Bernadette Schild im Interview: "Wir können die Augen davor nicht mehr verschließen"

Bernadette Schild.
© GEPA

Mit Bernadette Schild fehlt den ÖSV-Frauen schon seit Saisonbeginn eine wichtige Größe. Im Interview mit SPOX spricht die 30-Jährige über das Comeback nach ihrem Kreuzbandriss und die Angst, die sie in Sölden jahrelang begleitete.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Außerdem stellt sie ihren eigenen Tiroler TV-Sender vor, macht sich Gedanken zur Klimakrise und erklärt, wie eine Skiathletin im Fall einer langwierigen Verletzung finanziell abgesichert ist.

SPOX: Frau Schild, welche Medien konsumieren Sie? Sind Sie Abonnentin eines Zeitungsabos?

Bernadette Schild: Das meiste erledige ich online. Ein Abo macht in meinem Fall keinen Sinn. Während der Saison habe ich nach drei Monaten vermutlich einen ganzen Stapel vor der Haustür liegen. Warum fragen Sie?

Weil Sie selbst neben Ihrer Skikarriere Medienschaffende sind. Neben Ihren Social-Media-Accounts sollen Sie ja bei einem lokalen Fernsehsender eingestiegen sein.

Schild: Gemeinsam mit meinem Mann hatte ich die Idee zu Zillertal TV - ZTV. Fernsehen an sich ist ein altes Medium, das aber auch in Zukunft Bestand haben wird. Daran ändert auch Netflix oder Prime Video nichts. Die Region Zillertal ist unglaublich vielfältig. Viele kennen uns aber nur aus dem Radio - weil es oft Stau gibt.

Sie wollen das mit ZTV ändern.

Schild: Wir bieten die Hardware: Mein Schwiegervater verlegte nämlich vor Jahrzehnten im gesamten Tal ein eigenes Kabelnetz. Es gibt eine große Tradition in unserem Tal. Wir haben eine Vielzahl an kreativen Einheimischen - darunter mehrere Film-Produzenten. Man sollte dafür nicht immer in eine große Stadt ziehen müssen und ihnen auch in der ländlichen Region eine Chance geben. Das Projekt umfasst rund zehn Filmer, dazu kommt eine Werbeagentur, die auch im Zillertal ihren Sitz hat. Wie kommen wir aber zu Content?

Für diese Frage sind Sie verantwortlich?

Schild: Exakt, gemeinsam mit einigen Management-Aufgaben. Pro Monat haben wir zwei Sitzungen, sammeln etwa Ideen ein, welche Veranstaltungen wir abdecken wollen. Das Angebot gibt es mittlerweile auch als Livestream und in einer Mediathek. Die Finanzierung stemmen wir über Werbeeinschaltungen. Seit Anfang Dezember ist der Sender live, wir entwickeln das Produkt aber laufend weiter. Inzwischen können uns sämtliche Kabel-Fernseher in Tirol empfangen. Wir sind auf einem guten Weg.

Sie sind zwar stark in Tirol verwurzelt, genießen es aber auch in Ihrer Freizeit, nicht zu Hause zu sein.

Schild: Richtig, schon in wenigen Tagen geht es nach Südafrika.

Wie entscheiden Sie, wohin Ihre nächste Reise gehen soll?

Schild: Ich lasse mich gerne von den sozialen Medien inspirieren. Oft versuche ich auch, meine beruflichen Reisen mit einem Urlaub zu verbinden. Im Sommer trainieren wir meist ein Monat lang in Neuseeland. Auf dem Weg zurück stoppte ich 2018 dann im Oman, was sonst wohl nicht auf meiner Liste ganz oben gestanden wäre. Ich war unglaublich positiv überrascht von dem Land. Die Natur war beeindruckend, die Menschen waren äußerst freundlich und offen, was im arabischen Raum nicht selbstverständlich ist.

Empfinden Sie beim Reisen auch etwas Flugscham? Wie beschäftigt Sie die Klimakrise?

Schild: Wir können die Augen davor nicht mehr verschließen. Der heurige Winter ist extrem, es ist viel zu warm. Im Jahr davor hatten wir wiederum Unmengen an Schnee. Diese Wetterextreme nehmen deutlich zu. Viele Flüge lassen sich für mich nicht vermeiden. Ich kann nicht wie Greta Thunberg mit dem Segelboot nach Neuseeland reisen. In meiner Nachbarschaft habe ich das Gefühl, dass im Alltag Schritte gesetzt werden: Jeder hat einen kleinen Garten und versucht, Lebensmittel am Wochenmarkt zu kaufen, anstatt die dreifach in Plastik eingepackten Salatköpfe aus dem Supermarkt. Beim Fliegen verspüre ich weniger Scham als wenn sich jemand für eine Distanz von fünf Gehminuten aus Bequemlichkeit lieber ins Auto setzt. Wer das Auto stehen lässt, schützt nicht nur das Klima, sondern lebt auch gesünder. Es gibt sehr viel zu tun.

Gutes Stichwort: Sie haben schon früh in Ihrer Kindheit einen gesunden, aktiven Lebensstil geführt. Sie sollen etwa in jungen Jahren mit Bodenturnen begonnen haben. Hatten Sie dadurch einen Vorteil, weil Sie schon früh über eine gute Körperbeherrschung verfügten?

Schild: Ich war nicht nur viel Turnen, sondern auch Klettern, was ich bis heute leidenschaftlich mache. Die Basis ist aber die Turnausbildung, die ich schon mit vier Jahren begann. Es war für mich nie ein Zwang, aber lehrte mir auch Disziplin: Es gab kein Tratschen, sondern ich wartete in einer Reihe, bis ich drankam. Das hat viel mit Haltung und Respekt zu tun, man kann es einen konservativen Sport nennen. Es bringt sportlich, aber auch im Allgemeinen viel für das ganze Leben.

Bernadette Schild erklärt Finanzen einer Skirennsportlerin

Vier Monate sind nun seit Ihrem Kreuzbandriss zum Saison-Auftakt in Sölden vergangen. Haben Sie noch Einschränkungen im Gelenk?

Schild: Überhaupt nicht. Nach dem Sturz ist alles perfekt verlaufen. Ich wurde wenige Stunden danach operiert, das war sehr hilfreich. Der Heilungsverlauf könnte nicht besser sein. Ich habe keine Schmerzen, das Knie ist frei beweglich. Ich habe das Gefühl, ich könnte sogar schon wieder Ski fahren. Damit warte ich aber lieber noch.

Wie haben Sie den Sturz verarbeitet?

Schild: Ich bin den Hang in Sölden zu Beginn meiner Karriere nie gefahren, weil ich immer eine schwere Verletzung von meiner Schwester Marlies im Kopf hatte. Sie hat sich dort 2008 im linken Unterschenkel einen Trümmerbruch zugezogen. Über die Jahre habe ich diese Angst aber überwunden, im Weltcup fuhr ich sogar einmal Laufbestzeit. Der Sturz passierte im Flachstück - ein Abschnitt, der in jedem Rennen vorkommt und vermeintlich leicht zu fahren ist. Wenn alles gut läuft, will ich in Sölden im Oktober am Start stehen.

Sie haben durch den Sturz in dieser Saison kein einziges Rennen abschließen. Wie sind Sie in solch einem Fall eigentlich finanziell abgesichert?

Schild: Das ist das Betriebsrisiko eines Skiprofis. Es gibt Klauseln in den Verträgen, die einen gewissen Prozentsatz des Fixums im Falle einer Verletzung ausbezahlen. Diese werden aber sehr individuell ausverhandelt und hängen auch davon ab, inwiefern man Sponsoren trotz einer Verletzung noch vertreten kann. Ich vergleiche es mit dem Kauf einer Aktie: Bei mehr Risiko steigt die Chance auf eine satte Rendite, es birgt aber auch die Gefahr eines großen Verlustes. Es ist ein wirtschaftlicher Ausfall. Es gibt aber noch einen anderen Verlust, der in meinen Augen schwerer wiegt.

Erzählen Sie uns bitte davon.

Schild: Ich wurde plötzlich komplett aus dem gewohnten Umfeld herausgerissen. Ein normaler Angestellter hat bei einem Kreuzbandriss rund sechs Wochen Anspruch auf Krankenstand, dann kehrt er in den normalen Alltag zurück. Bei uns dauert es sechs bis neun Monate. Es war sehr hart für mich, plötzlich getrennt von meinem Team zu sein und nicht mehr mitreisen zu können.

Jeder Tennisprofi hat ab einem gewissen Ranking einen Anspruch auf Pensionszahlungen. Gibt es so etwas im Skirennsport auch?

Schild: Man probiert natürlich, in erfolgreichen Jahren etwas anzusparen - auch für den Verletzungsfall. Wir sind alle selbstständig, jede Athletin ist Einzelunternehmerin und muss sich dementsprechend selbst um die Pensionsvorsorge kümmern.

Wird deshalb die Eigenvermarktung im Skiweltcup immer wichtiger? Ich denke an eigene Logos von Athleten, oder Nummern auf designten Helmen, die zur Marke beitragen.

Schild: Früher war der Konkurrenzkampf - abseits der Skipiste, bezogen auf die Vermarktung - nicht so groß. Es gab noch keine Instagram-Stars, die als Werbetreibende agieren. Die Zahlen auf den Helmen tauchten übrigens durch eine Regelung der FIS auf.

Achso?

Schild: Viele hatten ihre Homepage auf den Helmen vermerkt. Die FIS interpretierte dies allerdings als zusätzliche Werbung - eben für das Einzelunternehmen der Rennläuferinnen. Wir dürfen nur für eine Firma auf dem Kopf werben. Als Alternative fingen einige mit den Zahlen auf den Helmen an.

Thomas Dreßen trägt die Nummer 44 auf dem Helm und gedenkt damit seinem verstorbenen Vater. Marcel Hirscher fuhr jahrelang mit der 89, Michael Matt mit 93 (jeweils das Geburtsjahr).
© getty
Thomas Dreßen trägt die Nummer 44 auf dem Helm und gedenkt damit seinem verstorbenen Vater. Marcel Hirscher fuhr jahrelang mit der 89, Michael Matt mit 93 (jeweils das Geburtsjahr).

Wie sieht Ihr weiterer Zeitplan aus? Wann wollen Sie wieder in das reguläre Mannschaftstraining des ÖSV einsteigen?

Schild: Schon am Tag nach der Operation gab es eine Absprache mit den Trainern, dass ich im August mit nach Neuseeland komme. Ab diesem Zeitpunkt soll wieder ein normales Training möglich sein - neuneinhalb Monate nach der OP. Das ist ein sehr realistisches Ziel.

Bernadette Schild: Podestplätze im Ski-Weltcup

Schild, Juniorenweltmeisterin im Slalom 2008, fuhr bislang sieben Mal in einem Weltcup-Slalom auf das Podium:

JahrOrtErgebnis
2013Lenzerheide2. Platz
2013Courchevel3. Platz
2014Kranjska Gora3. Platz
2017Squaw Valley3. Platz
2017Killington3. Platz
2018Flachau2. Platz
2018Levi3. Platz