WM in Lettland das Halbfinale erreicht (DEB vs. Finnland, Sa., 17.15 Uhr im LIVETICKER) und greift nach der ersten WM-Medaille seit 68 Jahren. Der Erfolg ist Ausdruck einer bemerkenswerten Entwicklung im deutschen Eishockey. Ein Kommentar.

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Man könnte den dramatischen Sieg des DEB-Teams im Viertelfinale gegen die Schweiz so analysieren, wie man es immer macht, wenn ein DEB-Team bei einem großen Turnier die Eidgenossen auf dramatische Art und Weise aus dem Turnier schmeißt. Hallo, WM 2010. Hallo, Olympische Spiele 2018.

Man könnte also sagen, dass Mentalität mal wieder Qualität geschlagen hat. Dass die gerade bei dieser WM wieder so hochtalentierte Schweizer Mannschaft im entscheidenden Moment versagt hat. Und dass sich Leidenschaft, Kampf, Teamgeist und Energie am Ende eben durchgesetzt hat und Deutschland - wenn auch im Penaltyschießen glücklich - verdient (Schussverhältnis: 40:22!) haben weiterkommen lassen.

DEB-Team: Überragendes Abwehr-Duo

Diese Analyse ist auch nicht komplett falsch. Die Schweiz war nach einer insgesamt einmal mehr überzeugenden Vorrunde im Viertelfinale erschreckend schwach, für eine stolze Eishockey-Nation wie die Schweiz ist das Ausscheiden einmal mehr ein absolutes Debakel. Dennoch würde so eine Bewertung inzwischen viel zu kurz springen.

Bei den deutschen Erfolgen bei der Heim-WM 2010 (Platz 4) und bei den Olympischen Spielen 2018 (Silbermedaille) war so eine Einordnung noch angemessener. Damals waren auch Worte wie Märchen oder Wunder noch passend. Weil Deutschland mit einer Truppe, die individuell bis auf einige Ausnahmen weit weg von der Weltspitze war, jeweils Großes leistete. Aber Deutschland ist 2021 individuell nicht mehr weit weg von der Weltspitze.

Mathias Niederberger gehört zu den besten Goalies bei der WM. Die Abwehr wird von zwei Schlüsselspielern angeführt (beide über 23 Minuten Eiszeit gegen die Schweiz), von denen einer NHL-Erfahrung mitbringt und letzte Saison in der starken KHL spielte (Korbinian Holzer) und der andere zu den aufregendsten Abwehrtalenten im Eishockey überhaupt gehört und in der letzten Saison der beste Defender in der starken schwedischen Liga war (Moritz Seider). Das ist Qualität.

Marcel Noebels und der überaus trickreiche Siegtreffer gegen die Schweizer.
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Marcel Noebels und der überaus trickreiche Siegtreffer gegen die Schweizer.

DEB-Team: Nicht nur Mentalität - auch enorme Qualität

Im Sturm tummeln sich Ausnahmetalente wie JJ Peterka und Lukas Reichel. Reichel hätte das Spiel in der Overtime fast mit einem unglaublichen Antritt entschieden, sein Weg geht sehr bald in die NHL und dort wird er perspektivisch auch weit mehr als ein Rollenspieler sein, das ist völlig klar.

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Dazu kommen aktuelle NHL-Cracks wie Dominik Kahun, der mit seinem Penalty einen entscheidenden Anteil am Weiterkommen hatte und Tobias Rieder, der zu den besten Unterzahl-Spielern der Welt zählt. Da ist auch noch ein Tom Kühnhackl, der mit den Pittsburgh Penguins 2016 und 2017 zweimal den Stanley Cup gewann und dort bis heute extrem hoch geschätzt wird.

Da ist auch ein Markus Eisenschmid, der vom Talent her ohne jeden Zweifel in der NHL spielen könnte. Da ist auch ein Marcel Noebels, der mit seinem sensationellen Peter-Forsberg-Gedächtnispenalty das Halbfinale klarmachte. Der 29-Jährige hat sich so überragend entwickelt, dass er zweimal in Folge zum besten Spieler in der DEL gewählt worden ist. Noebels ist auch der DEB-Topscorer in Riga (8 Scorerpunkte). Das ist alles enorme Qualität.

Eine so hohe Qualität, dass ein DEB-Team im Halbfinale stehen kann, obwohl mit Superstar Leon Draisaitl einer der Top-10-Spieler auf der Welt fehlt. Obwohl mit Philipp Grubauer der vielleicht aktuell beste Torwart der Welt fehlt. Und obwohl mit Tim Stützle ein weiteres deutsches Ausnahmetalent fehlt, das sich in den nächsten Jahren auch zu einem Star in der NHL entwickeln wird.

DEB-Team: Entwicklung zu einem neuen Selbstverständnis

"Ich denke, die insgesamt verstärkte Aufmerksamkeit auf die Nachwuchsarbeit in den Vereinen und die Programme des DEBs in Zusammenarbeit mit der DEL und DEL2 fangen an, erste Resultate zu bringen." Das meinte Ex-Bundestrainer Uwe Krupp vor dem WM-Start gegenüber SPOX. Und er hatte Recht.

Die WM in Riga ist so verrückt (Schweden in der Vorrunde raus, Russland und Schweiz im Viertelfinale raus), dass eine Medaille jetzt sogar absolut möglich ist. Von den vier verbliebenen Teams müssen die Finnen als Weltmeister von 2019 zwar als kleiner Favorit angesehen werden.

Aber auch die USA mit einer extrem homogenen Mannschaft und die so verheerend gestarteten Kanadier, die seit Flames-Stürmer Andrew Mangiapane in der Lineup steht, ein völlig anderes Gesicht zeigen, könnten am Ende sogar mit Gold dastehen. Und Deutschland kann mit jeder dieser Mannschaften mithalten. Nicht nur, weil es ein verschworener Haufen ist. Auch weil das Skill-Level dafür da ist.

Der Hype ist diesmal deutlich gerechtfertigter als noch 2010 oder selbst 2018, auch wenn am Ende keine Medaille herauskommen sollte. Weil die Entwicklung dahin geht, dass ein Halbfinale keine unfassbare Ausnahme mehr darstellen wird. Sondern dahin, dass Deutschland auf dem Weg ist, in Zukunft mit dem Selbstverständnis zu einer WM zu fahren, dass ein Viertelfinale nicht mehr das Höchste der Gefühle ist. Und ein Halbfinale sicher kein Märchen mehr.

Eishockey WM: Alle Viertelfinals in der Übersicht

DatumTeam 1Team 2Ergebnis
03.06.USASlowakei6:1
03.06.SchweizDeutschland2:3 n.P.
03.06.FinnlandTschechien1:0
03.06.RusslandKanada1:2 n.V.
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